Neue Ausschreibung geplant - Berliner Senat will gegen E-Scooter-Chaos vorgehen
E-Scooter, E-Bikes und Co. stehen nach wie vor häufig kreuz und quer auf Gehwegen. CDU und SPD planen eine neue Ausschreibung, die feste Stellflächen in der Innenstadt vorschreiben könnte. Die Opposition fordert strengere Zulassungsregeln für Fahrer. Von Tobias Schmutzler
- Schwarz-rote Koalition plant neue Ausschreibung
- E-Scooter Verbot rechtlich nicht möglich
- Grüne wollen strengere Registrierung von Fahrern - AfD schlägt Mofa-Führerscheinpflicht vor
Zack, schon ist der Roller umgefallen. Manuela Myszka kann sich noch so vorsichtig auf dem Gehweg vorantasten – an vielen E-Scootern kommt sie einfach nicht vorbei, ohne dass sie oder das Gerät aus dem Gleichgewicht geraten. Diesmal ist glücklicherweise der Tretroller umgefallen, nicht sie. Die 64-Jährige hat einen angeborenen Grauen Star, die Welt sieht sie verschwommen. Mit ihrem weißen Stock tastet Myszka beim Gehen gründlich den Boden vor ihren Füßen ab. Trotzdem läuft sie oft ungewollt in einen der wild abgestellten Roller.
"Das ist mittlerweile mein ständiger Angstbegleiter", sagt Manuela Myszka. "Ich regele das so, dass es für mich Tage gibt, an denen ich gar nicht mehr aus dem Haus gehe." Die Tage, an denen sie raus muss, weil sie zum Beispiel eine Verabredung hat oder einkaufen gehen will, nennt sie inzwischen "Risikotage". Nicht-Sehbehinderte könnten sich kaum vorstellen, wie groß die Alltagseinschränkung durch E-Roller für Menschen wie sie ist, sagt Myszka, die auch im Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten-Verband (ABSV) aktiv ist.
4 Jahre E-Scooter und immer noch Stress auf Berlins Straßen - auf Youtube anschauen
Verbot wie in Paris ist in Berlin nicht möglich
Genaue Zahlen gibt es nicht, aber der ABSV geht von mehreren Zehntausend blinden und sehbehinderten Menschen in Berlin aus. Für sie und andere, deren Mobilität eingeschränkt ist, etwa Seniorinnen und Senioren mit Rollatoren, sind schlecht geparkte E-Roller ein großes Problem. Fast 48.000 sogenannte Elektrokleinstfahrzeuge waren in Berlin im Mai 2023 zugelassen, 40.000 davon sind E-Scooter. Der Wildwuchs besteht seit Juli 2019, als die Sharing-Fahrzeuge auf Bundesebene durch den damaligen Verkehrsminister Scheuer (CSU) weitgehend unabgestimmt zugelassen wurden.
Seitdem versuchen viele Städte, die Lage durch Regulierung wieder in den Griff zu bekommen. Ein generelles Verbot von E-Scootern und Co. in einer Stadt ist dabei rechtlich nicht möglich, weil die bundesweite Verordnung gilt. Anfang April hatte eine Volksabstimmung in Paris weltweit für Aufsehen gesorgt, bei der – bei geringer Wahlbeteiligung – eine Mehrheit von 89 Prozent für ein Verbot stimmte, das nun ab September in der französischen Hauptstadt gelten wird.
CDU will weniger Anbieter und weniger Fahrzeuge
In Berlin setzt die schwarz-rote Koalition auf ein anderes Instrument, um das "verkehrswidrige und gefährliche Abstellen" zu beenden, wie es im Koalitionsvertrag heißt. CDU und SPD planen "eine stadtweite Ausschreibung und Konzessionierungen", also neue Zulassungen für die anbietenden Unternehmen. Details und Zeitplan der neuen Ausschreibung seien aber noch unklar, teilt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Mobilität dem rbb mit.
Während sich die Verwaltung der neuen CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner also noch bedeckt gibt, hat die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus schon klare Vorstellungen. Die Ausschreibung solle die Zahl der Anbieter und der Fahrzeuge reduzieren, sagt Johannes Kraft, verkehrspolitischer Sprecher der Christdemokraten im Abgeordnetenhaus. "Es gibt sehr gute Beispiele wie Düsseldorf, aber auch andere Städte in Europa, die eine solche Ausschreibung gemacht haben", so Kraft. Das Ziel aus seiner Sicht: "Zwei, drei, vier Anbieter – also: Konkurrenz muss sein, ein Monopol darf nicht entstehen –, aber diese Anbieter verpflichten sich zu bestimmten Dingen." Das Abstellen in bestimmten Zonen könnte laut Kraft ebenso festgeschrieben werden wie Nachhaltigkeitskriterien, darunter Vorschriften, wie umweltverträglich die Leihfahrzeuge produziert sein müssen.
Registrierung künftig nur mit Führerschein?
Aus Sicht der oppositionellen Grünen braucht es dagegen keine neue Ausschreibung. Die Verschärfung des Straßengesetzes, noch unter der alten Koalition im letzten September verabschiedet, gebe der Politik schon heute genug Steuerungsmöglichkeiten. Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, plädiert dafür, das sogenannte Geofencing in den Ausleih-Apps strenger einzusetzen. Durch das Geofencing kann das Abstellen in bestimmten Bereichen verboten werden. Kapek schlägt vor, Gehwege generell als Abstellflächen auszuklammern.
Zudem hält die Grünen-Abgeordnete eine strengere Registrierungspflicht für sinnvoll. Aktuell benötigen Nutzerinnen und Nutzer nur Emailadresse, Telefonnummer und Bezahlmethode, um sich fürs Scooter-Fahren anzumelden. Vergleichbar zur Registrierung für Carsharing-Autos sollten Menschen bei der Anmeldung künftig auch einen Identitätsnachweis mitliefern, etwa einen Führerschein, so Kapek. Das würde dem Ordnungsamt bei Verstößen die Verfolgung erleichtern. Auch die AfD setzt auf strengere Zulassungsregeln: "Ein Mofa-Führerschein sollte Voraussetzung sein, damit man einen E-Scooter benutzen kann", sagt Rolf Wiedenhaupt, verkehrspolitischer Sprecher der AfD.
Nur noch feste Stellflächen?
Aus Sicht des Linken-Abgeordneten Kristian Ronneburg sollte die schwarz-rote Koalition sich mit ihrer Ausschreibung beeilen. "Es muss Druck rein: Der nächste Sommer steht bevor, da werden wir wieder vermehrt E-Scooter auf den Straßen sehen", sagt der verkehrspolitische Sprecher der Linken. CDU und SPD sollten aus Ronneburgs Sicht jetzt beginnen, an der Ausschreibung zu arbeiten, damit sie im nächsten Sommer 2024 starten kann.
Die Ausschreibung muss dann auch die Frage klären, ob es beim weitgehend freien Abstellen der E-Scooter und Co. – dem sogenannten Free-Floating – bleiben wird, oder ob feste Stellflächen überall verbindlich werden. Der CDU-Abgeordnete Johannes Kraft sagt, es werde wohl auf ein "Mischkonzept" hinauslaufen: mit verpflichtenden Parkflächen im innerstädtischen Bereich, aber weiterhin Free-Floating in Außenbezirken. Auch Kristian Ronneburg von den Linken rechnet mit einem "hybriden Modell – je nach Besiedlungsgrad und Dichte": "Es wird kein Modell sein können, dass zu hundert Prozent auf Stationen basiert."
Unternehmen fordern Stellplätze alle 200 Meter
Dem stimmt auch Tier Mobility zu, eins der größten anbietenden Unternehmen in Berlin. Die Firma betreibt gut 13.000 E-Scooter und 3.500 E-Bikes in der Stadt. "Bei der Gesamtfläche Berlins kann und sollte es keine 'One size fits all'-Lösung geben", schreibt ein Sprecher dem rbb. "So gibt es beispielsweise stark frequentierte, dichte Verkehrsknotenpunkte in der Innenstadt, wo wir verpflichtende Parkflächen explizit begrüßen." Zielmarke seien für das Unternehmen "Abstellflächen für E-Scooter, Fahrräder und Lastenräder alle 150 bis 200 Meter". In anderen Stadtteilen solle dagegen "das Free-Floating-Prinzip unbedingt erhalten bleiben. Wir empfehlen nach Straßenfunktion und Lage (z.B. Wohngebiet oder Einkaufsstraße) sorgfältig zu differenzieren."
Im Studiogespräch in der rbb24 Abendschau Ende Mai sagte Christine Wenzel, Director Public Policy bei Tier: "Eine neue Ausschreibung begrüßen wir ausdrücklich." Sie warb allerdings auch dafür, den E-Scootern und Co. genug Platz einzuräumen: "Wir brauchen Fläche. Das wird PKW-Parkplätze kosten", so Wenzel.
Sehbehinderte: "Es ist eine ethische Frage"
Manuela Myszka wartet an der Blindenampel darauf, dass das Piepsgeräusch ihr gleich signalisiert, dass sie über die Straße gehen kann. Die Einführung der Elektrokleinstfahrzeuge im Juli 2019 war für Manuela Myszka sowas wie ein Tag X: Seitdem ist das Leben draußen für sie nicht mehr dasselbe. "30 Jahre lang haben die verschiedenen Landesregierungen Berlin zur behindertengerechten Stadt umgestaltet", sagt Myszka: mit Blindenampeln, Rillenplatten im Boden, Mobilitätstrainings für Sehbehinderte.
Diese Errungenschaft ist aus Manuela Myszkas Sicht inzwischen zu einem guten Teil verloren. "Für mich stellen die E-Roller nicht weniger als eine ethische Frage dar", sagt Myszka. Doch die Grundsatzfrage ist bereits entschieden: Ganz aus Berlin verschwinden werden die E-Roller, E-Bikes und zum jetzigen Stand nicht. Die neuen Regeln könnten die Situation zumindest verbessern. Sie werden aber sicher nicht so schnell in Kraft treten, wie Manuela Myszka es sich wünschen würde.