Hitlergruß auf dem Abiball - Rechtsextreme Vorfälle an weiteren Schulen in Südbrandenburg
Hitlergrüße, Hakenkreuze und rassistische Beschimpfungen: Im April machten Lehrer einer Schule in Burg mit einem Brandbrief rechtsextreme Vorfälle öffentlich. Doch das ist kein Einzelfall. Von Silvio Duwe und Anne Grandjean
Als anonyme Lehrer im April per Brandbrief rechtsextreme Vorfälle an einer Schule in Brandenburg anprangern, beginnt das Rätselraten. Auf welche Schule beziehen sich die Verfasser? Damals ist zunächst noch nicht bekannt, dass sie die Oberschule in Burg im Spree-Neiße-Kreis meinen. Es geht um Hitlergrüße, um Hakenkreuz-Schmierereien und rassistische Beschimpfungen.
Bianca B. kam das bekannt vor. "Es gab Vermutungen, dass es unsere Schule sein könnte", sagt sie nun im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste und dem rbb. "Burg ist aus meiner Sicht kein Einzelfall." Ihr Sohn Jakob besucht die neunte Klasse des Erwin-Strittmatter-Gymnasiums im rund 40 Kilometer entfernten Spremberg im selben Landkreis.
Er berichtet von rechtsextremen Vorfällen im Umfeld seiner Schule: "Schüler kleben sich Klebestreifen als Hitler-Bart auf und machen Hitlergrüße und die anderen grüßen zurück." Menschen mit dunklerer Hautfarbe würden als Ratten beschimpft und gesagt bekommen, dass sie "zurückgehen" sollen. "Leute, die sich dagegen positionieren, werden ausgegrenzt", sagt Jakob.
Keine Einzelfälle
Auch in Spremberg sollen Schüler Hakenkreuze an Wände geschmiert und in Tische geritzt haben, wie weitere Jugendliche erzählen, mit denen Kontraste und rbb24 Recherche gesprochen haben. Zudem liegen den Redaktionen Screenshots aus dem internen Whatsapp-Chat einer Klasse vor. In der Gruppe teilen Schüler etwa ein Hitler-Meme mit der Aufschrift: "Du bist lustig, dich vergas ich zuletzt". Sie stimmen darüber ab, ob Weiße das N-Wort sagen dürften – eine früher gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze. Nicht nur ist die Mehrheit der an der Umfrage Teilnehmenden dafür, ein Drittel stimmt für die wohl mindestens genauso rassistische Antwortoption "monkey", also "Affe".
Es gibt am Erwin-Strittmatter-Gymnasium zwar Arbeitsgemeinschaften, in denen sich Schüler gegen Rassismus, Queerfeindlichkeit und Frauenhass einsetzen. Rechtsextreme Einstellungen sind an der Schule in Spremberg aber offenbar ähnlich verbreitet wie in Burg.
Eine Anfrage von Kontraste und rbb24 Recherche zu den Vorfällen reichte das Erwin-Strittmatter-Gymnasium weiter an das zuständige Schulamt in Cottbus. Dessen Leiter Uwe Mader teilte am Mittwochabend mit, seit dem Brandbrief von Lehrern aus Burg seien vermehrt Fälle an weiteren Schulen gemeldet worden.
Rechtsextreme Jugendkultur
Wer mit Jugendlichen beider Schulen spricht, dem offenbart sich ein Muster. Da gebe es diejenigen, die gefestigte rechtsextreme Meinungen vertreten. Unter den Gleichaltrigen sollen sie als "cool" gelten. "Die zeigen ihre Positionen, die zeigen, wozu sie fähig sind. Davor haben einige Schüler Angst", sagt eine Schülerin aus Burg. "Und manche machen mit, weil sie wissen: Wenn nicht, werden sie ausgeschlossen oder gar beleidigt." Immer wieder ist die Rede von "Mitläufern".
Für manche könnte der Rechtsradikalismus ein Weg sein, um dazuzugehören, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Ein Foto etwa, das im April durch Medienberichte über die Vorfälle in Burg bekannt wurde, zeigt Schüler der Oberschule, wie sie mit dem Hitlergruß für die Kamera posieren. Sie sind zwischen 13 und 15 Jahre alt. Entstanden ist das Bild auf einem Sportplatz im Cottbuser Ortsteil Sielow.
Die Burger Schulleiterin Manuela Schichan teilte am Dienstag mit, sie habe sich dazu entschieden, keine Anfragen von Medien zu beantworten, und bat darum, von Nachfragen abzusehen. Sie wolle ihre Aufmerksamkeit und Energie darauf konzentrieren, ihren Schülerinnen und Schülern sowie ihrer Tätigkeit als Lehrerin gerecht zu werden.
Schüler, die den Hitlergruß zeigen
Kontraste und rbb24 Recherche liegen zwei weitere Fotos aus dem unmittelbaren Umfeld einer Schule vor, diesmal geht es um ein Cottbuser Gymnasium. Die Aufnahmen sollen beim Abiball entstanden sein. Wieder zeigen junge Menschen den Hitlergruß. "Rechtsextreme Ideologie wird in der Region seit Generationen weitergegeben", sagt Anne Brügmann, Projektkoordinatorin der "Opferperspektive" in Potsdam. Der Verein berät Menschen, die von rechter Gewalt betroffen sind.
Jene, die zu Beginn der 1990er Jahre an rassistischen Ausschreitungen und Angriffen auf eine Geflüchtetenunterkunft beteiligt waren, seien ab 2015 wieder bei rechten Kundgebungen mitgelaufen – teilweise mit ihren Kindern, so Brügmann. Heute stünden Väter und Söhne mitunter gemeinsam wegen rechter Straftaten vor Gericht. Brügmann führt das unter anderem auf die mangelhafte Aufarbeitung der sogenannten Baseballschlägerjahre zurück, wie die Nachwendezeit in Ostdeutschland wegen der rechten Gewalt genannt wird, seit 2019 unter diesem Hashtag bei Twitter Erfahrungen und Erzählungen gesammelt wurden.
Rechtsextreme in der Mitte der Gesellschaft
Im Süden Brandenburgs ist die rechtsextreme Szene nicht nur ideologisch fest verankert und beeinflusst Jugendliche. Aus wirtschaftlicher Sicht ist sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Geschäfte wirken oft unscheinbar, die fragwürdigen politischen Einstellungen der Betreiber sind von außen kaum zu erkennen. Ein Beispiel ist das Deutsche Haus am Ortseingang von Burg – auf den ersten Blick eine gepflegte Touristengaststätte mit Biergarten und Veranstaltungssaal für hundert Personen.
Betreiber der Gaststätte ist Daniel G. Ein Foto, das Kontraste und rbb24 Recherche vorliegt, zeigt ihn 2018 auf einer als "Trauermarsch" beworbenen rechtsextremen Kundgebung im sächsischen Chemnitz. Angeführt wurde die Kundgebung unter anderem vom AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und vom Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Ein weiteres Bild zeigt Daniel G. bei der Anreise zum "Kampf der Nibelungen", einem rechtsextremen Kampfsportevent 2018 im sächsischen Ostritz.
Offenbar pflegt G. bis heute Kontakte in die rechtsextreme Kampfsportszene. Anfang Mai dieses Jahres reiste G. in das ungarische Dorf Csókakö, wo hunderte Neonazis aus ganz Europe zur "European Fight Night" zusammenkamen.
Abschlussfeier in den Räumen eines Rechtsextremisten
Auch das Deutsche Haus wird als Versammlungsort der Szene genutzt. So fand dort im Sommer 2022 ein Treffen des Jungeuropa-Verlags statt. Die Referenten stammten aus dem Umfeld des "Instituts für Staatspolitik", der "Identitären Bewegung" und des Vereins "Einprozent" – allesamt vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen eingestuft. "Das Deutsche Haus in Burg ist für uns ganz klar ein Anlaufpunkt für Rechtsextremisten", sagt Jörg Müller, Brandenburgs Verfassungsschutzchef. "Es wird ja betrieben von einem bekannten Rechtsextremisten."
In den Räumen des Rechtsextremisten Daniel G. feierten auch Zehntklässler der Burger Oberschule im vergangenen Jahr ihren Abschluss, wie der Lehrer Max Teske berichtet – einer der beiden Autoren des viel beachteten Brandbriefs. Zwar habe die Schule selbst inzwischen ein Schreiben verfasst, wonach sie eine erneute Abschlussfeier im Deutschen Haus nicht gutheiße. Darüber entscheiden würden am Ende aber die Eltern.
Teske stellt den Verantwortlichen ein vernichtendes Zeugnis aus. "Die Politik, die Lehrkräfte vor Ort, die Schulleitungen, das Ministerium – da haben alle auf ganzer Linie versagt", sagt er Kontraste und rbb24 Recherche.
Der Mut von Teske und seiner Kollegin, an die Öffentlichkeit zu gehen, macht Bianca B. aus Spremberg Hoffnung, dass sich die Situation in Zukunft verbessern könnte. Man habe noch keine Lösung gefunden, sagt sie. "Aber aus meiner Sicht sprechen wir das erste Mal öffentlich darüber, dass wir in der Schule ein Problem haben."
Sendung: Antenne Brandenburg, 25.05.2023, 10:00 Uhr