Defekte Aufzüge im ÖPNV - Wie eine S-Bahn-Fahrt im Berliner Osten für einen Rollstuhlfahrer zur Odyssee wurde
Mehr als 400 Aufzüge verzeichnen BVG und Deutsche Bahn in Berlin – ein guter Wert im internationalen Vergleich. Doch was tun, wenn nahezu 50 davon nicht funktionieren? rbb|24-Autor Frank Preiss sitzt im Rollstuhl und berichtet von einem düsteren Tag.
- BVG und Deutsche Bahn betreiben im Berliner ÖPNV knapp 440 Aufzüge
- Nach eigenen Angaben funktionieren sie bis zu 98 Prozent
- Reparaturen erfolgen über Meldeketten
- Jährlich entstehen an Aufzügen sechsstellige Vandalismus-Kosten
- Der "Muva"-Bus der BVG soll Abhilfe schaffen, kann das aber nur bedingt
Berlin-Marzahn an einem kalten Dezembermittag. Gerade habe ich mein künftiges Auto in der Spezial-Werkstatt direkt neben dem Unfallkrankenhaus inspiziert. Eine Rampe zum Verladen meines E-Rollstuhls sowie ein schwenkbarer voll elektrifizierter Fahrersitz müssen eingebaut werden. Bis mein neues Auto auf meine Bedürfnisse eingestellt ist, bin ich auf Bus und Bahn angewiesen.
Wenn alles glatt läuft, dürfte ich von hier aus in 45 Minuten an meinem Zielbahnhof Pankow sein: Einsteigen in die S5 am Bahnhof Biesdorf, der dank Rampe barrierefrei ist. Dann am Ostkreuz aussteigen, per Aufzug auf die Ebene der Ringbahn und mit der S85 flugs zum Ziel.
Ein defekter Aufzug wirft alles durcheinander
Blöd nur, wenn besagter Aufzug kaputt ist, wie mir ein Blick auf "Broken Lifts" [brokenlifts.org] verrät – ein Portal, konzipiert und verwirklicht von Raul Krauthausens "Sozialheld*innen", das für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer inzwischen unentbehrlich ist. Abgebildet werden sämtliche aktuelle Aufzugsstörungen inklusive erwarteter Reparaturtermine.
Ein Plan B muss her, und das schnell. Am Alexanderplatz aussteigen und dann mit der U2 weiterfahren? Die endet nämlich in Pankow. Hoffnung macht sich breit. Und sackt in sich zusammen, als ich auf dem zugigen unwirtlichen Alexanderplatz feststellen muss, dass der Aufzug zur U2 mit Flatterband wegen Bauarbeiten abgesperrt ist.
Was nun? Per S-Bahn weiter zur Friedrichstraße, dort umsteigen und weiter zur Wollankstraße, dann weiter per Bus zum Bahnhof Pankow? Zu hohe Pannengefahr, zu viele potenzielle Fallstricke, sagt mir meine Erfahrung. Hektisch starre ich auf mein Smartphone und suche nach Alternativen.
BVG und S-Bahn betonen hohe Funktionsquoten
Als Rollstuhlfahrer in der kalten Jahreszeit in Berlin mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein, ist nichts für schwache Nerven. Und dringende Termine sollte man besser auch nicht haben.
Ein Blick auf "brokenlifts.org" verrät, dass just an diesem Tag, an dem ich unterwegs bin, 45 Aufzüge in der Stadt nicht funktionieren. Bei einer Gesamtanzahl von knapp 440 Aufzügen bei der BVG, S-Bahn und in den Berliner Fernbahnhöfen der Deutschen Bahn macht das einen Anteil von mehr als zehn Prozent.
Gleichwohl betont die BVG auf rbb|24-Anfrage: "Die Verfügbarkeit unserer Aufzüge ist sehr hoch. Im vergangenen und im aktuellen Jahr lag sie durchschnittlich bei rund 98 Prozent." Die S-Bahn spricht auf rbb|24-Anfrage von einer Verfügbarkeitsquote von 97 Prozent.
Vielleicht habe ich tatsächlich nur einen rabenschwarzen Tag erwischt? Allein am Verkehrsknotenpunkt Ostkreuz verweigern an diesem Tag gleich drei Aufzüge ihren Dienst. Dass sie nicht funktionieren, ist teilweise schon seit fünf Tagen bekannt. Doch getan hat sich nichts. Grundsätzlich verfolge man das Ziel, Ausfälle binnen weniger Tage instand zu setzen, teilt mir die S-Bahn mit.
Auch Aufzüge bei der BVG stehen länger still, manche wochenlang, wie jetzt gerade jener am U-Bahnhof Rüdesheimer Platz. Die BVG versichert auf unsere Anfrage: "Der Großteil der Störungen ist binnen kurzer Zeit (weniger Stunden) behoben. Längere Ausfälle über 24 Stunden bilden die Ausnahme."
Wer macht was, sobald der Aufzug kaputt ist?
Wie genau die Abläufe bei Aufzugreparaturen sind, lasse ich mir von beiden Verkehrsunternehmen erklären: Um die Reparaturen kümmern sich bei der BVG mehrere vertraglich gebundene Wartungsunternehmen. Ist ein Aufzug defekt, geht ein Signal über das BVG-Meldesystem ein.
Zunächst müssen sich BVG- Mitarbeiter vom Defekt überzeugen, dann melden sie den Schaden der Wartungsfirma. "Diese sind dann unmittelbar auf dem Weg, die Störung zu beheben oder weitere Maßnahmen zu ergreifen. Ersatzteile werden für eine zügige Reparatur vorgehalten, um Lieferzeiten zu vermeiden", versichert die BVG.
Bei der S-Bahn, die zur Deutschen Bahn gehört, werden "Anlagenausfälle vollautomatisiert per systemischer Schnittstelle an den Servicepartner für die Instandsetzung weitergegeben", wie eine Bahnsprecherin erläutert. Dass es auch mal länger dauern kann, erklären beide Unternehmen mit Ersatzteilen, die manchmal nur schwer verfügbar seien - oder mit Baumaßnahmen, die sich hinzögen.
Hinzu kommen sicher auch krankheitsbedingte Ausfälle bei den ehedem nicht üppig aufgestellten Monteuren – auch diese Branche leidet stark unter Fachkräftemangel.
Hohe Kosten durch Vandalismus
Sowohl die BVG als auch die S-Bahn sehen vor allem im Vandalismus einen Auslöser für Aufzugsstörungen. Ein prominentes Beispiel: In der Silvesternacht 2013/14 wurden Böller in den Aufzug an der U-Bahnstation Bülowstraße geworfen. Der Aufzug konnte erst zehn Monate später wieder genutzt werden. Daneben führen technische Pannen zu defekten Aufzügen, mitunter ausgelöst durch Fremdkörper im Lichtgitter, beispielsweise Laub oder Taschentücher, wie es von der BVG heißt.
Die defekten Aufzüge führen bei beiden Unternehmen zu hohen Kosten: Die BVG spricht von jährlich durchschnittlich rund 700.000 Euro. Der Deutschen Bahn entstehen jährlich Schäden von 600.000 Euro allein durch Vandalismus an Aufzugsanlagen in den Berliner Fernbahnhöfen sowie Berliner Regio- und S-Bahnhöfen.
Ist der "Muva"-Rufbus die Lösung?
Dass die BVG Handlungsdruck erkannt hat, zeigt derweil ihr Angebot "BVG Muva Aufzugersatz" [bvg.de]. Seit Juni können mobilitätseingeschränkte Passagiere den "BVG Muva-Bus" an 22 Bahnhöfen rufen, sobald dort der Aufzug nicht genutzt werden kann. Der bringt dann die Betroffenen zum nächsten barrierefreien Bahnhof, kostenlos, insofern man neben dem Schwerbehindertenausweis auch eine Wertmarke hat, die zum kostenlosen Benutzen des ÖPNV berechtigt. Eine solche stellt das Landesamt für Gesundheit und Soziales auf Antrag aus.
Abholmöglichkeiten gibt es bislang vor allem im Osten Berlins - entlang der Linien U5, U7 und U8, aber auch an den S-Bahnhöfen Attilastraße, Marienfelde und zwischen Jannowitzbrücke und Friedrichsfelde Ost beziehungsweise Karlshorst sowie Buckower Chaussee und Schichauweg. "Eine Erweiterung des BVG Muva Aufzugersatz auf das gesamte Stadtgebiet ist vom Land für 2024 vorgegeben", heißt es von der BVG. Angepeilt werde eine flächendeckende Versorgung mit dem Muva-Rufbus im Tarifbereich Berlin AB. Bis Ende 2024 halte er das durchaus für "realistisch", sagt mir ein BVG-Sprecher.
Fraglich bleibt derweil, ob überhaupt genügend Fahrpersonal für diese Rufbusse bereitstehen wird, sollte die Flotte tatsächlich erweitert werden. Schon für die Linienbusse hat die BVG nicht genügend Fahrpersonal, weshalb an Dutzenden Buslinien der Rotstift angesetzt werden musste.
Sozialheld*innen fordern klarere Vorgaben
Raul Krauthausen, Erfinder der Seite "Broken Lifts" und Inklusionsaktivist, hat die Muva-Busse schon genutzt und kommt zu einer durchwachsenen Zwischenbilanz: "Das ist eine nette Idee auf dem Papier, aber in der Praxis schwächelt das doch sehr", erzählt er mir. "Das Angebot funktioniert nicht, wenn man im U-Bahnhof unten steckt und der Aufzug kaputt ist. Das Angebot ist nur an wenigen Stationen verfügbar, so dass ich schon mehrfach enttäuscht wurde, sogar auf der U8. Das Auto fährt dich nur zur nächsten Station mit Aufzug. Bei einer Wartezeit von zehn bis 20 Minuten zur Abholung ist das also keine große Hilfe", sagt Krauthausen.
Dass sowohl BVG als auch S-Bahn für das Thema sensibilisiert sind, bestätigt derweil Krauthausens "Sozialheld*innen"-Kollege Holger Dieterich. Er hat vor zehn Jahren an der Entwicklung von "Broken Lifts" mitgewirkt. "Wir können definitiv sagen, dass sich bei einigen Anbietern die Zuverlässigkeit stark verbessert hat. Bei einigen aber noch nicht", bilanziert er. Namen will er keine nennen, um die Zusammenarbeit nicht zu beschädigen.
"Die technische Zusammenarbeit war bisher ziemlich gut, finden wir", sagt Diederich weiter. "Die Unternehmen kommen motiviert auf uns zu, um uns früh einzubeziehen - das ist auch neu verglichen mit dem Start des Projekts." Noch einen Schritt weiter käme man allerdings, wenn es noch klarere Vorgaben zu Barrierefreiheit gäbe, fügt Dieterich hinzu: "Es wird immer defekte Aufzüge geben, denn Geräte gehen kaputt - oder werden kaputt gemacht. Eine Vorgabe würde helfen, welches Service-Level notwendig ist, damit Menschen mit Behinderungen keine Nachteile im ÖPNV mehr haben. What gets measured, gets managed. Sonst ist der Druck oft groß, dass Bemühungen zur Barrierefreiheit schnell weggespart werden."
Fehlt der politische Wille?
Eigentlich hat das schon 2013 beschlossene "Personenbeförderungsgesetz" festgelegt, dass zum 1. Januar 2022 der ÖPNV in ganz Deutschland komplett barrierefrei sein muss. Die Sache hat allerdings eine Hintertür: "Die (…) Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden", heißt es in Paragraf 8 des Gesetzes.
Eine große Schwachstelle, an der sich so bald auch nichts ändern werde, kritisiert der Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV): "Die Umsetzung - sowohl finanziell, baulich als auch personell - ist überhaupt nicht geregelt." Die Ampel-Bundesregierung habe in ihrer Koalitionsvereinbarung lediglich vereinbart, die Ausnahmemöglichkeiten des Personenbeförderungsgesetzes bis 2026 komplett abzuschaffen.
Ankunft nach zweieinhalb Stunden
Unterdessen kommt mir am kalten und verregneten Alexanderplatz eine Idee. Seit nun schon fast einer Stunde bin ich unterwegs, meine Beine und Füße sind eiskalt. Ich entscheide mich für die Straßenbahn. Die ist für mich neben dem Bus noch das unproblematischste Fahrzeug. Allerdings auch das am meisten zeitraubende. Ich muss zweimal umsteigen, unter anderem kurz vor der Schönhauser Allee auf der Straßenebene.
Dummerweise habe ich vergessen, den Tramfahrer per Knopfdruck auf meine Ausstiegsstation hinzuweisen, so hilft nur ein lauter Ruf nach vorne. Genervt kommt der Tramfahrer nach hinten, wirft die Rampe raus und raunzt mich an, warum ich um alles in der Welt nicht den Knopf gedrückt habe. Letztlich komme ich nach zweieinhalb Stunden in Pankow an – durchgefroren und mit den Nerven am Ende.
Zwei Wochen später sitze ich dann in meinem warmen Auto. Und denke an die vielen Menschen, die ein solches Privileg nicht haben. Und an die Senioren mit Rollator, die sich schwer tun mit Smartphone-Apps und Internet. Für sie wird der defekte Lift zur besonders schweren Last.
Sendung: Fritz, 29.12.2023, 14:00 Uhr