Verwaltung in Berlin - Fünf Bezirke lehnen terminfreie Tage in Bürgerämtern ab
Um den Berlinerinnen und Berlinern mehr und vor allem zeitnahe Termine beim Bürgeramt zu besorgen, will der Regierende Bürgermeister Kai Wegner terminfreie Tage einführen. Doch in den Bezirken wächst der Widerstand gegen die Pläne. Von Sebastian Schöbel
Mit "großen Würfen" und "Gamechangern" will Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Verwaltung der Stadt modernisieren. Dabei ist sein letzter Vorschlag eher ein Rückgriff auf Altbekanntes: terminfreie Tage im Bürgeramt. Im Rahmen eines Experiments will Wegner ausprobieren, ob dadurch der Druck auf das Terminsystem gesenkt und vor allem die Ungeduld vieler Berlinerinnen und Berliner besänftigt werden kann, wenn sie ohne Termin zum Amt gehen können, um dann dort zu warten, bis sie drankommen. "Wir werden alle überrascht sein, dass das funktioniert", kündigte der Regierende unter der Woche an. "Selbst wenn wir nicht alle Bezirke überzeugen, diesen Weg mal mitzugehen, dann machen wir es halt in einer Koalition der Willigen."
Wegners Rückgriff auf einen seit dem Irakkrieg durchaus belasteten Begriff könnte jedoch zum schlechten Omen für sein Berliner Experiment werden: Denn in den Bezirken braut sich teils heftiger Widerstand gegen den terminfreien Tag an. Zudem ist längst nicht klar, ob die Bezirke, die sich offen dafür gezeigt haben, am Ende auch mitmachen.
Fast die Hälfte der Bezirke sagt Nein
Fünf Bezirke sperren sich bereits gegen den Vorstoß. "Eine zusätzliche Belastung, wie durch terminfreie Zeiten, lehne ich ab", sagt Wegners Parteikollegin Emine Demirbüken-Wegner, Bezirksbürgermeisterin von Reinickendorf. Sie befürchte vor allem einen Rückfall in die Zeiten, als in Berlins Amtsstuben stundenlang schwer genervte Bürger:innen Schlange standen, mit einer Wartemarke in der Hand und jeder Menge Frust im Bauch.
Solche Szenen habe man zuletzt auch in Potsdam und Köln erleben können, wo ebenfalls terminfreie Tage angeboten werden. Das seien dort "teilweise chaotische Zustände", pflichtet ihr Oliver Nöll (Linke) bei. Der stellvertretende Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg sorgt sich vor allem um die Sicherheit der Mitarbeitenden: Seit der Corona-Pandemie sei die Zahl der Übergriffe stark gestiegen. "Eine Situation, wo einige hundert Menschen vor der Tür stehen, die dann wahrscheinlich nicht dran kommen an dem Tag, stelle ich mir als sehr schwierig vor", so Nöll.
Ähnlich ablehnend sieht man das in Marzahn-Hellersdorf und Pankow. Auch in Tempelhof-Schöneberg stehe der terminfreie Tag "derzeit nicht auf der Agenda", so der zuständige Bezirksstadtrat Matthias Steuckardt (CDU). Tempelhof-Schöneberg habe seit Einführung der berlinweiten Zuständigkeit jahrelang die meisten Bürgeramtstermine für die Stadt angeboten. "Wenn alle zwölf Bezirke in vergleichbarem Maße aufgestellt wären, wäre das 14-Tage-Ziel bereits seit geraumer Zeit erreicht", so Steuckardt.
Weg vom 14-Tage-Ziel
Vom Ziel, allen Berliner:innen innerhalb von zwei Wochen einen Bürgeramtstermin bieten zu können, hatte sich Wegner zuletzt allerdings ohnehin verabschiedet. Das sei vielen Menschen "ehrlicherweise gar nicht so wichtig", meinte Wegner unter der Woche. In den Bezirken kam das jedoch nicht gut an. "Das war über zwei Landesregierungen das große Ziel", kritisiert Bezirksstadtrat Nöll. Mit neuer Software und weiterer Digitalisierung sei man eigentlich auf dem Weg dorthin gewesen. "Ich habe überhaupt kein Verständnis, dass man jetzt populistisch eine neue Kuh durchs Dorf treibt."
Die Digitalisierung bleibt der große Hoffnungsträger in vielen Rathäusern. Gerade mit der Onlinevergabe von Terminen in Berlin habe sich das Angebot drastisch verbessert, sagt Demirbüken-Wegner. "Wichtiger aus unserer Sicht ist neben mehr Personal vor allem eine moderne und funktionierende Technik, um die Terminvergabe in den Bürgerämtern zu beschleunigen." So arbeite Reinickendorf bereits mit Ausweisautomaten für Perso und Pass, das entlaste die Bezirksämter und soll nun weiter ausgebaut werden.
"Wenigstens versuchen"
Sollte Wegner sein Termin-Experiment dennoch durchführen, wären bislang also nur knapp die Hälfte der Bezirke dabei. So wie Mitte, wo der stellvertretende Bezirksbürgermeister Carsten Spallek (CDU) überzeugt davon ist, zumindest auszuprobieren, ob die Idee funktionieren kann. Vom Wachschutz bis zum Management eines Massenansturms bei schlechtem Wetter gebe es viele offene Fragen zu klären, so Spallek. "Aber ich glaube, wir müssen es versuchen, denn so, wie es ist, kann es nicht bleiben."
Seiner "Mini-Koalition der Willigen" sicher sein kann sich der Regierende allerdings auch nicht: Einige Rathäuser teilen auf Nachfrage des rbb mit, dass sie durchaus noch Bedenken haben. So lässt Spandaus Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Gregor Kempert (SPD), mitteilen, sein Bezirk sei an Bord. "Das Modell kann jedoch nur ein Erfolg sein, wenn alle Bezirksämter an diesem Tag die terminfreien Zeiten anbieten, da sonst voraussichtlich einzelne Bürgerämter überrannt werden." Gut möglich also, dass einzelne "Willige" noch abspringen, wenn die Nein-Sager bei ihrer Ablehnung bleiben.
Wenn Digitalisierung am Perso-Pin scheitert
Dass übrigens auch die Digitalisierung kein Allheilmittel für die Termin-Misere der Berliner Bürgerämter ist, zeigt das Beispiel der An- und Ummeldung des Wohnsitzes. Beides soll man in Berlin ab Oktober online erledigen können. Das spare rund eine halbe Million Bürgeramtstermine, jubelte Wegner. "Das könnte tatsächlich ein Gamechanger sein." Der Haken: Für diesen Service braucht man die Online-Funktion des Personalausweises, die allerdings nur mit einem Pin freigeschaltet werden kann. Wer den nicht oder nicht mehr hat, muss einen neuen beantragen – was nur persönlich im Bürgeramt geht. Mit Termin, versteht sich.
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.08.2024, 19.30 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 24.08.2024 um 19:54 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.