Österreichischer Rechtsextremist - Einreiseverbote gegen EU-Bürger sind selten, aber Sellner ist kein Einzelfall

Fr 22.03.24 | 11:56 Uhr | Von Oliver Noffke
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Martin Sellner im Februar in Wien (Quelle: APA/Tobias Steinmaurer)
Audio: rbb24 Inforadio | 22.03.2024 | Ernst Amelie | Bild: APA/Tobias Steinmaurer

Einreiseverbote gegen EU-Bürger:innen, wie im Fall Martin Sellner, sind selten, aber nicht ungewöhnlich. Der Österreicher hat damit selbst schon Erfahrung. Nun kann er Rechtsmittel einlegen. Ein langer Weg durch die Gerichte scheint unwahrscheinlich. Von Oliver Noffke

Der österreichischen Rechtsextremist Martin Sellner darf nicht mehr nach Deutschland einreisen. Die Ausländerbehörde Potsdam hat ihm in der vergangenen Woche einen entsprechenden Bescheid zukommen lassen und den sofortige Vollzug angeordnet. Damit wäre jeder Versuch Sellners, die deutsche Grenze zu übertreten, eine illegale Einreise und er könnte sofort abgeschoben werden.

Sellner hat Teile des entsprechenden Bescheids im Internet veröffentlicht und versucht seinen Fall als Unrecht oder eine extreme Überschreitung von Kompetenzen darzustellen. Dabei ist Sellner weder ein Einzelfall noch ist es das erste Einreiseverbot, das von einem EU-Staat gegen ihn ausgesprochen wurde.

Knapp 9.000 Fälle

Auf Anfrage von rbb|24 teilt das Bundesinnenministerium mit, dass "zum Stichtag 31. Dezember 2023 insgesamt 8.965 Personen aus Staaten der Europäischen Union mit einem […] gültigen Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland belegt" waren. Welche Gründe sich dahinter verbergen, werde nicht statistisch erfasst, heißt es.

Insgesamt sind Einreiseverbote gegen Menschen aus anderen EU-Staaten relativ selten. Laut Bundesinnenministerium leben aktuell mehr als fünf Millionen Menschen aus dem EU-Ausland in Deutschland.

Mit Fragen zum Aufenthaltsstatus von Menschen ohne deutschen Pass beschäftigen sich die Ausländerbehörden. Welche genau zuständig ist, hängt vom Aufenthaltsort der jeweiligen Person ab. Im Fall von Sellner war es die Ausländerbehörde Potsdam.

Denn das Einreiseverbot gegen ihn gilt als Reaktion auf ein Treffen in einer Villa der Stadt im vergangenen November. Sellner sprach dort über die Deportation von Millionen Menschen, die in Deutschland leben. Auch Politiker von AfD und CDU waren dabei anwesend, wie "Correctiv" im Januar öffentlich machte.

Die Stadt Potsdam hat bisher lediglich mitgeteilt, dass ein Verbot gegen einen EU-Bürger ausgesprochen wurde. Nicht gegen wen und warum. Dass es sich dabei um Sellner handelt, machte dieser am Dienstag selbst öffentlich.

Öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit

Sich frei innerhalb der EU bewegen zu können, – visafrei, egal ob für kurze Zeit oder dauerhaft, zur Arbeit oder zum Vergnügen – ist eines der Grundversprechen der Europäischen Union an ihre Bürgerinnen und Bürger. Als Inhaber eines österreichischen Passes genießt Martin Sellner dieses Recht automatisch.

Nur aus drei Gründen darf diese Freizügigkeit eingeschränkt werden: Wenn durch den Aufenthalt die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gefährdet ist, heißt es in dem entsprechenden Gesetz [siehe Bundesjustizministerium: gesetze-im-internet.de].

Eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit bestünde, wenn in einem EU-Land eine schwere Seuche ausbricht und andere ihre Bevölkerung schützen wollen. Vor vier Jahren bezogen sich die Regierungen vieler EU-Staaten darauf, um die Ausbreitung von Sars-Cov-2 zu verlangsamen. In Sellners Fall hält die Ausländerbehörde Potsdam seine Anwesenheit offensichtlich für eine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung.

Es könnte als wegweisend gesehen werden, dass bereits ein anderes Land auf der gleichen Rechtsgrundlage schon einmal eine solche Entscheidung getroffen hat.

Martin Manzel, Fachanwalt für Migrationsrecht

Zwei Verfahren für Anfechtung notwendig

Dabei ist unerheblich, dass Martin Sellner noch nie rechtskräftig in einem Strafverfahren verurteilt worden ist. Er hat also keine Vorstrafen [standard.at, zdf.de]. "Ausländerrecht, Aufenthaltsrecht, Migrationsrecht ist Polizei- und Ordnungsrecht. Da geht es um Gefahrenabwehr", sagt Martin Manzel rbb|24. Er ist Fachanwalt für Migrationsrecht und praktiziert in Berlin. Polizei- und Ordnungsrecht funktioniere nicht repressiv, sondern präventiv, sagt er.

"Man schaut in die Zukunft und sagt: Wir vermuten, dass von dir eine Gefahr ausgeht oder ausgehen wird", erklärt Manzel. "Du bist zwar noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten, aber im Rahmen einer Prognoseentscheidung zur Gefahrenabwehr stellen wir fest, dass von dir eine Gefahr ausgehen wird und erlassen dann eine Ordnungsverfügung, um die erneute Einreise zu verhindern."

Im Strafrecht ist es anders. Dort muss bewiesen werden, dass jemand eine Straftat wirklich begangenen hat. Bleiben Zweifel, gilt die Unschuldsvermutung.

Sellner kann Rechtsmittel einlegen. Manzel geht davon aus, dass dafür eine Frist von einem Monat gewährt wurde. Zuständig wäre dann das Verwaltungsgericht Potsdam. "Er wird Klage einreichen können gegen den Bescheid und muss gleichzeitig einen Antrag auf sogenannten einstweiligen Rechtsschutz stellen."

Denn tatsächlich besteht die Entscheidung der Ausländerbehörde Potsdam aus zwei Teilen. Zum einen wurde das Verbot ausgesprochen. Dagegen kann Sellner klagen. Tut er das, würde das Verbot erst gelten, wenn eine Frist abgelaufen ist oder alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Bis weder Revision oder Berufung zugelassen werden und ein Urteil in der Sache gegen ihn rechtskräftig wäre.

"Die Stadt Potsdam hat parallel dazu noch eine zweite Entscheidung getroffen", sagt Rechtsanwalt Manzel, "und die sofortige Vollziehung des Einreiseverbots angeordnet." Auch dagegen müsste Sellner vorgehen. "Das sind quasi zwei Verfahren." Solange Sellner der einstweilige Rechtsschutz nicht gewährt wird, ist jeder Einreiseversuch illegal und Sellner muss abgeschoben werden.

Großbritanien, USA, Deutschland, Schweiz

Einen langen Weg durch die Gerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, bis für den Österreicher Klarheit besteht, erwartet Manzel nicht. Das Thema sei durchgekaut. "An dem Fall gibt es im Kern nichts Neues, nichts Außergewöhnliches. Es gibt jetzt eben diesen politischen Aufhänger."

Bereits im Frühjahr 2018 wurde Sellner mehrfach an Londoner Flughäfen abgewiesen. Ein Jahr später verhängte das britische Innenministerium ein dauerhaftes Einreiseverbot gegen ihn, berichtete die Zeitung "The Guardian" [Informationen in englischer Sprache: theguardian.com]. 2019 entzogen die USA ihm seine Einreisegenehmigung. Vergangene Woche wurde vom Schweizer Kanton Aargau eine "Wegweisung" gegen ihn ausgesprochen [srf.ch].

Legt Martin Sellner Rechtsmittel ein, werden Richterinnen und Richter bewerten, was er in der Vergangenheit gesagt und geschrieben hat und ob das zum Beispiel volksverhetzend war. Welche Verbindungen der Mitbegründer der rechtsextremen österreichischen Identitären Bewegung pflegt. Und was seine Anwesenheit für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Land bedeuten würde.

Einreiseverbote seien nicht als dauerhafte Maßnahmen gedacht, sagt Manzel. Gerichte sollten eine Prognose abgeben, die nach einigen Jahren überprüft werden könne. So erhalte die Person die Möglichkeit, zu zeigen, dass sie sich geändert habe. Insbesondere das britische Einreiseverbot könnte bei so einer Prognoseentscheidung eine Rolle spielen. "Es könnte als wegweisend gesehen werden, dass bereits ein anderes Land auf der gleichen Rechtsgrundlage schon einmal eine solche Entscheidung getroffen hat." Schließlich war Großbritannien noch Teil der EU, als das Land ein Einreiseverbot gegen Sellner ausgesprochen hat.

Zwingende Gründe und unbillige Härte

Seit Tagen erreichen Sellner über seine Social-Media-Kanäle Einladungen aus Deutschland. Zu "privaten Feiern" oder "Privatveranstaltungen" wie es in den entsprechenden Posts heißt. Schließlich sei das ein Schlupfloch, wird oftmals suggeriert. Doch das ist falsch.

Ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen sind Ausnahmen davon höchstens kurzfristig möglich, wie das Bundesinnenministerium mitteilt. "Wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde." Dann könnte eine sogenannte Betretenserlaubnis erteilt werden. Dies könne auch unter Auflagen geschehen, etwa Polizeibegleitung. Die Kosten dafür könnten der betroffenen Person in Rechnung gestellt werden. Eine Bezahlung quasi per Vorkasse ist ebenso denkbar.

"Privatbesuche fallen regelmäßig nicht unter solche 'zwingende Gründe' und stellen regelmäßig auch keine 'unbillige Härte' dar", so ein Sprecher des Bundesinnenministeriums; "dies gilt insbesondere bei beabsichtigten Besuchen nahestehender Personen dann, wenn die Begegnung auch außerhalb des Bundesgebiets möglich wäre."

Mitarbeit: Sophia Büchel und Caroline Neubert

Beitrag von Oliver Noffke

8 Kommentare

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  1. 8.

    Dieser ,,Mann'' ist sehr gefährlich und sollte sehr genau beobachtet werden. Er hat sicher schon falsche Pässe bei seinen braunen Freunden bestellt und sein Äußeres dementsprechend angepaßt. Obacht diese braune Zecke will sich sicher wieder ein schleichen.

  2. 7.

    Danke für die Ergänzung. Dann ist es tatsächlich ein sehr wirksames Mittel.

  3. 5.

    Manchmal gibt es im Leben eben doch so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Martin Sellner muss sich jetzt einfach nur fragen, wie es ihm mit dieser Entscheidung geht und das dann auf die Menschen übertragen, für die er solches selber gefordert hat. Aber ob er so viel Empathie aufbringen kann, wage ich doch sehr zu bezweifeln.

  4. 3.

    Schon immer, wenn die "sofortige Vollziehung" angeordnet wurde.

  5. 2.

    Kommt leider 91 Jahre zu spät, hätte eine Menge Leid erspart.

  6. 1.

    Seit wann führt in Deutschland eine illegale Einreise zur Abschiebung?

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