Reportage | "Taxifilmfest" protestiert gegen Uber - "Wenn Uber weiter alles sponsort, geh ich nirgends mehr rein!"
Der US-Fahrtenvermittler Uber ist in diesem Jahr erneut Hauptsponsor der Berlinale. Für viele Berliner Taxifahrer:innen ist das ein Skandal. Mit seinem "Taxifilmfest" setzt Klaus Maier ein künstlerisches Zeichen gegen die Partnerschaft. Von Marvin Wenzel
Während am Dienstagabend die US-amerikanische Regie-Ikone Martin Scorsese auf dem roten Teppich vor blitzenden Kameras posiert und anschließend im Berlinale Palast den Goldenen Ehrenbären verliehen bekommt, breitet Klaus Meier seinen eigenen roten Teppich aus. Der Taxifahrer rollt das zwei Quadratmeter große Stück Stoff vor einem Großraumtaxi aus, das nur wenige Hundert Meter vom Blitzlichtgewitter entfernt ist. Das beige Fahrzeug steht auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße, die Schiebetüren zieren eine Folie mit der Aufschrift "Taxifilmfest".
Das Festival ist eine Art Gegen-Berlinale der Berliner Taxifahrer:innen. Klaus Meier hat die offiziell als Kundgebung angemeldete Aktion ins Leben gerufen: An allen elf Tagen der Berlinale lädt der 63-Jährige andere Taxifahrer:innen ein, um gemeinsam in einem Großraumtaxi gute Filme zu schauen. Und: damit ein Zeichen gegen den US-amerikanischen Fahrtenvermittler Uber zu setzen, der seit 2022 Hauptsponsor der Berlinale ist. Meier, graue Schiebermütze und schwarze Lederjacke, arbeitet seit über 40 Jahren im Taxigewerbe. Für ihn ist die Partnerschaft eine "Katastrophe": "Uber macht mit Lohndumping und Sozialbetrug Gewinne und zerstört damit das Taxigewerbe." Gegen solche Rechtsverstöße müsse gekämpft werden.
Trotz Kritik entscheidet sich Berlinale-Leitung für Uber-Sponsoring
In den vergangenen Jahren gab es vermehrt Medienberichte zu schlechten Arbeitsbedingungen und einer undurchsichtigen Unternehmensstruktur bei Uber. Zudem fährt laut einer rbb24 Recherche jedes fünfte Uber-Fahrzeug ohne offizielle Anmeldung.
Als Uber vor einem Jahr das erste Mal die Berlinale sponserte, protestierte Meier noch mit Schildern. Auf ihnen waren Sprüche, wie "Uber tötet Taxifahrer" zu lesen. Trotz viel Kritik, auch aus Politik und der Kulturszene, hielt die Berlinale-Leitung an ihrem umstrittenen Hauptsponsor fest und entschied sich dafür, die Gäste in diesem Jahr erneut mit einer Uber-Flotte auf den roten Teppich zu bringen.
Als Meier von dieser Entscheidung im Dezember hörte, war er sauer. Zu dieser Zeit gründete er in seiner Nachbarschaft ein Kiezkino. Dabei kam er auf die Idee, die Kraft des Kinos auch für den künstlerischen Protest zu nutzen. "Einfach wieder Plakate hochhalten wäre doch langweilig", sagt er. Umso mehr freut er sich über die große Resonanz: Täglich kämen Kamerateams vorbei, viele Taxifahrer:innen würden kurz halten und ihm sagen, dass sie von der Aktion aus den Medien erfahren hätten, und sie toll finden. Taxiunternehmerin Irene Jaxtheimer, die heute mit dabei ist, sagt: "Erst die Berlinale, jetzt die Uber-Arena in Friedrichshain. Wenn Uber weiter alles sponsert, gehe ich da nirgends mehr rein!".
"Wir Taxifahrer haben alle den gleichen Feind"
Meier, gebürtiger Berliner, wuchs mit Filmen auf: Sein Vater war Trickfilmzeichner im Studio Babelsberg, dort verbrachte er viel Zeit in seiner Kindheit. Selbst arbeitete er neben seinem Job als Taxifahrer einige Jahre für das aus der Berlinale gegründete “VideoFest” sowie das Kunstfestival "Transmediale". In der Organisation von künstlerischen Events ist er geübt. Trotzdem war er auf die Unterstützung von befreundeten Taxifahrer:innen angewiesen, die ihm das Großraumtaxi zur Verfügung stellten und sich um Lichtstrahler und den roten Teppich kümmerten, die das Taxi nun in abendlicher Stimmung in Szene setzen. "Wir Taxifahrer sind eigentlich Individualisten, aber wir haben alle den gleichen Feind", sagt Meier. "Da müssen wir zusammenhalten!"
Auf einem kleinen Flachbild-Fernseher im Taxi zeigt Meier täglich von 17 bis 22 Uhr Filme, in denen Taxis eine bedeutende Rolle spielen. Zum Beispiel "Night on Earth" von Jim Jarmusch und passend zur Ehrenbär-Verleihung den Scorsese-Klassiker "Taxi Driver" aus den Siebzigerjahren. "In den Filmen wird klar, dass Taxis ein bedeutender Teil der Stadt und ein Kulturgut sind", sagt Meier. Meist seien Szenen in Taxis wichtige inhaltliche Wendepunkte, an denen sich die gesamte Handlung des Filmes entscheide.
"Vom Taxifahren kann man heute nicht mehr leben"
Als Vorfilm zeigt er an diesem Abend einen Dokumentarfilm über kanadische Taxifahrer im Toronto der Achtzigerjahre. Zu dieser Zeit legte Meier seine Taxiprüfung ab, bei der er die gesamte Berliner Stadtkarte noch auswendig in seinem Kopf beherrschen musste. Während seines Berufseinstiegs hätte er "einen Kunden nach dem anderen" eingesammelt und 18 Mark pro Stunde verdient. Damals: ein "super Lohn". In den letzten zehn Jahren sei die Bezahlung durch die Konkurrenz von Uber und weiteren Fahrtenvermittlern wie Bolt so stark gesunken, dass kaum noch ein:e Taxifahrer:in auf den Mindestlohn käme. Meier sagt: "Davon kann man nicht mehr leben!"
Spitzname "Taxi-Soziallotse"
Seit fünf Jahren fährt er sein Taxi nur noch nebenberuflich. Bei seinen Kolleg:innen hat er sich in dieser Zeit den Spitznamen "Taxi-Soziallotse" erarbeitet und kümmert sich nun hauptberuflich um die Sorgen seiner Kolleg:innen. Er berät sie in prekären Arbeitsverhältnissen und bei Rechtsfragen. Zudem setzt er sich auch außerhalb der Protestaktionen politisch für sie ein. Am Mittwoch spricht er auf einer Sitzung des Mobilitätsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Er will von den Problemen seiner Kolleg:innen berichten "und Verhältnisse wie in Hamburg fordern". Während in Berlin knapp 4.500 Uber-Fahrzeuge offiziell angemeldet seien, gebe es in Hamburg nur 15 Stück. "Dort sind die Regulierungs- und Kontrollmaßnahmen strenger: Wer die Regeln nicht einhält, bekommt keine Zulassung." Die Berliner Behörden würden die Rechtsverletzungen von Uber bisher einfach ignorieren, sagt er.
Dem stimmen auch seine Taxi-Kolleg:innen zu, die es sich in dem Großraumtaxi bereits gemütlich gemacht haben und auf den Hauptfilm des Abends von Martin Scorsese warten. Den Regisseur hat Meier auf einen Kaffee im Großraumtaxi eingeladen - keine Reaktion. Aber mit oder ohne Stargast: Meier ist auch optimistisch, dass das "Taxifilmfest" ein "Wendepunkt" in der Geschichte der Berliner Taxifahrer:innen und ihrer Arbeitsbedingungen werden könnte.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2024, 13:00 Uhr