Konzertkritik | Sleaford Mods in Berlin - Die Wüteriche sind zahm geworden
Die Sleaford Mods aus Nottingham sind im fortgeschrittenen Alter Popstars geworden. Mit ihren Elektropunk-Schimpftiraden füllen sie mittlerweile Hallen. Das hat nicht nur Gutes - sagt Hendrik Schröder über das Konzert in der Berliner Columbiahalle
Ein Sleaford Mods Konzert muss man sich rein äußerlich so vorstellen: Programmierer und Beatbastler Andrew Fearn (ersetzte 2012 Gründungsmitglied Simon Parfrement, der seitdem Band-Manager ist) drückt an seinem Laptop einen einzigen Knopf und der Sound geht los.
Jede Note klingt genau so, wie man es von den Alben kennt. Fearn tut gar nicht erst so, als würde er da irgendwas live machen. Er fährt den Sound einfach ab und tanzt dann in kurzer Jogginghose hampelige Ausdruckstänze über die Bühne, die wie irgendwas zwischen Slapstick und Sportübung aussehen.
Während der Sänger Jason Williamson, tätowierte Unterarme, ebenfalls in Sporthosen, meist zur Seite gedreht endlose Wortsalven an Schimpfwörtern, Beleidigungen und derben Kommentaren zu den aktuellen Verhältnissen in Großbritannien losballert, bei denen es an "fucks", "cunts" und "bastards" nur so wimmelt. Immer wieder hält sich Williamson dabei eine Wasserflasche über den Kopf und krächzt. Keine Ahnung warum, sieht aber irgendwie gut aus, so dadaistisch.
Dazu ballert Strobo Licht aus 20 Scheinwerfern mit gefühlt 1 Million Lux frontal in die Augen der Zuschauer. Und das 90 Minuten lang. Ohne Pause. Und quasi ohne Ansagen. Und dazu stehen nun 3.500 Leute dicht gedrängt in der ausverkauften Columbiahalle.
Sprache wie eine Waffe
Die Musik und das ganze Konzert sind natürlich wahnsinnig eintönig und monoton hämmernd. Aber so soll das auch sein.
Mit ihren stänkernden Lyrics wurden die Sleaford Mods in Großbritannien zu einem Sprachrohr und einem Katalysator für alle Unterprivilegierten, für jugendliche Arbeitslose und abgehängte Kapitalismusverlierer. Und davon gab und gibt es viele.
Sänger Williamson, der selbst aus eher einfach Verhältnissen kommt und auf einem Bauernhof aufwuchs, benutzt dabei seinen dreckigen East Midlands Dialekt wie eine Waffe. Und die Waffe traf und traf. Im Lauf der letzten Jahre wollten sich immer mehr Menschen davon anschießen lassen. Erst in Pubs und Bars, dann in kleineren Clubs und jetzt sind die Sleaford Mods eben so groß, dass sie in Berlin eine ausverkaufte Halle spielen.
Etabliertes Publikum, Popstar-Millionäre, minimalistische Performance
Im Berliner Publikum stehen allerdings keine Verlierer und keine sinnsuchenden Vorstadtkids, sondern etablierte linksliberale Mittvierziger. Der Eintritt kostet 42 Euro. Das ist ein mittlerweile völlig normaler, durchschnittlicher Preis, Konzertproduktionen sind teuer geworden. Aber das ist eben auch ein Preis, den sich die besungenen Menschen aus den prekären Verhältnissen eher nicht leisten können.
Und diese Gemengelage: Halle statt Club, etabliertes Publikum - zusammen mit einer Performance, die zwar immer noch minimalistisch und roh daherkommt, aber eben auch arbeitsroutinenmäßig eingeübt (allein, dass sie wirklich auf die Sekunde wie angekündigt um 21 Uhr anfangen). Das alles sorgt dafür, dass ein Fan nach dem Konzert zu seiner Begleitung sagt: "Ich hab die jetzt fünfmal gesehen, früher waren sie besser".
Klar. Auf der Bühne stehen Popstar-Millionäre, im Publik Besserverdiener. Die Wut, das Unbändige, das funktioniert eben immer nur für ein Momentum. Wenn es sich einspielt, wird es zu etwas anderem. Am Ende - und das sieht schon echt cool aus, weil so stumpf und unbeeindruckt - packt Programmierer Fear seinen Laptop in einen Rucksack, winkt und geht und das Konzert ist vorbei.
Selbstverständlich sind die Sleaford Mods noch eine tolle Band. Aber mittlerweile ist das eben eher eine Kunstperformance als der "Soundtrack zur nächsten Revolte".
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.10.2023, 07:15 Uhr