Ausstellung in der Berlinischen Galerie - Als Edvard Munch die Berliner Kunstwelt schockierte
Zuletzt wurde Edvard Munch vor fast 30 Jahren in einer Berliner Einzelausstellung gezeigt. Jetzt stellt die Berlinische Galerie 80 seiner Werke aus - und schaut auf seine Beziehung zu Berlin. Die war intensiv und nicht immer einfach. Von Marie Kaiser
Stolz fährt das erste Kreuzfahrtschiff der Geschichte, die "Augusta Victoria", durch den spektakulären Nærøfjord in Norwegen. Die riesigen Berge sind wolkenverhangen, aber die Sonne nutzt die kleinen Lücken zwischen den Wolken, um das Wasser geheimnisvoll zum Funkeln zu bringen.
Schöner könnte der "Zauber des Nordens" kaum in Szene gesetzt werden als in dem Gemälde des Marinemalers Themistokles von Eckenbrecher, das die Edvard-Munch-Ausstellung in der Berlinischen Galerie eröffnet. Der Titel "Zauber des Nordens" geht auf ein Zitat des Schriftstellers Stefan Zweig zurück, der damit auf den Punkt brachte, wie sehr die Kulturwelt um die Jahrhundertwende dem magischen Zauber des Nordens verfallen war.
"Hohn für die Kunst, Schweinerei und Gemeinheit"
Diese Sehnsucht nach dem Norden war auch der Grund, warum Edvard Munch 1892 nach Berlin geholt wurde. Doch der norwegische Maler brachte keine lieblichen Fjordlandschaften mit, sondern forderte das Berliner Kunstpublikum mit radikal modernen Gemälden heraus.
Munch sei "Hohn für die Kunst, Schweinerei und Gemeinheit", so urteilte der Vorsitzende des Berliner Künstlervereins Anton von Werner damals. Munchs Ausstellung wurde nach wenigen Tagen wieder geschlossen.
Eigener Raum für die "Affäre Munch"
Mit nur 28 Jahren hatte ein unbekannter norwegischer Maler den größten Skandal ausgelöst, den die Kunstwelt in Deutschland bis dahin erlebt hatte. Dieser "Affäre Munch" ist in der Berlinischen Galerie ein eigener Raum gewidmet. Da hängt Munchs "Sternennacht" mit lila-türkisem Nachthimmel und nur skizzenhaft angedeuteten Bäumen. Die Häuser sind auf leuchtende Striche in Blau, Rot oder Gelb reduziert.
Auf der Wand gegenüber sind Gemälde von Berliner Malern wie Ludwig von Hofmann oder Walter Leistikow gegenübergestellt, die damals als unglaublich modern angesehen wurden. Auf den ersten Blick wird klar, wie altmodisch und naturalistisch diese verglichen mit den rasant modernen Arbeiten von Munch aussehen.
"Uns war wichtig, gleich zu Beginn der Ausstellung zu zeigen, warum Munchs Werke damals so befremdet, ja eine Welle der Empörung ausgelöst haben", erklärt die Kuratorin der Ausstellung Stefanie Heckmann. "Das sprengte nicht nur die romantischen Vorstellungen vom Norden, das sprengte auch die Vorstellung von Kunst. Das war skizzenhaft. Das war emotionalisiert durch die Farben, durch die Zusammenfassung der Details in großer Form. Also diese Art von Stimmungslandschaft kannte man bis dahin noch nicht."
"Bessere Reklame kann ich nicht haben"
Munch schreckte die Welle der Empörung nicht ab. "Das ist übrigens das Beste, was passieren kann, bessere Reklame kann ich gar nicht haben", notierte er damals und zog direkt nach Berlin, wo er von 1892 bis 1908 immer wieder für längere Zeit lebte und arbeitete. Munchs ganz besondere Beziehung zu Berlin steht im Zentrum dieser Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem großen Munch-Museum in Oslo entstanden ist. "Zauber des Nordens" ist die erste große Munch-Ausstellung in Berlin seit fast 30 Jahren. Insgesamt 90 Originale von Munch sind zu sehen. Viele Gemälde, aber auch Fotos und Druckgrafiken.
Liebe, Angst, Eifersucht und Tod
Der größte Raum ist Munchs "Lebensfries" gewidmet. Ganz reduzierte Gemälde in intensiven Farben zu Themen wie Liebe, Angst oder Tod sind wie ein Reigen gehängt. Wir sehen Menschen, die leben und leiden. Das zarte Erwachen der Liebe in "Der Kuss", die Leidenschaft, mit der eine Frau mit blutrotem Haar einen Mann auf den Hals küsst, in "Vampir", bis hin zum brennenden Gefühl im Gemälde "Eifersucht".
"Der Lebensfries ist Munchs Hauptwerk, an dem er wirklich bis zu seinem Tod gearbeitet hat und das er im Wesentlichen auch in Berlin ausprobiert und geschärft hat", sagt Stefanie Heckmann. "Wie ein Psychologe hat er darin auch Paarbeziehungen ausgelotet, aber das wurde in der Zeit einfach nicht verstanden. Dieses Unverständnis war Munch dann auch der Anlass mit dem "Lebensfries" eine Art verständlichere Erzählung aus Gemälden zu bauen zum modernen Seelenleben; zum Schicksal des modernen Menschen vom ersten Kuss bis zum Tod."
Im letzten Raum dokumentiert die Ausstellung auch, wie der "Zauber des Nordens" in Deutschland in Fanatismus umschlug. Erst wurde Munch von den Nationalsozialisten als herausragender nordisch-germanischer Künstler vereinnahmt. Joseph Goebbels schickte ihm zum 70. Geburtstag noch ein hymnisches Telegramm. Später wurden seine Bilder dann aber als sogenannte "entartete Kunst" beschlagnahmt und teilweise auf Schandausstellungen gezeigt.
Alkohol war für Munch Stimulanz
Die neue Ausstellung gibt aber auch kleine Einblicke in Munchs wildes Berliner Leben. Der Maler war teilweise so arm, dass seine Staffelei gepfändet wurde. Zu sehen sind ganz wunderbare "Selfies" von Munch: Munch fotografiert sich selbst mit einer einfachen Boxkamera, die er sich in Berlin gekauft hat. Mal thront der Maler stolz auf einem Reisekoffer. Auf einem anderen Bild sehen wir sein unaufgeräumtes und Bildern vollgestopftes Atelier in der Lützowstraße in Schöneberg. Oder sehen Munch nackt am Strand in Warnemünde.
"Man muss sagen, dass Munch in diesen Berliner Jahren auch Alkoholiker war. Munch hat den Alkohol auch als Stimulanz für seine Werke genutzt", sagt Stefanie Heckmann. "Munch ist dann nach Warnemünde gefahren, um sich da zu erholen. Seine Freunde haben immer versucht, ihn aus Berlin rauszuholen, um ihn von dieser Verführung wegzubringen."
"Der Zauber des Nordens" lässt uns wirklich nachempfinden, wie wichtig Berlin für Edvard Munch war. Aber auch welch wohltuenden und wichtigen Schockeffekt Edvard Munch für die Kunst in Berlin hatte und wie er dem modernen Expressionismus den Weg bereitet hat. Ein Vergnügen zu sehen, wie modern und frisch diese 100 Jahre oder älteren Gemälde heute noch wirken. Schön, dass sie in Berlin sind und jetzt die aufregende Berliner Geschichte von Edvard Munch erzählen.
Sendung: Radioeins, 13.09.2023, 08:40 Uhr