Strafverfolgung nach Silvester - "Wir wissen, dass Gesellschaft und Politik von uns Tempo erwarten"

Mo 13.01.25 | 06:09 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Archivbild: Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk. Nach Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht hat die Diskussion um Konsequenzen begonnen. (Quelle: dpa/TNN)
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Audio: rb24 Inforadio | 13.01.2025 | Sylvia Tiegs | Bild: dpa/TNN

Hunderte Straftaten werden jährlich an Silvester in Berlin verübt, die Folge sind Zerstörungen, Schwerverletzte, sogar Tote. Die Justiz verfolgt die Schuldigen – doch mit einer gemischten Erfolgsbilanz. Von Sylvia Tiegs

Die Frontscheibe der Praxis von Tierarzt Andreas Ross in Berlin-Tegel wird nur noch von Panzer-Tape, extra starkem Klebeband, zusammengehalten. Die Wucht einer explodierenden Kugelbombe hat sie in der Silvesternacht zerstört, mitten in einer Wohnsiedlung am Emstaler Platz. Mehrere Menschen wurden durch die Detonation schwer verletzt, ein siebenjähriger Junge aus der Nachbarschaft lebensgefährlich. Dr. Ross ist nur der Schrecken schwer in die Glieder gefahren: "Als ich das gehört habe mit dem kleinen Kind habe ich gedacht: Da relativiert sich mein Schaden doch sehr."

Vom Rechtsstaat erwartet er jedoch einen besseren Schutz der Bevölkerung, er fragt sich: "Warum ist es möglich, diese illegalen Kugelbomben immer noch im Internet zu bestellen?" Mehr Vorbeugung sei ihm wichtig, sagt er – und eine zügige Strafverfolgung des oder der Verantwortlichen.

Strafverfahren 2024 im Schnitt in sechs Wochen abgearbeitet

Rund 1.500 "silvestertypische“ Straftaten, 125 Fälle mehr als im Vorjahr, hat die Polizei zum diesjährigen Jahreswechsel gezählt, darunter Sachbeschädigungen, Verstöße gegen das Waffengesetz, Angriffe auf Einsatzkräfte. Laut einer jüngsten Bilanz der Berliner Polizei wurden 670 Tatverdächtige wegen "silvestertypischer" Straftaten erfasst. Offen bleibt, wie viele am Ende tatsächlich eine Strafe erwarten werden – und wann?

Ermittler weisen immer wieder auf die Schwierigkeit hin, Straftäter in Silvesternächten dingfest zu machen. Es ist dunkel, viele Menschen auf den Straßen, da könne man schnell untertauchen, heißt es bei der Polizei. Der Jahreswechsel 2022/23 zeigt das, mit seinen zahlreichen Angriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter. 100 Ermittlungsverfahren wurden in den Monaten danach eingeleitet. Aber nur in der Hälfte der Fälle konnte ein möglicher Täter ausgemacht werden. Und nur in 23 Fällen wurde jemand verurteilt.

Das aber ging dann zügig, meint Stefan Schifferdecker vom Berliner Richterbund. Nach seinen Zahlen wurden die Strafverfahren 2023 durchschnittlich in 106 Tagen abgearbeitet, 2024 waren es dann im Schnitt nur noch 42 Tage – also etwa sechs Wochen zwischen dem Beginn der Ermittlungen und dem Abschluss des Verfahrens. "Ein ganz guter Wert", findet Schifferdecker, der selbst als Richter arbeitet. Allerdings: Drei Silvester-Strafverfahren aus 2024 seien noch offen, das sei für die Geschädigten "schlimm". Er habe großes Verständnis, wenn Betroffene darüber wütend seien.

Unerklärliche Verzögerung

Tatsächlich ist eine Straftat aus der Silvesternacht vor zwei Jahren noch nicht abgeschlossen, ein besonders krasser Fall: der Angriff mit Pyrotechnik auf ein vollbesetztes Fahrzeug der Feuerwehr. Beschuldigt ist ein Jugendlicher. Erst im vergangenen September, eineinhalb Jahre nach der Silvesternacht, sollte der Prozess beginnen. Doch das fiel dann aus, wegen Erkrankung des Richters. Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner, nennt das einen "Ausreißer". Die Anklageschrift sei im September 2023, neun Monate nach der vorgeworfenen Tat, fertig gewesen. Warum der Gerichtsprozess dann erst ein volles Jahr angesetzt wurde, könne er nicht sagen.

Auch die Sprecherin der Berliner Strafgerichte, Lisa Jani, kann hier nur spekulieren. Auf Anfrage sagt Jani gegenüber rbb|24, die Verzögerung könne viele Gründe haben: Überlastung bei der Jugendgerichtshilfe, oder Terminschwierigkeiten des Anwalts oder des Gerichts. Der Prozess hat nun, Mitte Januar 2025, noch immer nicht begonnen.

Die betroffenen Feuerwehrleute fühlten sich, als habe man ihnen nachträglich "noch mal einen übergezogen", hat der Berliner Landesvorsitzende der Feuerwehr-Gewerkschaft den Vorgang kritisiert.

Justiz sitzt nicht im "Elfenbeinturm"

"Wir wissen, dass Gesellschaft und Politik von uns Tempo erwarten", sagt Staatsanwaltschaft-Sprecher Sebastian Büchner rbb|24. Es sei auch nicht so, dass die Justiz "im Elfenbeinturm sitzend das Silvestergeschehen betrachtet. Wir sind auch Bürger dieser Stadt. Wir haben auch ein Interesse, eine möglichst effektive und schnelle Strafverfolgung zu betreiben", so Büchner. Das dürfe aber nicht zulasten sorgfältiger Ermittlungen gehen. Schnellschüsse nützten nichts, wenn die Beschuldigten am Ende vor Gericht Freisprüche bekämen.

Auch Stefan Schifferdecker vom Berliner Richterbund betont, er würde sich wünschen, die Strafen "teilweise noch schneller auf dem Fuße folgen zu lassen. Dafür bräuchten wir aber mehr Personal, gerade bei der Staatsanwaltschaft". Wenn die Politik jedes Jahr nach Silvester ein hartes Durchgreifen verspreche, müsse sie den Justizapparat auch entsprechend ausstatten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.01.2025, 09:45 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

Kommentar

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50 Kommentare

  1. 50.

    Seit wann interessieret denn Volkes Wille ? Man hat doch den Volksentscheid seinerzeit extra abgeschafft, weil die Politiker besser wissen was das Volk wünscht und möchte. Das alles natürlich noch mit einer fürsorglichen intellektuellen Überlegenheit. Das soll jetzt alles aufgegeben werden ?

  2. 49.

    Wie kommen Sie auf diese Annahme? Wenn das stimmen würde, könnten wir uns die Justiz auch einsparen. Ja, es gibt Situationen, wo das zutrifft, insbesondere bei Affekttaten. Das ist aber hier nicht der Fall gewesen und dies rechtfertigt auch keine Verallgemeinerung.

  3. 48.

    "Selbst wenn Sie von der Petition für ein Böllerverbot ausgehen, sind das mittlerweile schon fast 2 Mio Unterzeichner."
    Die Petition hat mittlerweile die 2 Mill. Marke überschritten.
    Ich bin für Volksentscheid in Berlin. Dann kann mit Sicherheit gesagt werden wie Volkes Wille lautet!

  4. 47.

    Hab Ende letzter Woche im Park noch so einen Böller abbekommen und darf jetzt die Woche mit AU genesen. Mal sehen ob es dann gut ist.

  5. 46.

    Woher nehmen Sie eigentlich die Zahl 1,2 Mio ? Selbst wenn Sie von der Petition für ein Böllerverbot ausgehen, sind das mittlerweile schon fast 2 Mio Unterzeichner. Aber eine Petition ist keine repräsentative Umfrage. Und bei Vorfällen, wie Wohnungsbränden schwer verletzten Menschen oder sogar Toten, die jedes Jahr zunehmen, hört irgendwann der "Spaß" auf! Appelle an Vernunft und Rücksichtnahme zeigen ja keine Wirkung. Und warum sollte sich die Mehrheit von einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Hardcoreknallköppen große und weiter zunehmende Schäden zufügen lassen?

  6. 45.

    Ihnen ist schon klar das man Böllern relativ leicht verbieten kann, den Verkauf aber nicht so einfach.
    Nehmen sie mal Radarfalle-Warner der Einsatz ist verboten der Besitz und demnach auch der Verkauf nicht.

  7. 44.

    Ich hoffe, es kommt bald ein Böllerverbot!
    Wie Silvester mit Polizisten, Feuerwehleuten, Krankenhauspersonal etc. umgegangen wird, geht gar nicht. Darüber hinaus kann es nicht sein, dass man in gewissen Stadtteilen sich 12h nicht bewegen kann. Ich bin mal Silvester um 01:00 Uhr die Weserstraße in Neukölln entlang. Das geht gar nicht!
    Wir haben einen CDU-geführten Senat von dem sollte man etwas mehr an Sicherheit verlangen können.
    Aber scheinbar sind andere Themen wichtiger.
    Gruß,
    Micha

  8. 43.

    2/ Was erzählen Sie immer von die „Mehrheit“ fordert??? Wenn 1,2 Mio. Menschen etwas wünschen, dann ist das noch lange keine Mehrheit.

  9. 41.

    Aber genau so ist es.
    Das Messer findet den Weg durch die Hand, die es führt.
    Der Kracher wird von dieser Hand am falschen Ort gezündet.
    Das Land wird von fremden Mächten rechtswidrig angegriffen, durch die Hand, die auf den "roten Knopf" drückt.
    Frieden herrscht dort, wo man sich an gesellschaftlich vereinbarte Ge- oder Verbote hält. Das haben wir über Jahrzehnte gehabt. Davor gab es schwierige Zeiten zB mit der RAF und zivilen Opfern...
    Es gibt auch kein Gesetz gegen den falschen Gebraucht von Flugzeugen in der Nähe von World Trade Centern....
    Es gibt nur kriminelle Menschen, die durch unsere friedliche Gesellschaft leider zu wenig identifiziert werden. Da könnte die Aufhebung best. Datenschutzvorschr. im Internet sehr hilfreich sein. Wir stellen uns vor, die Polizei erkennt, wenn jemand aus D vor Silvester "Kugelbomben" (Key-Wort) bestellt/einen "Denkzettel" ankündigt?

  10. 39.

    Legaler Feuerwerksverkauf nur noch in bestimmten Läden (kein Supermarkt)an Ü30 und dazu nur an Personen mit noch einem Feuerwerkführerschein ala Motorkettensägenführerschein. Ruck zuck wäre das Problem einfach gelöst.
    Wer den Kettensägenschein nicht kennt hier mal nachlesen: https://www.stihl.de/de/ratgeber-projekte/arbeitstechnik-geraetepflege/kettensaege-tipps/kettensaegenschein#:~:text=Ist%20ein%20Kettens%C3%A4genschein%20Pflicht%3F,sind%2C%20mit%20einer%20Kettens%C3%A4ge%20umzugehen.

  11. 38.

    Genau. Lassen sie uns auch gleich alle Ampeln und Verkehrsschilder abschaffen, das trifft ja auch nur die "Braven".

    Was für eine "Logik"...

  12. 37.

    Wieder sieht man, es liegt hauptsächlich daran, dass nicht ermittelt wird und nicht bestraft wird. Ein Verbot von Silvesterfeuerwerk in Bürgerhand träfe nur die Braven.

  13. 36.

    Das erste Reichsbürgergeschwafel hat nicht lange auf sich warten lassen. Leute wie sie betrachten "den Staat" als ein feindliches Gebilde, das es zu bekämpfen gilt.

    Damit sind sie nicht besser als Idio... die Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte angreifen.

  14. 35.

    Sie haben die Kosten für Polizei usw. "bemängelt"
    Diese Kosten fallen auch bei allen anderen öffentlichen Veranstaltungen, Demos usw. an.
    Wenn man diese Kosten bemängelt dann macht es keinen Sinn dies nur bei einer "Veranstaltung/Tag" zu tun.
    ich finde dieses Argument zieht dann nicht so.
    Da die größte Gefahr von illegalen Böllern ausgeht müsste man dafür sorgen, dass diese entweder nicht ins Land kommen oder noch besser ein EU weites Verbot / mit entsprechenden Kontrollen beim Verkauf in Sachen Privatpersonen.
    Alles andere ist mal wieder das Prinzip alles verbieten irgendwie erwischt man schon die Richtigen bzw. am illegalen Böllern wird sich dann auch nicht viel ändern... die kommen weiter ins Land und werden von den gleichen Leuten wie bisher benutzt.

  15. 34.

    Das erste Reichsbürgergeschwafel hat nicht lange auf sich warten lassen. Leute wie sie betrachten "den Staat" als ein feindliches Gebilde, das es zu bekämpfen gilt.

    Damit sind sie nicht besser als Idio... die Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte angreifen.

  16. 33.

    Interessant, immer wieder zu lesen, das nicht die Böller das Problem sind, sondern die Menschen. Mit diesem Scheinargument verteidigt auch die Waffenlobby in den USA immer ihre steigenden Verkaufszahlen. Nein, weg mit diesem Böllerdreck, sofortiges Verbot bei Androhung harter Strafen. Niemand, wirklich niemand braucht Dreck,Lärm und Umweltverschmutzung um gut ins Neue Jahr zu rutschen.

  17. 32.

    Nichts wird passieren, absolut nichts, nicht mit den gegenwärtigen Entscheidungsfindern. Drohgebärde, Gelaber u. vages Versprechen auf hartes Durchgreifen in Hoffnung dass die geschundene Bevölkerung und geschädigten Mitbürger bald wieder zum Alltag übergehen und sich die Aufregung legt. Bis zum nächsten Jahresende, das vorhersehbar noch dramatischer ausfallen wird.
    Wer das in Frage stellt, muss sich nur erkundigen was in den Vorjahren mit den
    Festgenommen passierte, überwiegend nichts.

  18. 31.

    Ich sage ja nicht, dass ich das gut finde, aber wenn die Kosten für Einsatzkräfte, Beschädigungen, Verletzungen und Säuberungen die steuerlichen Einnahmen übersteigen würden, wäre die Böllerei längst verboten.

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