Berliner Krisenhilfe - Neue Außenstelle soll Kindernotdienst entlasten

Kindernotdienst-Beschäftigte klagen immer wieder über Gewaltvorfälle. Angesichts der chronischen Überlastung der Krisenhilfe soll ein neuer Raum die Situation verbessern – und der Senat stellt weitere Hilfen in Aussicht. Von Kirsten Buchmann
Im Berliner Kindernotdienst herrscht ein ständiges Kommen und Gehen: Erst am Mittwochabend haben vier Kinder das Haus in Kreuzberg mit Garten und Klettergerüst verlassen. Zwei neue kamen in der Nacht dazu."Viele Kinder bleiben ein paar Tage", sagt Alexandra Haberecht, die vor zwei Monaten die Arbeit als kommissarische Leiterin des Kindernotdienstes begonnen hat. Im Moment hat sie mit ihren zehn Plätzen neun Kinder in Obhut. "Manche Inobhutnahmen sind kurz, weil die Eltern gerade ihr Sorgerecht nicht ausüben können", erklärt Haberecht. "Dann können die Kinder nach zwei Tagen zurück."
Bewerbungsverfahren auch für Kinder
Nicht alle finden nach den ursprünglich vorgesehenen maximal drei Tagen im Kindernotdienst Anschlussplätze, etwa in anderen Einrichtungen. Kinder erleben, dass andere nach Hause dürfen, sie aber monatelang bleiben müssen, weil sie nicht zurück können und sich für sie kein passender Platz findet. Haberecht hat die Erfahrung gemacht, sie seien teilweise frustriert, "weil sie die Ablehnung aus dem Elternhaus und von Einrichtungen erfahren." Es gebe Bewerbungsverfahren auch für Kinder. "Dann müssen sie sich vorstellen und wissen auch, dass sie abgelehnt werden können."
Solcher Frust entlade sich immer wieder in Gewalt, hatten Beschäftigte Anfang Juni in einem offenen Brief geschildert - in Gewalt auch gegenüber Jüngeren. Einige Kinder bewaffneten sich, um sich vor Übergriffen anderer zu schützen oder "selbst welche zu begehen", heißt es in dem Brief. Als eine Reaktion darauf wurde in einem Nachbargebäude ein Raum eingerichtet, um Kleinkinder von Älteren getrennt unterbringen zu können. Nach Einschätzung der kommissarischen Leiterin Haberecht entspannt das die Situation: "Es gibt natürlich Gewaltvorfälle, es gibt Frustration, aber das ist nicht das Hauptaugenmerk, wie die Gruppe hier funktioniert."
Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) schaut sich bei einem Besuch die Neuerungen im Kindernotdienst an. "Hier kommen schwerstbelastete, traumatisierte Kinder her, weil es Ausnahmesituationen sind, mit denen sich der Notdienst befassen muss." Umso wichtiger sei es, "dass die Qualifikation da ist und die Schutzkonzepte funktionieren."
Neue Außenstelle ab September
Die Bildungsverwaltung hatte auf den offenen Brief reagiert, indem sie unter anderem tagesstrukturierende Angebote freier Träger für die Mädchen und Jungen in Kindernotdienst ausweitete. Ausflüge, Sport oder Basteln sind einige Beispiele.
Um den Standort in Friedrichshain-Kreuzberg zu entlasten, hat sie zudem für Ende September eine neue Außenstelle in Treptow-Köpenick angekündigt. Dort sollen vier Kinder mit komplexem Hilfebedarf intensiv betreut werden. Kinder, die nicht schnell in Anschlusseinrichtungen vermittelt werden können, sollen bleiben können, bis sich für sie ein geeignetes Angebot findet. Drei weitere Plätze an dem neuen Ort sind als Ausweichplätze gedacht, wenn der Kindernotdienst in der Gitschiner Straße voll belegt ist.
Fünf Millionen Euro wolle die Koalition 2023/24 zur Verfügung stellen, um die Plätze in bestehenden Einrichtungen der stationären Jugendhilfe zu erweitern, sagt Jugendstaatssekretär Falko Liecke (CDU).
Kinder ohne Perspektive
Perspektivisch ist zudem eine Einrichtung an der Schnittstelle zur Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgesehen. Sie soll mit 25 Plätzen in Steglitz-Zehlendorf entstehen. Mit ihrem Start rechnet die Bildungsverwaltung in zwei Jahren. Als ein Problem hatten Beschäftigte geschildert, dass Kinder ohne Anschlussperspektive aus der Psychiatrie entlassen würden und deshalb zum Kindernotdienst kämen.
Im Kindernotdienst hat sich aus Sicht von Liecke inzwischen die Personalsituation verbessert: "Es geht jetzt hier echt aufwärts im Vergleich zu den vergangenen Monaten." Von 45 Beschäftigten seien zehn krankgemeldet, rechnet die Bildungsverwaltung vor, also nicht mehr 28 wie Anfang Juli. Bis auf eine Verwaltungs- und eine Hauswirtschafts-Stelle des Kindernotdienstes seien momentan alle besetzt.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Senatsverwaltung unterstützten den Kindernotdienst zudem personell. Auch wenn Notdienst-Beschäftigte weitere Gewaltvorfälle in der Einrichtung schilderten und nach wie vor in Sorge sind, Kinder nicht sicher unterbringen zu können, erhielt die Bildungsverwaltung zuletzt keine weiteren Überlastungsanzeigen.
Sendung: rbb24 Inforadio , 10.08.2023, 16:06 Uhr