Interview | Verteidigungsexpertin - "Deutschland wird alleine nicht kriegstüchtig werden"

Di 04.03.25 | 17:04 Uhr
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Symbolbild: Verteidigungstechnik der Bundeswehr auf der Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA am 07.06.2024. (Quelle: IMAGO/Ardan Fuessmann)
Bild: IMAGO/Ardan Fuessmann

Während die Sicherheit Europas bedroht wird, erweisen sich die USA unter Trump als unzuverlässig. Zeit für eine Europäische Verteidigungsunion? Aylin Matlé von der DGAP erklärt, warum das ohne NATO-Strukturen nicht leicht sein wird.

rbb|24: Vor dem EU-Krisengipfel zur Ukraine hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen einen 800-Miliiarden Euro-Plan zur "Aufrüstung Europas" [tagesschau.de] vorgeschlagen. Reicht das schon oder braucht es mehr?

Aylin Matlé: Es hängt davon ab, auf welcher Grundlage diese Berechnungen stattfinden. Ist darin schon die Überlegung inbegriffen, dass die Amerikaner sich deutlich zurückziehen werden? Zu welchem Grad werden sie sich zurückziehen? Das ist ja alles noch im Ungewissen. Trump hat sich darüber bisher nicht deutlich geäußert.

Sein Verteidigungsminister Hegseth hat vor etwa zwei Wochen, als er in Brüssel zu Besuch war, schon davon gesprochen, dass die Europäer damit rechnen müssen, dass die Amerikaner künftig einen Großteil der konventionellen Verteidigungsfähigkeit den Europäern zuschieben wollen [tagesschau.de].

Aber was genau das bedeutet und vor allem, in welchem Zeitraum das geschehen soll - der Abzug von Fähigkeiten, aber auch Truppen - das ist bisher vollkommen offen. Es ist aber eine wichtige Grundlage, um projizieren zu können, wieviel Geld notwendig sein wird. Aber dass wir Europäer wirklich höhere Milliardenbeträge brauchen würden, das ist schon etwas länger klar.

ZUR PERSON

Dr. Aylin Matlé (Quelle: DGAP/Zsófia Pölöske)
DGAP/Zsófia Pölöske

Dr. Aylin Matlé ist Senior Research Fellow am Zentrum für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Ihre Forschungsinteressen umfassen die deutsche und US-amerikanische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die NATO sowie die transatlantischen Sicherheits- und Verteidigungsbeziehungen.

Kann es sein, dass am Ende des EU-Sondergipfels zur Verteidigung am Donnerstag die Grundlage für ein neues EU-Verteidigungskonstrukt neben der NATO geschaffen wird?

Nein, davon gehe ich überhaupt nicht aus. Was wir sicherlich erwarten können, ist eine Konkretisierung der Pläne, wie die EU-Staaten besser in ihre Verteidigungsfähigkeit investieren können, angesichts der zum Teil sehr enormen Staatsschulden, die einige EU-Staaten angehäuft haben.

Und auch dort gibt es ja schon konkrete Überlegungen nämlich, dass Verteidigungsausgaben ausgeschlossen werden sollen aus der Berechnung des Stabilitätspaktes. Es gibt auch Überlegungen darüber, dass private Investitionen - also von privaten Banken - erleichtert werden sollen, um Verteidigungsinvestitionen besser zu ermöglichen.

Und außerdem wird es sicherlich auch noch mal darum gehen, ganz konkret zu erklären und auch Schritte vorzugeben, wie die Verteidigungsindustrien in der EU und Europa - das würde nämlich dann auch Großbritannien, Norwegen und die Türkei mit einschließen - besser ausgestattet werden können.

Aber eine eine institutionelle Veränderung im Rahmen der Gemeinsamem Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union (GSVP), das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Müssten die Europäer nicht ein eigenes Verteidigungsbündnis auf die Beine stellen?

Die Frage ist, was damit erreicht werden soll. Wenn es jetzt darum geht, dass eine Koalition der Willigen möglicherweise Truppen und auch Fähigkeiten für eine Absicherung eines wie auch immer ausformulierten Friedensschlusses in der Ukraine zur Verfügung gestellt werden kann, dann ist das der einzige sinnvolle Weg. Über die Nato wird es nicht funktionieren und auch über die EU wird es nicht funktionieren, weil in beiden Fällen Einstimmigkeit vorausgesetzt ist, und das werden sie in der Nato nicht bekommen, weil Verteidigungsminister Hegseth vor zwei Wochen in Brüssel sehr klar gemacht hat, dass es keine Nato-Mission sein wird. Und in der EU haben sie Länder wie Ungarn, aber auch die Slowakei, bei denen ich nicht davon ausgehe, dass sie einer GSVP-Mission in der Ukraine zustimmen würden.

Deswegen bleibt in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht nur die Möglichkeit, eine Koalition der Willigen zu bilden. Aber um den wirklich großen Wurf für die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur oder eines Sicherheitssystems zu bilden, ist es immer noch sinnvoll, weiterhin auf die Nato zu setzen.

Denn es gibt momentan keine gute Alternative zur NATO, und zwar nicht nur, weil die Amerikaner noch daran beteiligt sind, sondern auch, weil die NATO über viele Jahrzehnte eine bestehende Kommandostruktur aufgebaut hat, über die die EU nicht verfügt.

Und das ist ganz wesentlich, um sich tatsächlich auch auf mögliche Konfliktfälle oder Kriegsfälle nicht nur vorbereiten zu können, sondern im Zweifel auch in der Lage zu sein, verteidigungsfähig zu sein. Aber ich gehe nicht davon aus, dass die USA sich vollständig aus der NATO zurückziehen werden.

Was muss Deutschland eigentlich tun, um ohne US-Sicherheitsgarantien verteidigungsfähig zu sein?

Maßgeblich in der Beantwortung dieser Frage, ist die Gefahreneinschätzung, also wie wahrscheinlich ist es, dass Russland innerhalb der nächsten drei, fünf oder acht Jahre in der Lage sein wird, NATO-Territorium anzugreifen. Und das ist eine sehr voraussetzungsreiche Frage. Das hängt nämlich ganz stark davon ab, zu welchen Bedingungen der russische Krieg gegen die Ukraine beendet wird.

Wird es nur zu einem Waffenstillstand kommen? Russland, so nehme ich das zumindest wahr, ist nicht dazu bereit [tagesschau.de], sondern möchte vielmehr direkt auf einen Friedensschluss gehen. Das würde dann wahrscheinlich im Umkehrschluss, Kapazitäten freisetzen für Russland.

In welchem Zeitraum wäre Russland dann in der Lage nachzurüsten, so dass es eine ernsthafte Bedrohung für die Nato darstellen könnte? Denn wir sollten auch festhalten, dass die NATO nicht komplett blank dastehen würde. Die NATO ist entlang der Ost-Flanke schon seit einigen Jahren mit multinationalen Truppenverbänden vor Ort. Dazu gehören auch amerikanische Soldaten.

Was kann aber Deutschland tun?

Deutschland wird alleine nicht kriegstüchtig werden. Dafür braucht es die anderen Europäer und umgekehrt brauchen die anderen Europäer Deutschland. Das, was wir jetzt in den vergangenen drei Jahren beobachtet haben mit der Modernisierung der Bundeswehr, ist sicherlich ein erster guter und wichtiger Schritt, der aber noch nicht ausreicht.

Das betrifft im Prinzip fast alle Bereiche. Die personelle Aufstellung der Bundeswehr ist sicherlich eine Engpassstelle, über die sich Politik Gedanken machen muss. Die aktuellen Personalzahlen und auch Entwicklungen sind zum Teil leicht rückgängig und werden nicht ausreichen, um die Aufgaben erfüllen zu können, die die NATO Deutschland zuweist.

Und es wird natürlich dann umso komplizierter, wenn die Amerikaner tatsächlich einen Teil oder einen Großteil ihrer Truppen auch aus Deutschland abziehen würden. Das sind dann Truppen, die durch deutsche Soldaten und Soldatinnen ersetzt werden müssten.

Muss die Wehrpflicht wieder eingeführt werden, damit man den möglichen Abzug von US-Truppen ersetzen kann?

Ob es die Wehrpflicht so braucht, wie sie 2011 ausgesetzt wurde, da bin ich mir nicht ganz sicher.

Nur auf Freiwilligkeit zu setzen, so wie es der aktuelle Verteidigungsminister Pistorius vorgesehen hatte, wird nicht ausreichen, um auf eine Sollstärke von über 250.000 Soldaten zu kommen. Und das ist eine eine Zahl, die jetzt auch nicht vollkommen aus der Luft gegriffen ist, sondern basiert auf Überlegungen der Verteidigungspläne der NATO, die seit 2023 konkretisiert werden.

Aktuell verfügt die Bundeswehr etwa über 180.000 Soldaten. Das wären 70.000 mehr Personal, die es bräuchte. Und das nur unter dem Gebot der Freiwilligkeit zu erreichen, das halte ich doch für eher unwahrscheinlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Efthymis Angeloudis für rbb24.

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138 Kommentare

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  1. 138.

    Ordnen Sie es einfach ein in die Legendenbildung, von der keine der Seiten frei ist, nur eben auf etwas verschiedene Weise. Die US-Amerikaner bieten als Filmnation gegenüber dem Rest-Agitprop des selbsternannten Nachfolgestaates der Sowjetunion von der Wirksamkeit her allerdings die besseren Effekte. ;-

  2. 136.

    Nach psychologischen Kriterien wäre der Mensch recht klar Psychopath, Putin dagegen vom Rigorismus bestimmt. Erstere erbauen sich die Welt nach ihrem Muster und hauen sogleich das um, was sie soeben erst geschaffen haben, die Zweitgenannten beharren auf Prinzipien bis zum Get-No - und wenn das bis zum Kiewer Rus reicht, einer kulturellen "Begebenheit", die mit Nationalstaaten nun überhaupt nichts zu tun hat, aber für diese Einschlägigen doch reichlich Nektar ist.

    Jeder Mensch ist eine Mischung von recht Vielem und Einige sind eben lupenreine Charaktere von einem.

  3. 135.

    Echt jetzt? Um es klar und deutlich zu sagen, mit Trollen diskutiert man nicht!

  4. 134.

    Es soll natürlich "menschliche Gesellschaften" heißen. (Eigentlich unnötig, das zu korrigieren, weil es sich aus dem Kontext physisch / psychisch, tote Materie / lebendige Wesen mit Handlungsfreiheit erschließt.)

    Es ist erstaunlich, wie wenig dieser Unterschied Eingang in die gesellschaftliche Debatte gefunden hat, was subjektive und objektive "Realitäten" angeht.

  5. 133.

    Trump und Geiseskrank?
    Wo denken Sie hin, keine Ahnung zu haben und Beleidigungen zu schreiben, das sollte sich ein normaler Mensch selbst verbieten.
    Gerade Deutschland ist schnell mit Difarmierungen zu Stelle, damit fällt es in der EU auf, obwohl es aus der Lehre der eigenen Geschichte heraus eher verkneifen sollte, da dieses Land immer noch schnell emotionalisierbar ist.
    So kommt es, das die USA bereits als Feind betrachtet wird.

  6. 132.

    Zitat: "Das Ziel Russland zu destabilisieren, um es in kleine beherrschbare Häppchen aufzusplitten ..." . . . "Deshalb lernt Russland immer besser mit der Bedrohung umzugehen ...""

    Wessen Ziel soll es IMn. sein Russland kleinteilig aufzusplitten, so dass nicht mehr der Kreml, sondern irgendwelche leicht zu übertölpelnden "Provinzfürsten" die Macht ausüben? Und wie genau soll diese von Ihnen behauptete Bedrohung Russlands umgesetzt werden? Sie verklären Russland als einen eigentlichen Hort der Diplomatie, das sich zunehmend nur noch durch militärische Stärke inklu. Angriffskriege seiner Existenz gewiss sein kann und verbreiten hier 1:1 Kreml- bzw. Putin Propaganda, die mit der Realität nicht im mindesten zu tun hat, Matte.

  7. 131.


    Aggressoren und Massenmörder bekämpft man nicht mit Wattebällchen.
    Aber es gibt Naive die glauben immer noch das Putin verhandeln will. Warum hört der selbst jetzt nicht mit den Angriffen auf?
    Der Drecksack soll aus der Ukraine verschwinden schon ist Frieden.

  8. 130.

    Fatal ist es, die psychische Welt von Menschen mit der physikalischen Welt der Gegenstände und einer willenlosen Natur gleichzusetzen, was Ihr Denken damit beinhaltet. Damit repräsentieren Sie die Denkwelt des ausgehenden 19. Jhs., als seinerzeit auch der menschliche Körper einem technischem Apparat gleichgesetzt wurde und dieses Denken sogar auf technische Gesellschaften incl. all ihrer Handelnden übertragen wurde.

    Inzwischen, seit Freud, Adler, Jung sind wir klüger drum. Freilich nicht alle. ;- Pardon.

  9. 129.

    Ganz besonders würde ich die 20-30 Jährigen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ins Auge fassen, die hier mit Bürgergeld den ganzen Tag schön Wetter machen. Kein Vorurteil, ich kenne welche!!

  10. 128.

    Bei soviel bevorstehender Kriegsgefahr muss ich einfach Joschka Fischer folgen, der eine rasche Wehrpflicht für Frauen und Männer fordert.

    Ich persönlich würde dies noch erweitern mit
    - auch für Bürger mit mehreren Staatsbürgerschaften
    - Wehr- und Dienstpflicht von 14 bis 70 Jahre.
    - da sich meines Wissens nur ein Kriegsgerät an der Ostgrenze befindet, nämlich in Kienitz, sollten dort sofort als dritte Verteidigungslinie der NATO zahlreiche Haubitzen, Panzer und Taurus stationiert werden. Die Rote Armee benötigte bekanntlich von Königsberg bis zur Oder ca. 9 Monate
    - Obendrein werden dringend Luftschutzbunker vorrangig für unsere Kinder und Bedürftige benötigt. Die Frage, wo ist mein Schutzraum? muß einfach gelöst werden. 5000 Helme helfen hier nicht weiter.
    Bitte die Hinweise von Frau Strack Zimmermann und Herrn Hofreiter dringend beachten. Deutschland und NATO First zuerst. Wir müssen uns Land hier verteidigen. Uns kann die Ukraine nicht helfen, das müssen wir tun.

  11. 127.

    bsw, linkspartei, afd und "freunde" wollen den russischen Angriffskrieg unendlich verlängern, sowie Deutschland und Europa ungeschützt an Putin übergeben.

  12. 125.

    Bei allem Für und Wider, bis jetzt ist noch gar nicht sicher ob überhaupt 800 Milliarden aus Brüssel fließen, oder die 500 Milliarden in der BRD für die Aufrüstung. Nächste Woche wird im Bundestag abgestimmt. Gibt es keine 2 Drittel Mehrheit war es das. Genauso wenn Orban in Brüssel und andere dagegen stimmen. Die Meinung ist hier gespalten. lassen wir uns überraschen!?

  13. 124.

    Sie erzählen den absoluten Unsinn, das Ganze ist sinnbefreit, Langeweile?

  14. 123.

    Man hat uns doch immer wieder erklärt, das Russland durch die Sanktionen und durch den Krieg quasi schon am Ende ist. Mit was will dann bitte Russland ganz Europa erobern, wenn es doch so gut wie erledigt ist ? Die nächste Ungereimtheit, sollten Russland und Europa in einen Krieg geraten, wird dieser nicht mit konventionellen Waffen ausgetragen.

  15. 121.

    Oder langweilen Sie sich nur?

  16. 120.

    Ihre Schilderung der Zukunft gegen 2028 halte ich doch für sehr übertrieben. Es gibt nichts, außer die Aussagen einiger europäischer Politiker, das auf einen solchen Angriff hindeuten.

  17. 119.

    Aber auch hier sollte man sich historisch und spieltheoretisch ehrlich machen, denn natürlich brauchten auch die USA ein nuklearen Widerpart, damit sich sowas wie Hiroshima und Nagasaki nie wiederholt.
    Nuklearwaffen dieser Dimension, über die nur Russland und die USA verfügen sind ausschließlich Abschreckungswaffen und dürfen niemals Erstschlagschancen erhalten. Die sowjetischen Nuklearwaffen haben sowohl den amerikanischen nuklearen Einsatz in Korea als auch in Vietnam verhindert.
    Das Zeug darf wirklich nie alleine in irgendeiner Hand sein, auch wenn sich das Land demokratisch und rechtsstaatlich nennt!!