Geflüchtete in Berlin - 2.300 Menschen sind in Berlin von Abschiebung bedroht

Di 31.10.23 | 08:28 Uhr | Von Ann Kristin Schenten
Symbolbild: In Deutschland angekommene Geflüchtete (Quelle: dpa/Julian Stratenschulte)
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Audio: rbb24 Inforadio | 31.10.2023 | Ann Kristin Schenten | Bild: dpa/Julian Stratenschulte Download (mp3, 4 MB)

Die Bundesregierung will Asylsuchende ohne Bleibeperspektive konsequenter abschieben. In Berlin betrifft das mehr als 2.000 Menschen. Zwei von ihnen erzählen von dem Versuch, doch bleiben zu können. Von Ann Kristin Schenten

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte die Idee für ein Gesetz mit einem außergewöhnlich sperrigen Namen: Das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz soll Behörden ermöglichen, diejenigen ohne Bleibeperspektive schneller abzuschieben. Konkret betrifft das in Berlin, nach Zahlen der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, aktuell etwa 2.300 Menschen. Sie sind sofort ausreisepflichtig, kommen sie dem nicht freiwillig nach, droht die Abschiebung.

Deutlich mehr, 14.450 Menschen, gelten zwar als "vollziehbar ausreisepflichtig", doch sie werden geduldet. Damit haben sie ein vorübergehendes Bleiberecht, das ihnen der Staat verlängern oder wieder entziehen kann. Tatsächlich abgeschoben wurden in Berlin bis Ende September dieses Jahres 1.039 Personen.

Aktuell scheitern Abschiebungen häufig daran, dass Menschen an ihren Wohnorten nicht angetroffen werden, das soll sich durch das neue Bundesgesetz ändern. Die Behörden erhalten mehr Befugnisse. Sie dürften dann beispielsweise die Wohnung der Betroffenen ohne richterliche Erlaubnis betreten. Das neue Gesetz muss aber noch durch den Bundestag, es ist noch nicht rechtskräftig [tagesschau.de].

Mutmaßliche Gewalt an den EU-Außengrenzen

Der Syrer Jjumaa ist bereits 2011 mit seiner Frau und den fünf gemeinsamen Kindern vor dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland geflohen, wie er im Gespräch mit dem rbb erzählt. Zunächst führt die Flucht der Familie in die Türkei. Später reist Jjumaa allein weiter über die türkische Grenze nach Bulgarien. Sein Ziel ist Berlin. Er habe hier eine Arbeit finden wollen, um seine Familie später nachholen zu können. In Bulgarien, erzählt er, wird ihm Gewalt angetan: "Ich wurde dort festgenommen. Ich wurde geschlagen. Wir wurden in ein Zimmer ohne Dusche und Essen gesteckt und durften nicht raus."

"Sie haben uns festgenommen und in ein kleines Gefängnis gesteckt."

Ähnliches erzählt Abdul, auch er ist aus Syrien nach Berlin geflüchtet. Hier hat er Jjumaa kennengelernt. Im vergangenen Frühjahr überquerte Abdul ebenfalls die bulgarische Grenze. "Wir waren zu fünft, sie haben uns festgenommen und in ein kleines Gefängnis gesteckt. Sie haben mein Handy und mein Geld genommen", sagt Abdul, "Ich musste meine Kleidung ausziehen. Uns wurde kein Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Ich habe niemanden verstanden und mich hat niemand verstanden. Eine Woche hat man uns festgehalten."

Das, was Jjumaa und Abdul schildern, deckt sich mit Recherchen des ARD-Magazins Kontraste. Im Dezember 2022 wiesen Journalisten nach, wie Geflüchtete an den EU-Außengrenzen, unter anderem in Bulgarien, festgehalten werden. Als die beiden Syrer doch noch freikommen, führt sie ihre Flucht zeitversetzt weiter über Serbien, die Slowakei bis nach Deutschland.

Der Asylantrag wird abgelehnt

In Berlin stellen beide einen Asylantrag. Jjumaa erzählt von den Schwierigkeiten: "Ich kannte niemanden und habe einfach jemanden angesprochen, der mir erklärt hat, wo man hier Asyl beantragt. Am nächsten Tag habe ich einen Termin bekommen. Ich hatte Angst und habe mich nicht getraut zu erzählen, was mir in Bulgarien passiert ist." Sein Asylantrag wird abgelehnt, Abduls später ebenfalls. Die Syrer müssten zurück nach Bulgarien, heißt es. Denn dort haben sie die EU betreten. Bulgarien ist für ihr Verfahren verantwortlich. Sie gelten als sogenannte Dublin-Fälle, auch eine Duldung wird ihnen nicht erteilt.

Das Recht auf Asyl ist in Deutschland ein Grundrecht. Es gilt etwa für Menschen, die politische Verfolgung in ihrem Heimatland fürchten müssten. Allerdings regelt die EU mittlerweile weitgehend die Fragen des Flüchtlingsrechts. Die Dublin-Verordnung besagt, dass Geflüchtete in dem Land ihren Asylantrag stellen müssen, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben. Wer also über die EU-Grenze einreist und dann erst nach Deutschland, muss im Zweifel damit rechnen, wieder zurückzumüssen.

Kirchenasyl als letzte Hoffnung

Doch zurück in das Land zu gehen, in dem sie Gewalt erfahren haben? Das ist damals keine Option für Jjumaa und Abdul, wie sie heute sagen. Die Situation wirkt ausweglos: "Ich wusste nicht, was ich machen kann", sagt Jjumaa, "Ich habe alle möglichen Leute gefragt, was ich tun soll. Mir wurde dann aber gesagt, dass ich in einer Kirche Schutz suchen kann." Kirchenasyl ist für abgelehnte Asylbewerber wie Jjumaa und Abdul meist die letzte Möglichkeit, der Abschiebung zu entgehen. Die Polizei sucht die Menschen in den Kirchen nicht auf. Deutschlandweit befinden sich aktuell etwa 630 Personen im Kirchenasyl, etwa zwei Drittel von ihnen sind, wie Jjumaa und Abdul, sogenannte Dublin-Fälle.

Die Fälle werden wieder aufgerollt

Jjumaa lebte etwa ein halbes Jahr in der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg. Sein Asylantrag wurde neu bewertet. Er darf nun doch bleiben - auch, weil er als Syrer aus einem Kriegsgebiet kommt. Nun hofft er, seine Familie nachholen zu können. Abdul hingegen muss noch warten. Er ist erst in diesem April in das Asyl der Heilig-Kreuz-Kirche aufgenommen worden. Die Zeit vertreibt er sich damit, etwas Deutsch zu lernen. Die Bestätigung, dass er bleiben darf, soll kurz bevorstehen, doch die nötigen Papiere fehlen noch, erzählt eine Mitarbeiterin der Kirche.

Allerdings zeigt sich Abdul im Gespräch einer Sache sicher: Nach Bulgarien will er auf keinen Fall. "Ich würde lieber in Syrien sterben, als nochmal zurück nach Bulgarien zu gehen", sagt er.

Sendung: rbb24 Inforadio, 31.10.2023, 6 Uhr

Beitrag von Ann Kristin Schenten

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