Kommentar | Aufruf gegen Antisemitismus - Ein gemeinsames Konzert wäre jetzt die richtige Antwort

Mi 08.11.23 | 18:14 Uhr | Von Maria Ossowski
Die Berliner Philharmoniker (Quelle: dpa)
Audio: rbb24 Inforadio | 08.11.2023 | Maria Ossowski | Bild: dpa

Die Berliner Orchester stellen sich gegen Antisemitismus und Rassismus. In einem Aufruf zum 9. November werben die Orchester und Opernhäuser für ein friedliches Miteinander. Doch das reicht nicht, kommentiert Maria Ossowski.

I have a dream. Ich habe einen Traum.

Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor oder auf dem Bebelplatz neben der Oper, mit einem Glasdach gut gegen Witterungsunbill geschützt, nehmen Musikerinnen und Musiker unserer großen Orchester Platz. Eine bunte Mischung aus Philharmonikern, Sinfonikern, Konzerthauskünstlern und Opernorchestern. Am Pult stehen nacheinander Joana Mallwitz, Christian Thielemann, Kirill Petrenko, Donald Runnicles und alle anderen Orchesterchefs. Sie spielen gemeinsam vor einem Publikum von 30.000, vielleicht sogar 40.000 Gästen. Sie setzen damit ein Zeichen für jene Menschen unter uns, die sich seit über vier Wochen noch mehr fürchten als ohnehin schon.

Die die Namen an ihren Klingelschildern ändern, weil sie Angst haben. Die an ihren Türen die kleinen Schriftrollen, die Mesusah, entfernen. Die nur noch ohne Davidsternkette oder Kippa U-Bahn fahren. Die ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken, die freitags nicht mehr in die Synagoge gehen. Aus Angst.

Ein Fanal gegen den in Berlin grassierenden Judenhass

Der größte jüdische Gemeindeverband hat gebeten, die wöchentlich erscheinende "Jüdische Allgemeine" künftig ohne Absender zu schicken. Die Postzusteller sollen nicht wissen, wer jüdisch ist, die Nachbarn möglichst auch nicht. Und all das passiert heute in Berlin, in der Stadt von Moses und Felix Mendelssohn, in der Stadt von Kurt Tucholsky und Max Reinhardt, von Friedrich Hollaender und Max Liebermann und Elisabeth Bergner, jenen Küsterinnen und Künstlern, die einst Berlin zu einer Kulturweltstadt formten, bevor die Nazis in eben dieser Stadt den ersten industriellen Massenmord der Menschheitsgeschichte planten.

Was wäre dieses Konzert für ein Symbol des Mitgefühls, des Miteinanders, auch des Schutzes unserer jüdischen Freundinnen und Freude, was wäre dieses Konzert für ein Statement gegen die Sonnenallee-Dschihadisten, die das Pogrom der Hamas mit spontanen Freudentänzen und Süßigkeiten gefeiert haben. So ein Konzert wäre keine Einmischung in den Nahostkonflikt. Es wäre ein Fanal gegen den weltweit und auch in Berlin grassierenden Judenhass, der wieder einmal seine hässliche Fratze zeigt.

Ein Traum, mitten in alptraumhaften Tagen

Nein, es gibt kein solches Konzert. Stattdessen erreichen uns warme Worte, nicht allzuviele, dafür auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner formuliert, unterschrieben von allen großen Klangkörpern der Stadt. Ein Aufruf, dass wir uns nicht von Hass und Hetze leiten lassen dürfen, ein Aufruf gegen Antisemitismus und Rassismus für Gewaltfreiheit und Offenheit und gegen jede Form der Ausgrenzung, die keinen Platz in der Gesellschaft haben dürfen. Wie bitte? Judenhass hat längst die Plätze erobert, nicht nur in Neukölln.

Von warmen Worten unserer Orchestervorstände verschwindet der nicht, und warme Worte trösten auch nicht unsere jüdischen Freundinnen und Freunde. Es geht um die Tat, ein gemeinsames Konzert, aber das bleibt ein Traum, mitten in unseren alptraumhaften Tagen.

Beitrag von Maria Ossowski

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