Handball-Weltmeisterin Bianca Urbanke-Rösicke - "Wir sind mit unserem Erfolg 1993 medial ein wenig untergegangen"
Die deutschen Frauen haben bei der Handball-WM das Viertelfinale erreicht und greifen nach einer Medaille. Den einzigen Titel gab es vor 30 Jahren. Die Brandenburgerin Bianca Urbanke-Rösicke führte das Team damals zur Goldmedaille und erinnert sich zurück.
rbb|24: Frau Urbanke-Rösicke, am 5. Dezember 1993 haben Sie mit den Handball-Frauen deutsche Sportgeschichte geschrieben und den bisher einzigen Titel bei einer Weltmeisterschaft gewonnen. Haben Sie dieses Datum ähnlich wie einen Geburtstag jedes Jahr auf dem Schirm?
Bianca Urbanke-Rösicke: Nein. Ich denke tatsächlich nicht mehr jedes Jahr an dieses Datum. Ich musste direkt mal nach dem korrekten Datum schauen, ich hatte das Spiel eher so Mitte Dezember verortet. Klar war mir aber, dass unser Sieg in diesem Jahr 30 Jahre zurückliegt.
Gibt es noch regelmäßige Treffen oder eine WhatsApp-Gruppe mit Ihren damaligen Mitspielerinnen und Trainer Lothar Doering?
Nein. Natürlich gibt es ein bisschen stille Post, aber keine regelmäßigen Treffen. Zuletzt haben wir uns in größerer Runde 2019 am Rande der Männer-Weltmeisterschaft in Deutschland beim Gruppenspiel in Berlin gegen Frankreich getroffen. In diesem Jahr gab es kein Treffen, weil unsere Organisatorin Andrea Bölk aus Rostock derzeit bei der WM in Dänemark ist und dort ihre Tochter Emily unterstützt.
Sie haben damals im Finale von Oslo in der Verlängerung das entscheidende Tor zum 22:21-Sieg der deutschen Mannschaft gegen Dänemark geworfen. Läuft dieses Tor immer noch wie ein Film in Ihrem Kopf ab?
Ja, dieses letzte Tor habe ich ganz genau vor Augen. Ich sehe vor mir, wie die dänische Torfrau verwundert dastand und dann umfiel. Es war ja kein scharfer Wurf von mir. Ich weiß auch noch, dass ich nichts gedacht habe. Ich hatte einfach das Gefühl, den Wurf zu nehmen und war eher auf einen Freiwurf aus. Dass der Wurf dann drin war – umso schöner! Weltmeister! Wir konnten es gar nicht fassen. Ich war mit Sibylle Gruner auf dem Zimmer und wir hatten vor dem Finale natürlich miteinander gesprochen und waren schon total happy. Silber, Vize-Weltmeister, das war ja schon sicher. Dann sagte mein Mann immer, Vize-Weltmeister vergisst man, die gehen ein bisschen unter im Sport. Dass dann tatsächlich der WM-Titel dazu kam, war einfach super.
Die Party nach dem WM-Triumph war sicher auch legendär, oder?
Nein, das Bankett fand ich nicht sehr schön, es war sehr kühl und steif. Wir haben danach im Hotel nur noch ein bisschen auf den Zimmern zusammengesessen.
Hat die WM-Goldmedaille zuhause in Friedland einen Ehrenplatz?
Sie liegt bei den anderen Medaillen. Sie ist leider nicht sehr schön. Wir haben immer gesagt, wir haben kleine Stullenbrettchen bekommen. Aber sie hat natürlich ihren ideellen Wert. Der WM-Sieg ist schon mein größter Erfolg.
Haben das Spiel und der WM-Triumph Ihr Leben verändert?
Nein, das würde ich nicht sagen. Der Sieg war einfach Belohnung für jahrelanges hartes Training. Ein tolles Gefühl.
Der Frauen-Handball stand und steht klar im Schatten des Männer-Handballs, oder?
Ich bin in der DDR groß geworden, da gab es keinen Unterschied zwischen Männer- und Frauenhandball. Wir sind mit unserem Erfolg 1993 medial ein wenig untergegangen. Deshalb war es für uns schon komisch. Unsere Spiele kamen nicht im TV und wurden erst versetzt ausgestrahlt. Mein Vater und Dietmar [ihr Mann, Anm. d. Red.] haben damals im Wohnzimmer getanzt vor Freude - da waren wir schon längst auf der Feier danach. Das wäre zu DDR-Zeiten nicht passiert. Und es war ja noch nicht die Zeit des Internets oder des Handys. Bis heute hat sich da nicht wirklich viel verändert.
Wie hat sich der Handball in den vergangenen drei Jahrzehnten sportlich entwickelt?
Handball sieht heute natürlich anders aus. Jede Zeit hat ihre Entwicklung. Aber ich finde es nicht fair, die Leistungen von damals mit heute zu vergleichen.
Wie nah sind Sie noch am Handball?
Ich schaue schon noch viele Spiele, vor allem durch meinen Mann, aber vor allem Männer-Spiele. Frauen-Spiele werden ja kaum gezeigt. Mein Leben hat sich ein bisschen wegentwickelt vom Handball. Ich habe meine zwei Töchter, meinen Mann, meinen Hund, mein Haus, meinen Garten. Klar, ich interessiere mich noch und verfolge auch die WM. Aber voll stecke ich nicht mehr im Thema drin.
Wie sehen Sie die weiteren Chancen der deutschen Mannschaft bei der WM in Dänemark nach dem Erreichen des Viertelfinales?
Ich kann zur Mannschaft gar nicht viel sagen. Sie sind sehr gut in das Turnier gestartet. Fünf Siege aus den ersten fünf Spielen – das pusht natürlich ungemein. Da kann man von zehren. Und jetzt kann es in den K.o.-Spielen Schritt für Schritt weitergehen. Da ist alles möglich - wie bei uns damals.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Thomas Juschus, rbb Sport.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.12.2023, 14:15 Uhr