Premiere am Deutschen Theater - "Wer hat Kinder und ist bitter enttäuscht?"
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In seiner ersten Inszenierung am Deutschen Theater macht Sebastian Nübling aus Eugene O’Neills düsterem Familienzerfallsdrama "Eines langen Tages Reise in die Nacht" eine Tragikomödie, die in die politische Gegenwart verweisen will. Von Barbara Behrendt
Na, das geht ja gut los: Die Musik läuft (es ist "Air" von Bach), aber der eiserne Vorhang hakt. Also macht die Inspizientin am Deutschen Theater in Berlin-Mitte erst mal eine Ansage: "Wir haben hier leider kleine technische Probleme..."
Die vermeintliche Inspizientin muss man sagen, gespielt von Julia Gräfner. Denn all das ist Teil der Inszenierung, die die Grenzen zwischen Theater und Realität verwischen möchte. Weil der "Eiserne" nicht hoch geht, spielt das Ensemble aus dem Zuschauerraum. In roten Rüschen, als gehörten die Figuren zum Inventar des plüschigen Theatersaals. Das passt nicht schlecht, geht es hier doch um die Selbstzerfleischung einer Theaterfamilie.
Schuld, Hass, Eifersucht
Die Rollen in Eugene O’Neills modernem Klassiker "Eines langen Tages Reise in die Nacht" sind klar: Ein abgehalfterter Schauspieler, versoffen und geizig, seine morphiumsüchtige Ehefrau und ihre beiden alkoholabhängigen Söhne - der eine tuberkulosekrank, der andere ein Taugenichts.
Der Text, der hier durchs Publikum gebrüllt wird, ist dann aber eher eine Improvisation zu Gefühlen wie Schuld, Hass und Eifersucht, die dem Stück zugrunde liegen. Etwa, wenn Sohn Jamie seinem Vater vorhält, sein Geld lieber in Immobilien gesteckt zu haben als in die Gesundheit seiner Frau. Böse, aber komisch: "Immobilienbesitzer? Ich habe fünf kleine Wohnungen, das ist wirklich nichts Besonderes. Komm, ich mach mal eine Umfrage: Wer hat eine Wohnung in dieser Stadt? Wohnungsbesitzer, Hände hoch!"
Noch mehr Hände gehen allerdings hoch, als Jamie die nächste Umfrage startet: "Wer sucht gerade eine Wohnung in dieser Stadt - und findet keine?"
Nächste Streitfrage: Was hat der Sohn mit seiner teuren Schauspielausbildung erreicht? Bernd Moss feuert zielsicher die Pointen: "Mit dem einzigen Erfolg, dass er von jeder Schule geflogen ist. Wir machen eine Umfrage: Wer hat Kinder und ist bitter enttäuscht?" Schon klar, dass die Zuschauer:innen mithilfe dieser Streitshow mit den Figuren "bonden" und Gemeinsamkeiten feststellen sollen – es funktioniert bestens: Das Publikum amüsiert sich köstlich.
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Traumfiguren in Hasenmasken
In dieser ersten tragikomischen Stunde ist etwas von der explosiven Energie zu spüren, die Sebastian Nüblings Inszenierungen am Maxim Gorki Theater ausgemacht haben. Beim lustigen Ton bleibt es in seiner ersten Arbeit am Deutschen Theater dann nicht – beim körperlichen Spiel durchaus. Wenn nach einer Stunde der Vorhang doch noch nach oben scheppert, sind wir angekommen im Reich des düsteren, einsamen Rauschs. Aus dichtem Nebel entsteigen die Schauspieler:innen nun mit Hasenmasken und begegnen sich wie irre Traumfiguren. Wenn Alkohol fließt, drehen sie wie selige Pirouetten zu Bachs "Air" – die Melodie liegt als musikalisches Thema unter der ganzen Aufführung.
Almut Zilcher gibt mit ihrer unverwechselbaren Mischung aus Kraft und Schmerz die von Schuld getriebene Mutter: "Vor allem hätte ich mir von dir nicht einreden lassen dürfen, noch ein Kind zu bekommen, als Ersatz für Eugene, weil du dachtest, das würde mir helfen, seinen Tod zu vergessen. Ich hätte Edmund nie auf die Welt bringen dürfen!"
Und in einer verstörenden Szene sieht man Bernd Moss dabei zu, wie er seinem stockbesoffenen Sohn Ed (gespielt von Svenja Liesau) den Whisky mit fürsorglichem Zwang einflößt, als sei es die lebensrettende Medizin. Während die Familie leidet, gibt Bernd Moss den Vater als nonchalanten Verdrängungskünstler, der für nichts Verantwortung tragen will.
Politische Aktualität als Anhängsel
Bei all dem schönen und pointenreichen Spiel kommt der Regisseur Sebastian Nübling allerdings nicht am Grundproblem des Stücks (und der Produktion) vorbei: dass es mit zu vielen Worten auf der Stelle tritt. Zuletzt wird noch ein kurzer Text von Sivan Ben Yishai performt, der das Fremdsein in der Gegenwart thematisiert, mit allen politischen Verunsicherungen. Er soll der Inszenierung aktuellen Drive geben – wirkt aber wie ein unverbundenes Anhängsel.
O’Neills Figuren erscheinen zu kaputt, als dass man sich in ihnen spiegeln oder mit ihnen gar die politische Gegenwart erklären könnte. Und so schleppt sich die Misere in der zweiten Hälfte des Abends von einer düsteren Beichte zur nächsten – während die Theaterfiguren dann eben doch Theaterfiguren bleiben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.01.2025, 09.54 Uhr
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