Grundsteinlegung für "Siemensstadt Square" - Das große Versprechen hinter dem Bauzaun

Di 25.06.24 | 06:13 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Archivbild: Siemens AG, Plakat an der Baustelle zum Siemens-Square am Rohrdamm, Siemensstadt, Berlin Spandau. (Quelle: dpa/Schoening)
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Video: rbb24 | 25.06.2024 | Nachrichten | Bild: dpa/Schoening

Fast sechs Jahre ist es her, dass sich der Berliner Senat und Siemens auf die Entwicklung von "Siemensstadt Square" einigten. Nun steht im ambitioniertesten Quartier Berlins die Grundsteinlegung an - begleitet von Kritik. Von Sebastian Schöbel

Es gibt sie schon in zahlreichen Computergrafiken, als digitalen Zwilling und sogar als farbgewaltige Zeichnung auf bedrucktem Stoff: Die "Siemensstadt Square", wie der Konzern seinen neuen Stadtteil im Berliner Nordwesten inzwischen nennt, hat ein beispielloses PR-Feuerwerk erlebt, noch bevor der erste Bagger rollen konnte. Seit 2018 trommelt das deutsche Traditionsunternehmen für seine 600 Millionen Euro teure Investition in den Standort, an dem die Siemensgeschichte einst begann - partei- und regierungsübergreifend hofiert und für Berliner Verhältnisse äußerst geräuschlos.

Das Siemens-Team zeigt sich auf Nachfrage des rbb hoch zufrieden: Man sei voll im Zeitplan, heißt es, und sogar so gut unterwegs, dass andere Projekte neidisch nachfragten, was das Geheimnis der Spandauer sei. Wohl auch deswegen macht der politisch schwer unter Druck stehende Ampel-Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag die kleine Reise aus Mitte nach Spandau zur Grundsteinlegung: Endlich mal ein Vorhaben, bei dem sich alle einig zu sein scheinen.

Ein Quartier als Maßstab

Bislang aber ist diese "Siemensstadt Square" vor allem ein Versprechen: Sehen kann man bis auf ein paar Bauzäune nämlich noch nichts. Berlins modernstes Quartier mit Vorbildcharakter soll hier entstehen, mit fast 3.000 Wohnungen, gut jede dritte davon mietpreisgebunden. Dazu viel Bürofläche, Produktionsstandorte für moderne Industrie, und viel Raum für Startups, Kunst und soziale Infrastruktur. Kitas sind genauso geplant wie Wohnraum für Studierende und eine vierzügige Grundschule.

All das soll den höchsten Anforderungen an Nachhaltigkeit und Klimaschutz entsprechen, mit eigenem Regenwassermanagement nach Schwammstadt-Prinzip, Blühstreifen und Bruthilfen, ressourcenschonendem Bauen mit recyceltem Material und Holz, und einer smarten Energieversorgung. Weil all das noch nicht reicht, will Siemens das Quartier auch noch zum vollvernetzten Testgebiet für neue Mobilität machen, zum Beispiel mit autonom fahrenden Transportmitteln. Ambitionierter plant in Berlin wohl niemand.

Nun, fast sechs Jahre nach Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Siemens und dem damaligen rot-grün-roten Senat, soll es endlich losgehen: Der östliche Stadteingang am Rohrdamm, gegenüber von der noch stillgelegten S-Bahn-Trasse, soll ab 2025 gebaut werden. Geplant sind ein 60-Meter-Bürohochhaus in Holzhybridbauweise, ein 20 Meter hohes Atrium-Gebäude mit viel öffentlicher Fläche, ein Info-Pavillon und ein neuer Stadtpark. Bis 2026 soll dieser Bereich fertiggestellt sein.

Grafische Darstellung der "Siemensstadt Square"
Grafische Darstellung der "Siemensstadt Square"

"Wir fühlen uns nicht ernst genommen"

Über sehr viel mehr als diesen Eingang zum neuen Stadtquartier habe Siemens aber auch bislang nicht im Detail reden wollen, sagt Volker Hormann. Er ist Sprecher der Anwohnerinitiative "Planungswerkstatt Neue Siemensstadt". Die Gruppe begleitet das Großprojekt seit Beginn, hat sämtliche Runden des Beteiligungsverfahrens mitgemacht. "Wir fühlen uns nicht ernst genommen", bilanziert Hormann nun kurz vor der Grundsteinlegung den bisherigen Prozess: Zahlreiche Einwendungen und Kritikpunkte aus der Bevölkerung seien nicht aufgenommen worden.

So sei der zentrale Siemensboulevard, die Hauptstraße des ganzen Quartiers, eine Sackgasse, sagt Hormann, dabei wünschten sich die Anwohner eine durchgehende Verbindung zwischen Rohrdamm im Osten und Paulsternstraße im Westen des Geländes. Zudem sei das gesamte Viertel viel zu dicht bebaut, vor allem mit Büros, obwohl es von denen im Umfeld immer mehr geben werde, etwa auf dem alten Osram-Gelände oder der "Urban Tech Republic" auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. "Und das in einer Zeit, in der der Leerstand bei Büroflächen wächst", kritisiert Hormann.

Siemens wirft er vor, aus finanziellen Gründen "ein Gewerbegebiet in ein gemischtes Bebauungsgebiet zu verwandeln, um rauszuholen, was geht". Wie der zusätzliche Verkehr durch Anwohner und Gewerbetreibende künftig organisiert werden soll, ohne ein Chaos zu verursachen, sei auch noch unklar.

Karte: Rahmenplan Siemensstadt 2. (Quelle: rbb/Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen)

Angst vor Veränderung - aber auch Hoffnung nach Aufschwung

Vor allem aber stört die Initiatoren der Planungswerkstatt, dass der Konzern ihnen nicht wirklich zuhöre. "Wir haben 40 Seiten mit Vorschlägen eingereicht, übernommen wurden ein paar mehr Bäume auf dem Gelände", sagt Hormann. Die Bürgerbeteiligung verstehe der Konzern nur als Möglichkeit, Werbung für das Projekt zu betreiben. "Wir dürfen jetzt die Wege in einem kleinen Park am Quartierseingang gestalten - das ist Beschäftigungstherapie." Dem Senat wirft er vor, die Zügel zu locker zu lassen.

Und doch ist auch Volker Hormann kein strikter Gegner der Siemensstadt Square. Das Projekt sei natürlich eine Chance, den gesamten Stadtteil voranzubringen, vor allem bei der sozialen Infrastruktur. "Unser Familienzentrum ist zu klein, das Jugendzentrum zu weit weg, und ein Seniorenzentrum haben wir gar nicht, auch keine Stadtteilbibliothek". All das kann auf dem neuen Areal laut den Plänen angesiedelt werden, so Hormann. Nach Jahren des Abschwungs in Siemensstadt ein Hoffnungsstreifen am Horizont, räumt Hormann ein. "Natürlich ist es gut, dass sich da endlich etwas tut."

Sendung: Radioeins, 25.06.2024, 12:01 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

42 Kommentare

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  1. 42.

    Das ist die Fehleinschätzung, was den Durchschnitt angeht, soweit er denn unsinnig und inflationär angewandt wird. Ein uralter Witz, der mittlerweile fast schon "einen Bart" hat: Wenn ich meine Hände auf eine heiße Herdplatte lege und meine Füße in eiskaltes Wasser stecke, fühle ich mich IM DURCHSCHNITT wohl. ;-

    Mit anderen Worten: Der hier zitierte Durchschnittswert wird schlichtweg nicht angewandt.

  2. 41.

    "Die Familien des Mittelstandes werden aber eher durch preisreduzierte Wohnungen vertrieben, weil diese ja von hochpreisigeren Wohnungen querfinanziert werden müssen."

    Fake News.

  3. 40.

    Ja, warum kann man an der Stelle nicht weiter in die Höhe bauen? Grund und Boden sind wertvoll, also sollten mehr Menschen pro Fläche in höheren Gebäuden untergebracht werden!

  4. 39.

    Ja, das hatte mir ein Bauträger auch mal so erklärt, eine Mischkalkulation. Wenn viele Wohnungen günstig bereitgestellt werden müssen, dann muss der Bauträger es den anderen Mieten als Preisaufschlag hinzunehmen, um auch eine kostendeckende Durchschnittsmiete über alle Einheiten zu kommen. Ist irgendwie auch ganz klar, wenn man weiss wie ein Durchschnitt berechnet wird.

  5. 38.

    Krass. Danke für den Praxiseinblick. Bin auch für die Schaffung von mehr 15 EUR/qm Wohnungen im Neubausegment.

  6. 37.

    Was denken Sie denn so, für eine Wohnung bezahlen zu wollen? Also im wirklich hochpreisigen Segment stehen allerhand Wohnungen leer. Woran hätten Sie denn so gedacht? Und es werden allerhand auch gebaut. Der Innenhof hat allerdings das Format eines A 4 - Blattes. Na, gut, das war jetzt übertrieben. Wenn Sie dann ganz oben wohnen, haben Sie dann alle Freiheiten. Ungeklärt ist natürlich, wo dann Ihre Wagen stehen können, die Sie ja mit Sicherheit haben. Also bei uns werden demnächst Parkplatzgebühren auf derStraße erhoben. Wer in der untersten Etage wohnt, hat ausgesprochenes Pech; vor sich die Blechkarossen und im Hof, die Abfalltonnen Schwarz, Braun, Gelb und Blau. Ob da noch Platz für einen Baum ist? Na, ja eine Pappel geht da noch. Frohe Nachtruhe allen! Wünscht Investor Schöner wohnen in Berlin!

  7. 35.

    Ja, das stimmt. Ist uns auch schon passiert. Weil zu viele 8 EUR/qm gemacht wurden, kamen ebensoviele 22 Euro/qm und zu wenige zu 15EUR/qm. Somit sind wir als Familie nicht zum Zuge gekommen. Bitte weniger Billigwohnungen, damit mehr mittleres Preissegment gebaut werden kann.

  8. 34.

    Das sind ja viel zu wenig Wohnungen, wenn man genau hinschaut!? das geht so nicht. Und die paar Blöcke scheinen mir viel zu eng zu liegen, das heißt-dunkle Wohnungsblöcke. Echt zum K....n!

  9. 32.

    Die Wohnlagen unterliegen auf einzeln Anlagen hin berechnet keineswegs der Deckungsbeitragsrechnung (engl. einem "profit center",) insofern ist Ihre angestelle "Rechnung" eine recht realitätsferne. Vielmehr greift eine gezielte staatliche MItfinanzierung mit gemachten Vorgaben. Die kann dann so oder anders aussehen, je nach Wohngebiet.

  10. 31.

    Der qm-Preis ist eigentlich egal, weil in der City im Moment eher die kleineren Einheiten gesucht werden. Wenn man 15qm weniger nimmt, kann man sparen. Sonst muss man weiter raus ziehen, z.B. nach Spandau - man bekommt in B-Lagen einfach günstigere Preise. Zudem ist man im Grünen, und eine mitunter gute Infrastruktur ermöglicht es, sehr schnell die Innenstädte zu erreichen. Nachteile gibt es kaum, die Vorteile überwiegen, weil das Angebot so gering und die Nachfrage so hoch ist.

  11. 30.

    Radinfrastruktur als "Bla Bla" und "Quatsch" zu bezeichnen disqualifiziert Sie hinsichtlich dieser Thematik.
    Es wird dort deshalb nicht gefahren weil es eng und gefährlich ist. So war der Zustand auf der stark befahrenen Müllerstr auch, bis dort beidseitig ein hervorragender, geschützter Radweg entstand, der sehr gut angenommen wird.

  12. 29.

    Die Familien des Mittelstandes werden aber eher durch preisreduzierte Wohnungen vertrieben, weil diese ja von hochpreisigeren Wohnungen querfinanziert werden müssen.

  13. 28.

    Wenn es 30 % preisgebunden gibt, wird das finanziell ausgeglichen mit hochpreisig. Wer also mal wieder auf der Strecke bleibt ist die Mittelschicht. Lieber weniger günstige Wohnungen, dafür auch weniger hochpreisige Wohnungen und dann gibt es mehr im mittleren Segment. Das sind schließlich Wohnungen, die aktuell von der Mittelschicht benötigt werden.

  14. 27.

    Diese Vorleistung für die dringend benötigte Straßenbahn auf der Wasserstadtbrücke sehen die Leute nun seit wieviel Jahren/ Jahrzehnten?

    Die Haushaltskrise trägt sicherlich nicht dazu bei, dass hier endlich mal mehr Tempo in die Sache kommt.

  15. 26.

    Das kann ich Ihnen sagen. Weil dort kein Schwein Fahrrad fährt. Dieses Bla Bla ist albern. Es ist der gleiche Quatsch und das Geschwafel der "Fahrradautobahn" zwischen Falkensee und Rathaus Spandau. Diese Strecke wird von Radlern frequentiert wie der Highway US 50 .

  16. 25.

    NUR 30% preisgebunden? Viel zu viel! Ein Zuschussgeschäft, wie es sich nur ganz wenige leisten können. Auch Konzerne sind nicht das Sozialamt.

  17. 24.

    Im Grunde genommen sind bezügllch der Wasserstadt Spandau ja schon bauliche "Vorleistungen" erbracht worden: Brückenbau über die Havel bei Tragfähigkeit für eine Tram. Sie würde die verlängerte S-Bahn bis Gartenfeld und den S-, R- und Fernbahnhof Spandau miteinander verbinden und hätte zugleich ein höheres Erschließungspotenzial als U- und S-Bahnen, bei denen die längeren Zu- und Abgangswege vom Bahnsteig aus dazugerechnet werden müssen, angesichts der längeren Stationsabstände sowieso.

  18. 23.

    Haselhorst ist fast das treffendste Beispiel dafür, dass sich die 1970er Jahre-Verkehrspolitik als reichlich antiurban erweist: Die Fahrbahnen überbreit ausgebaut mit einschlägiger Verlärmung der angrenzenden Wohngebiete, der Nahverkehr als U-Bahn ausgeführt - dort mit Zeitverzug in den 1980ern - , sodass keine optische Aufwertung des Straßenraumes vorgenommen wurde.

    Kein Problem von Berlin allein, auch kein Problem so bez. westlicher Staaten, sondern ein Problem all derjenigen Gesellschaften, die Gebäude als bloßes "Begleitinstrumentarium" für Verkehr ansehen. Dabei sollte es doch umgekehrt sein: Der Verkehr, vornehmlich eben der öffentliche Nahverkehr, in dienlicher Funktion und somit in Urbanität eingebettet.

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