Warum der Stadionbesuch bei Kälte nervt - Fußball raus aus dem Winter!
Gerade einmal 19 Tage Winterpause hat die Fußball-Bundesliga in diesem Jahr veranschlagt. Das bedeutet auch: Jede Menge Frostbeulen für Stadiongänger. Warum das komplett daneben ist. Von Ilja Behnisch
Wahrscheinlich musste dieser Text in Berlin geschrieben werden. Hier ist es am schlimmsten. Das, was andere Winter nennen und hier nur kaltes, dunkles, meist matschiges Grau ist. Von irgendwann November bis irgendwann April. Mal mehr, mal weniger. So genau nimmt man es in dieser Stadt ja mit nix, warum denn dann mit dem Wetter?
Gnadenlose Rahmenterminkalender
Aber "Lebbe geht weider", sagte der Fußball-Trainer und Hobby-Philosoph Dragoslav Stepanovic einmal, womit wir beim Thema wären. Denn auch wenn es ratsam erschiene, ganz Berlin würde von November bis April einfach auswandern oder Winterschlaf halten, tut diese Stadt häufig einfach so, als wäre nichts. Selbst Fußball wird "weider" gespielt. Im Freien. Wobei, da muss man fair bleiben, das natürlich äußere Zwänge sind.
In Köpenick, bei Union Berlin, würden sie ja vermutlich am liebsten den ganzen Dezember über nichts anderes als Weihnachtssingen machen. Und bei der Hertha Mitgliederversammlungen abhalten. Jeder, was er gut kann. Aber geht nicht, die Rahmenterminkalender von König Fußball sind gnadenlos und bedeuten inzwischen, dass nahezu durchgespielt wird. Außer, und jetzt kommt der Irrsinn, außer dann, wenn das Wetter am ehesten dazu angetan wäre, sich in ein Stadion zu setzen: im Sommer.
Im Sommer? Nichts, was für Berliner Klubs von Interesse wäre
Es wird vermutlich nicht sonderlich viele Leser überraschen, aber ja, es gibt eine Sommerpause im Fußball. In den Monaten Juni und Juli wird gar nicht gespielt, im Mai und August hier und da mal dies und das. DFB-Pokal- und andere Finals. Nichts, was für Berliner Klubs von Interesse wäre.
Ja, alle zwei Jahre wird die Leere mit ein bisschen Welt- und Europameisterschaft gefüllt. Aber die könnte man zukünftig doch immer in den Winter schieben. Bei den Funktionären des deutschen Fußballs scheint im Rückblick ohnehin nur eine Frage offen: Wie toll diese Weihnachts-WM in Katar 2022 eigentlich genau war?! Also vom Abschneiden und Auftreten der eigenen Mannschaft mal abgesehen. Und von Menschenrechtsverletzungen und Sklavenarbeit mit tausenden Toten. Aber top organisiert war es halt schon.
Fußball ist für die Nachbarschaft gedacht
Jetzt könnte man natürlich entgegnen, dass es doch toll ist, im furchtbaren Berliner Winter ein bisschen Fußball gucken zu können. Schön eingemummelt auf dem heimischen Sofa. Muss ja nicht Union oder Hertha sein. Kann ja auch schöner Fußball sein. Aber das wäre natürlich der Anfang vom Ende und das ist bekanntlich ohnehin schon nah.
Fußball ist nichts für den internationalen (TV-)Markt, Fußball ist für die Nachbarschaft und das Stadion bestimmt. Und im Winter, sorry, im Winter ist es einfach elend im Stadion. Altruistisch könnte man noch überlegen, dass der Winter es vermag, Zuschauer und Spieler einander näher zu bringen. Weil beide leiden.
Fußball im Winter sieht, Verzeihung, scheiße aus. Wenn doch mal so etwas wie Schnee fällt auf die vom Wetter zerfurchten, Rasen ähnlichen, steinharten Bodenplatten, kommen orange gefärbte Bälle ins Spiel, denen so schwer zu folgen ist wie einem Scooter-Text ("How much is the fish?").
Die Spieler auf dem Rasen tragen Handschuhe und lange Unterhosen und auch das sieht, mit Verlaub, einfach scheiße aus. Die Spieler auf den Ersatzbänken kauern ihren Ersatzspielerfrust unter bundeswehrbataillon starken Deckenschichten aus. Was, ja, scheiße aussieht. Zuschauer tragen Trikots über drei Lagen Pullover/Thermounterwäsche und das sieht, man mag es ahnen, meistens ziemlich scheiße aus.
Enger als die M10 kurz vor Mitternacht
Und wer lieber in dann oft bodenlangen Daunenjacken ins Stadion einzieht, sitzt neben anderen, bodenlangen Daunenjacken und dann wird es enger als in der M10 kurz vor Mitternacht. Und richtig klatschen kann man mit Handschuhen auch nicht.
Und die Füße werden erst feucht, dann kalt, dann beides und dann muss man noch häufiger auf Toilette als eh schon, obwohl man ja gar nix trinkt und dann watet man von und zu den Örtlichkeiten durch eine unheilvolle Mischung schwarzer, klebriger Boden-Plörre, die einem jede Konzentration auf das Spiel raubt, weil man sich nun fortan fragt: Muss ich die Schuhe jetzt wegschmeißen oder aus Selbstschutz direkt verbrennen? Und in der S-Bahn auf dem Heimweg fällt die Heizung aus.
Kurzum: Fußball im Winter ist wie ein Element-of-Crime-Song — nur ohne den Witz.
Sendung: rbb24, 29.11.2024, 22 Uhr