Viele Erststimmen für die AfD? - Überhangmandate könnten Machtverhältnisse im nächsten Landtag verzerren

Do 27.06.24 | 08:04 Uhr | Von Oliver Noffke
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Der Plenarsaal des Brandenburger Landtages, Archivbild (Quelle: DPA/Soeren Stache)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.06.2024 | Irina Grabowski und Landespolitischer Reporter Torsten Sydow | Bild: DPA/Soeren Stache

Bei der Landtagswahl könnten am Ende ungewöhnlich viele Überhangmandate anfallen. Nur wäre das Brandenburger Wahlrecht darauf nicht vorbereitet. Eine Studie befürchtet, dass am Ende das Parlament nicht verfassungskonform wäre. Von Oliver Noffke

  • Studie hält viele Überhangmandate für AfD aktuell für sehr wahrscheinlich
  • mehr, als im Rahmen des Brandenburger Wahlgesetzes ausgeglichen werden könnten
  • Landtag wäre dann nicht mit der Verfassung konform

Wird der nächste Brandenburger Landtag größer sein als bisher? Eventuell sogar deutlich? Werden Überhang- und Ausgleichsmandate über den Wahlsieg entscheiden? Vielleicht sogar über Regierungsmehrheiten? Die Bertelsmann-Stiftung hält das für möglich und bezweifelt, dass der nächste Landtag verfassungskonform wäre. Die Gründe dafür lägen in Beschränkungen, die die Landesverfassung zur Größe des Parlaments macht. Und zudem in den aktuellen Umfragewerten.

Brandenburgs Landtag soll sich laut Landeswahlgesetz aus mindestens 88 Abgeordneten zusammensetzen. Diese Zahl ergibt sich aus den 44 Wahlkreisen, in denen über die Erststimme Abgeordnete direkt bestimmt werden. Ebenso viele Sitze im Landtag werden über die Landeslisten der Parteien verteilt. Am Ende soll die Zusammensetzung des Parlaments das Wahlergebnis bei den Zweitstimmen widerspiegeln.

Seit der Wiedervereinigung gab es nur eine Wahl, nach der der brandenburgische Landestag mehr als die Mindestzahl an Abgeordneten hatte. Ab 1999 waren für eine Legislaturperiode 89 Sitze im Plenarsaal montiert. Die SPD hatte ein Überhangmandat errungen. Sie hatte über die Wahlkreise ein Mandat mehr direkt gewonnen, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zugestanden hätte. Ausgeglichen werden musste das bei anderen Parteien nicht. Das Landeswahlgesetz erlaubt bis zu zwei Überhangmandate ohne Gegengewicht.

Das beschränkte Parlament

Im September seien deutlich mehr Überhangmandate wahrscheinlich, so die Bertelsmann-Stiftung. Möglicherweise zu viele, um sie gemäß der Verfassung ausgleichen zu können. In einer am Donnerstag veröffentlichten Studie rechnet die Stiftung vor, dass die AfD 37 Wahlkreise direkt gewinnen könnte. Das wären rund 42 Prozent der bestehenden Parlamentssitze. Allerdings liegt die AfD in derzeitigen Umfragen bei 26,5 Prozent, heißt es in der Studie [bertelsmann-stiftung.de].

Damit der Landtag das Ergebnis bei den Zweitstimmen abbilde, müssten andere Parteien Ausgleichsmandate erhalten. Denn Direktmandate sind sicher. Das Parlament würde vergrößert werden müssen. Damit in so einem Beispiel die AfD möglichst genau 26,5 Prozent der Abgeordneten stellt, wäre ein Landtag mit 140 Sitzen notwendig. Doch das ist unmöglich. Denn in Brandenburg darf das Parlament nicht aus mehr als 110 Abgeordneten bestehen [bravors.brandenburg.de].

Bertelsmann-Stiftung befürchtet Verzerrung der Wahl

Ein solches Szenario hätte weitreichende Konsequenzen. Es könnte Regierungsmehrheiten unterbinden und die Gesetzgebung beeinflussen.

So sieht die Bertelsmann-Stiftung in Umfragewerten eine knappe Mehrheit bei den Zweitstimmen für die derzeitige Koalition. SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen könnten jedoch keine Regierung bilden. Zudem hätte die AfD in diesem Fall mehr als ein Drittel der Parlamentssitze und damit eine "verfassungsändernde Sperrminorität". An ihr vorbei wären dann keine Änderungen der Landesverfassungen möglich.

Die "zunehmenden Segmentierung" des Parteiensystems – oft kommen mehr Parteien in die Parlamente als noch vor einigen Jahren – machen viele Überhangmandate zunehmend wahrscheinlicher, heißt es. Nur: "Überhangmandate verzerren den Proporz der Verhältniswahl und sind darüber hinaus mit gravierenden Verstößen gegen die Wahlgleichheit verbunden." Trete der beschriebene Fall ein, seien Wahlprüfungsbeschwerden absehbar, heißt es, und eine Wahlwiederholung möglich.

Die Bertelsmann-Stiftung sieht eine Reform des Landeswahlrechts dringend erforderlich. Vor der Wahl im September solle der Landtag eine einmalige Anhebung auf 140 Abgeordnete einbringen und beschließen. Wahlrechtsexperte und Autor der Studie, Robert Verkamp, sagte rbb24 Brandenburg aktuell am Montag: "Dann wäre man bei der anstehenden Landtagswahl die Risiken vollständig los und dann könnte man sich in der nächsten Legislaturperiode um eine nachhaltige Lösung kümmern", so Vehrkamp. "Unvernünftig wäre einfach zu sagen: Augen zu und durch und wir nehmen das Risiko einer verfassungswidrigen Mandatsverteilung einfach in Kauf."

CDU startet Erststimmen-Kampagne

Unterdessen hat die CDU den Kampf um die Direktmandate eröffnet und eine Erststimmen-Kampagne gestartet. Mit kleinen Videos sollen sich alle 44 Direktkandidatinnen und -kandidaten an ihre Wahlkreise wenden.

Gordon Hoffmann, CDU-Kandidat in der Prignitz, bezeichnet seine Partei in einem dieser Clips als "Anti-AfD". Wer eine Mehrheit für Rechtspopulisten verhindern wolle, müsse seine Erststimme der CDU geben. "Selbst wenn ihr beim letzten Mal nicht die CDU gewählt, selbst wenn ihr nicht der größte Fan unserer Partei seid", so Hoffmann. Der Konservative richtet sich also insbesondere an die Wählerkreise von SPD, Grünen, Linken, BSW und BVB/Freie Wähler.

Größer, unübersichtlicher. Umstrittener? Teurer!

Um ein Direktmandat zu holen, ist die einfache Mehrheit notwendig. Ein Bruchteil der Wählerstimmen reicht dafür meist aus. Bei der Bundestagswahl 2021 holte etwa der sächsische CDU-Politiker Lars Rohwer ein Direktmandat in Dresden – mit 18,6 Prozent. Am Ende erhielt er lediglich 35 Stimmen mehr als der Zweitplatzierte.

Bei der Europawahl erhielt die AfD 27,5 Prozent in Brandenburg. Kein Durchmarsch, aber deutlich mehr als die Zweitplatzierte CDU. Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in den 18 Landkreisen und kreisfreien Städten haben zudem gezeigt, dass die AfD überall in Brandenburg gewinnen kann. Lediglich in Potsdam und Potsdam-Mittelmark gelang das der Partei nicht.

Die beiden Erkenntnisse aus den Wahlen Anfang Juni stützen das Szenario, das die Bertelsmann-Stiftung beschreibt. Wenn sich dieses Wahlverhalten auch auf die Erststimmen bei der Landtagswahl überträgt, wären der AfD viele Direktmandate sicher. Und wahrscheinlich hätte sie dann mehr Abgeordnete im nächsten Parlament, als ihr nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zustünden.

Er hoffe persönlich auf ein unproblematisches Wahlergebnis, sagte Wahlrechtsexperte Vehrkamp dem rbb. "Wenn wir aber so ein Wahlergebnis mit zehn oder zwölf Überhangmandaten bekommen, dann garantiere ich Ihnen, wird es zu Wahlprüfungsklagen kommen."

Sicher scheint angesichts der jüngsten Wahlergebnisse und aktuellen Umfragen: Der nächste Landtag wird größer, unübersichtlicher, möglicherweise wird seine Zusammensetzung umstritten, definitiv wird das Parlament für die Steuerzahler teurer.

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Beitrag von Oliver Noffke

89 Kommentare

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  1. 89.

    Ja aber so wie es eventuell im September aussieht dürfte kaum der Wählerwille sein. Wir alle haben nix davon wenn wir uns einen Landtag mit >50% mehr Abgeordneten als notwendig leisten müssen.
    Ich finde eben das Direktmandat wichtig weil ich direkt jemanden aus der Region wählen kann. Wenn sich Parteien entscheiden "Importe" zu platzieren und diese nur wegen der Parteizugehörigkeit mit schlapp über 20% das Mandat bekommen und 3 andere regionale mit jeweils 19% das Nachsehen haben, finde ich sehr schwierig.
    44 parteilose Direktmandate die sich im Landtag für nix außer ihren eigenen Wahlkreis einsetzen würden muss man natürlich auch wieder verhindern. Vielleicht wären ja 1/3 Direkt und 2/3 Listenmandate eine Variante.

  2. 88.

    Was Sie entgegnen ist mit Verlauf auch nur eine, aber keine gut argumentierte oder fundierte unterlegte Aussage. Was nach sie so sicher, dass die Aussage von slawek irrelevant ist? Das erschließt sich nicht, außer dass mit Getöse andere Meinungen tot gemacht werden. Konnten sie das fundiert bitte begründen?

  3. 87.

    Wie kommen Sie darauf, dass er das nicht darf?
    Wer ist der Wähler den Sie meinen?
    Die Frage ist, wird der Wählerwille korrekt abgebildet, wenn wir bei der zunehmendem Vielfalt ein Mandat mit 20% der Stimmen in einem Wahlkreis vergeben? Ich denke nein. Weil 80% also die deutliche Mehrheit diesen Kandidaten nicht gewählt hat. Daher würde ich eine Stichwahl ähnlich wie bei Landräten oder Bürgermeistern auch für die Direktmandate begrüßen. Das könnte dann fast schon Konsens und nicht nur Kompromiss sein.
    Gilt alles natürlich auch für sie und nicht nur er.

  4. 84.

    Warum darf in einer Demokratie sich der Wähler nicht gegen eine bunte vielfältige Landkarte entscheiden ?

  5. 83.

    Ja. Deswegen sind Mehrheitswahlsystem ja so politisch stabil, da starke Zersplitterung oder gar Zustände wie im Parlament der Weimarer Republik nahezu ausgeschlossen sind. Der Preis sind einige entwertete Stimmen.

  6. 82.

    Gelesen? In Brandenburg war das bislang nie ein Thema weil die Ergebnisse von Erst und Zweitstimmen gut "zusammen" gepasst haben. Wir hatten gut verteilt CDU, SPD, Linke und vielleicht auch mal ein grünes Direktmandat also eine bunte vielfältige Landkarte. Nun steht zu befürchten dass wir im September ein flächiges blau sehen, auch wenn die Zweitstimmen also eigentlichen Mehrheiten die Vielfalt möchten.
    Stichwahl um das Direktmandat z.B. würde die Karte wieder mehrfarbig und somit auch den Mehrheiten einsprechend gestalten. Es sind ja oft nur 20% der Wähler die Kandidat x direkt wählen und 80% die ihn eben nicht wählen und haben wollen.

  7. 81.

    Gut, das es solche Experten wie Sie gibt. Genau das ist es, was ich meine. So sollte ein Dialog eigentlich nicht geführt werden.

  8. 80.

    Dann hätten aber kleine Parteien keine Chance, da ja nur die 44 Sieger aus den Wahlkreisen gewählt würden. Wir hätten dann ganz schnell ein 1 bis 2 Parteien System und 2/3 Mehrheiten also Macht zur Verfassungsänderung.

  9. 79.

    Ob sie das für nicht extremistisch oder nicht radikal halten, ist absolut irrelevant. Dafür gibt es den Verfassungsschutz. Was Sie hier rauslassen, ist nichts anderes als Meinung - und keine besonders gut informierte. Nichts anderes als die Verniedlichung von menschenverachtender Politik.

  10. 78.

    Ich halte grundsätzlich das mir bekannte Programm der AfD nicht für extrem. Vieles ist aus meiner Sicht vernünftig und sachlich fundiert. Oft deckt es sich auch mit Forderungen anderer Parteien, wie z.B. Bürokratieabbau. Leider wird darüber überhaupt nicht diskutiert. Das sich ein immer mehr zunehmender Teil der Bevölkerung verstärkt gegen den Umbau des Landes stellt, halte ich für legitim. Das dies nun von Menschen mit der angeblichen Überzeugung auf der richtigen Seite zu stehen, benutzt wird, um diese Gruppe mit allen Mitteln fertig zu machen, halte ich dagegen zum großen Teil für undemokratisch und gefährlich.

  11. 77.

    Der von der Afd geforderte Austritt aus der EU, oder die Grenzkontrollen innerhalb der EU würden der Wirtschaft massiv schaden- kann man in Großbritannien sehr gut sehen. Auch was passiert wenn tausende Arbeitskräfte das Land verlassen. Oder glauben Sie ernsthaft dass internationale Unternehmen ausländische Arbeitskräfte in so ein Umfeld schicken würden? Wenn ich Angst haben müßte, dass meine nichtdeutschen Mitarbeiter verprügelt oder beschimpft werden, so würde ich da nicht investieren.

  12. 76.

    Der durchschnittliche Afd Wähler würde am allerwenigsten von der AFD Politik profitieren. Wer sich das Wahlprogramm durchliest wird feststellen, dass der Sozialstaat für Angestellte und Arbeitnehmer zusammengestrichen werden soll, Kita Plätze wegfallen ( wie sollen Frauen dann arbeiten? ) und.ä. Von den Steuerermäßigungen würde Reiche am meisten profitieren, wen wundert es bei den anonymen Spendern? Und jetzt zu konstruieren dass die Afd benachteiligt werden soll ist auch eher Verschwörungstheorien. Es war im Artikel genau erklärt warum und wieso es ein Problem mit der Anzahl der Abgeordneten gibt. So schwer ist es für einen Demokraten nicht zu verstehen .

  13. 75.

    Da bereiten sich doch Landesregierung und der Heimatsender auf einen Wahlsieg der AfD vor.

  14. 74.

    "... oder der Landtag nicht das Wahlergebnis widerspiegelt" Dann spiegeln Staaten mit Mehrheitswahlrecht so gut wie nie das Wahlergebnis in unserem Sinne wieder und trotzdem scheinen das Staaten mit sehr stabilen politischen Verhältnissen zu sein und vorallem weniger extremen Parteien. Sollte man das Wahlsystem mal grundlegend überdenken?

  15. 73.

    Das ist für die meisten Afd Wähler zu komplex. Die glauben doch weil die Afd stärkste Partei wurde, dass die blaubraunen jetzt regieren müssen. Aber das dafür eine Mehrheit der Abgeordneten nötig ist.....

  16. 72.

    "Bei der nächsten Wahl werden die 88 Sitze" Warum läßt man es nicht bei den 2 Sitzen pro Wahlkreis fest? Ist der Fehler wirklich so bendenklich hoch? Wenn wir in UK wären, dann gäbe es wegen Mehrheitswahlrecht nur 44 Sitze - und ich würde UK als funktionierende Deomkratie bezeichnen.

  17. 71.

    Das ist keine Parlamentsvergrößerung!
    Der (vermutete! aus meiner Sicht völlig übertriebene) Aufstockbedarf ergibt sich aus den Wahlergebnissen.
    Bei der nächsten Wahl werden die 88 Sitze - bzw. die 22 "Notfallsitze" wieder reichen.

  18. 70.

    Die AfD - oder genauer: weite Teile von ihr - werden als extremistisch eingestuft, aufgrund des diskriminierenden und abwertenden Menschenbilds, das sie verbreitet, und ihrer verfassungsfeindlichen Ansichten. Nicht wegen ihrer Wirtschaftspolitik. Die ist nicht extremistisch, sondern einfach nur weltfremd… was ja auch viele Wirtschaftsverbände und Unternehmen abstößt.

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