Nahostkonflikt - Politik wertet Israel-Kritik bei Preisverleihung als "Schaden für die Berlinale"
Bei der Preisverleihung am Samstag war auch der Krieg in Nahost Thema, Israel wurde "Genozid" und "Apartheid" vorgeworfen. Der Umgang mit den Vorwürfen bei der Berlinale-Preisgala stößt in der Politik auf deutliche Kritik.
Nach politisch umstrittenen Äußerungen zum Nahostkonflikt auf der Berlinale-Preisverleihung fordert Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) Maßnahmen der neuen Berlinale-Festivalleitung, um Relativierungen in Bezug auf Israel zu verhindern.
"Berlin hat eine klare Haltung, wenn es um die Verteidigung der Freiheit geht. Das bedeutet auch, dass Berlin fest auf der Seite Israels steht. Darüber gibt es keinen Zweifel", schrieb Wegner dem rbb auf Anfrage. "Die volle Verantwortung für das tiefe Leid in Israel und dem Gazastreifen liegt bei der Hamas. Sie hat es in der Hand, dieses Leid zu beenden, indem sie alle Geiseln freilässt und die Waffen niederlegt. Hier gibt es keinen Raum für Relativierungen. Ich erwarte hier Maßnahmen der neuen Berlinale-Festivalleitung", so der Regierende Bürgermeister.
Auch Fachpolitikerinnen und -politiker des Berliner Abgeordnetenhauses übten Kritik an Äußerungen auf der Berlinale-Preisverleihung. Viele sagten dem rbb auf Anfrage, sie befürchteten, das Filmfestival könnte nun einen politischen Schaden davontragen.
Filmschaffende sprechen von "Genozid" und "Apartheid"
Bei der Berlinale-Preisverleihung gewann "No Other Land" den Dokumentarfilmpreis. Der Film dreht sich um die Vertreibung von Palästinensern im Westjordanland. Jurymitglied Véréna Paravel trug während der Laudatio einen Zettel mit der Aufschrift "Cease Fire Now" ("Waffenstillstand jetzt") auf dem Rücken. Der palästinensische Regisseur von "No Other Land", Basel Adra, nahm in seiner Dankesrede Bezug auf den aktuellen bewaffneten Konflikt im Gazastreifen: "Es ist für mich sehr schwer zu feiern, wenn Zehntausende meines Volkes in Gaza gerade durch Israel abgeschlachtet werden." Zudem richtete er den Appell an Deutschland, keine weiteren Waffen an Israel zu liefern. Dafür erhielt er Applaus. Sein Co-Regisseur, der israelische Journalist Yuval Abraham, sprach von "Apartheid" im Westjordanland.
Als später bei der Preisverleihung in einer anderen Kategorie der Dokumentarfilm "Direct Action" ausgezeichnet wurde, sagte dessen Regisseur Ben Russell in seiner Dankesrede: "Natürlich stehen wir hier auch auf für das Leben. Waffenstillstand jetzt! Natürlich sind wir gegen den Genozid. Wir stehen in Solidarität mit all unseren Kameraden." Hierfür gab es Applaus. Russell trug während der Preisverleihung ein sogenanntes Palästinensertuch.
Israelischer Botschafter richtet Vorwurf an deutsche Kulturszene
Der Israelische Botschafter Ron Prosor äußerte sich am späten Sonntagabend auf "X" (früher Twitter) zum Vorfall und kritisierte die deutsche Kulturszene insgesamt. Diese habe "einmal mehr" ihre Einseitigkeit gezeigt, indem Künstlern der rote Teppich ausgerollt worden sei, die sich für die Deligitimierung des Staates Israels einsetzten, so Prosor.
"Auf der Berlinale wurden antisemitische und israelfeindliche Äußerungen mit tosendem Applaus bedacht. Es scheint, dass die Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde", schrieb Prosor. "Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit" werde antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert.
CDU und SPD kritisieren mangelnde Reaktion bei Preisverleihung
Kultursenator Joe Chialo (CDU) sieht die Festivalleitung in der Pflicht: "Die Kultur sollte Raum für vielfältige politische Meinungsäußerungen bieten, doch die diesjährige Preisverleihung der Berlinale war geprägt von selbstgerechter antiisraelischer Propaganda, die nicht auf die Bühnen Berlins gehört", schrieb Chialo am Sonntag auf X. Es sei zu hoffen, dass die Festivalleitung die Vorfälle konsequent aufarbeite.
"Die antiisraelischen Ausfälle bei der Preisverleihung waren beschämend, auch wenn sie nur von einer lautstarken Minderheit im Publikum abgefeiert wurden", sagte Robbin Juhnke dem rbb. Der kulturpolitische Sprecher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierte die Berlinale-Leitung und die Moderation der Preisverleihung dafür, dass sie Aussagen wie dem Genozidvorwurf nicht auf der Bühne begegnet seien. Insgesamt fand der CDU-Politiker: "Ein Teil der Branche hat sich gestern als selbstgerecht und mit doppelten Standards agierend disqualifiziert. Der Berlinale ist damit ein Schaden entstanden."
Auch Melanie Kühnemann-Grunow, medienpolitische Sprecherin der SPD, kritisierte die Vorkommnisse auf der Preisverleihung. "Bei manchen Kulturschaffenden gibt es offenbar eine mangelnde Fähigkeit, zu differenzieren - und auch das Leid Israels zu sehen", so Kühnemann-Grunow. "Mir fehlte die kritische Sicht auf den 7. Oktober und die Anerkennung, dass dieser Tag für den israelischen Staat traumatisch war." Die SPD-Politikerin kritisierte, dass die Forderung nach einer Freilassung israelischer Geiseln nur in einem kurzen Redebeitrag der Festival-Leiterin Mariette Rissenbeek zu Beginn der Preisverleihung eine Rolle spielte. "Ich finde schon, dass ein Schaden für die Berlinale entstanden ist - ob man das heilen kann, wird sich zeigen", sagte Kühnemann-Grunow. "Für uns ist auch entscheidend: Was hat Berlin von der Berlinale? Wenn da ein Schaden entsteht, müssen wir ja am Ende damit leben." Sie verwies darauf, dass das Filmfestival zwei Millionen Euro aus dem Berliner Landeshaushalt erhalte.
"Ich befürchte, es gibt einen politischen Schaden für die Berlinale"
"Ich habe das als emotionalen und moralischen Tiefpunkt wahrgenommen", kommentierte die Grünen-Politikerin Daniela Billig. Viele im Publikum hätten in den entsprechenden Momenten ebenso wie sie nicht applaudiert. "Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu tun - auch den Gedanken, eventuell mit den Füßen abzustimmen und das Publikum zu verlassen." Entgegen ihrer Hoffnung habe auf der Bühne niemand gegengesteuert, etwa die Moderation. "Ich befürchte, es gibt einen politischen Schaden für die Berlinale", so die kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. "Es bleibt ein sehr bitterer Beigeschmack. Die Vorkommnisse sind ein schweres Erbe für die neue Direktorin. Die Kulturszene hat sich damit einen Bärendienst erwiesen."
Die medienpolitische Sprecherin der Linken, Anne Helm, kritisierte ebenfalls, dass die "Geiseln und Opfer der Terroroffensive keine Erwähnung" gefunden hätten. Zwar sei es "verständlich und legitim", wenn Künstlerinnen und Künstler die ihnen gebotene Bühne nutzten, um sich gegen den "verheerenden Krieg in Gaza" zu positionieren, "dem Tausende Unschuldige zum Opfer fallen". "Beim unwidersprochenen Vorwurf eines planvollen Genozids ist aber eine Grenze überschritten", so Helm.
rbb-Intendatin Ulrike Demmer sagte am Sonntag vor der Verleihung des Panorama-Publikumspreises an "No Other Land", der von radioeins in Zusammenarbeit mit der Berlinale verliehen wird: "Jedes Unrecht hat ein Recht darauf, gehört und gesehen zu werden - so auch das Leid, das der Film "No Other Land" im Westjordanland beschreibt. Das relativert aber in keiner Weise die furchtbaren Verbrechen, die die Hamas am 7. Oktober im Süden Israels verübt hat und die so viele Juden das Leben gekostet hat."
Ärger um israelfeindlichen Berlinale-Post bei Instagram
Für Ärger sorgte auch ein israelfeindlicher Post auf dem Instagram-Profil des Festivals. Auf X, ehemals Twitter, kursierten am Sonntag Screenshots von dem Konto der Panorama-Sektion der Berlinale. Auf einem Foto war der Slogan "Free Palestine - From the River to the Sea" ("Freies Palästina - vom Fluss bis zum Meer") zu sehen. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer - dort, wo sich jetzt Israel befindet.
Die Berlinale distanzierte sich von dem Beitrag."Diese Posts stammen nicht vom Festival und repräsentieren nicht die Haltung der Berlinale", teilte die Berlinale am Sonntagabend in ihrer
Instagram-Story mit. "Wir haben sie sofort gelöscht und eine Untersuchung angestoßen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte." Das Filmfestival kündigte an, eine Strafanzeige gegen Unbekannt zu erstatten.
Sendung: rbb24 Radioeins, 25.02.2024, 18 Uhr
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