Interview | Tiny House Projekt - "Man darf nicht vergessen, wie schwierig es ist, über Israel und Palästina zu sprechen"
Der Aktivist und Moderator Shai Hoffmann steht ab Samstag für drei Tage mit seinem Tiny House auf dem Potsdamer Platz. Er will die Berlinale-Besucher dort über den Nahostkonflikt ins Gespräch bringen. Wie kann das gelingen?
rbb: Herr Hoffmann, warum ist es wichtig, über den Nahostkonflikt zu sprechen?
Shai Hoffmann: Ich bin seit dem 07. Oktober viel an Schulen unterwegs. Da habe ich immer wieder erlebt, dass es ein riesiges Unwissen und eine Unsicherheit gibt, über Israel und Palästina zu sprechen. Wir machen allerdings auch die Erfahrung, dass sich viele Menschen gar nicht mit dem Thema beschäftigen wollen, was auch okay ist. Aber für diejenigen, die sich damit beschäftigen wollen, wollen wir dieses Angebot hier auf der Berlinale schaffen.
Sie selbst sind deutscher Jude und haben Familie in Israel, ihre Kolleg:innen aus dem Projekt sind Palästinenser:innen. Mit welchen Fragen werden Sie in den Gesprächen konfrontiert?
Viele Menschen verstehen nicht, warum Kriege geführt werden. Sie kennen die Genese des Krieges nicht oder wissen nicht, woher dieser lange und tiefe Hass zwischen den beiden Völkern kommt. Da müssen wir immer sehr viel Aufklärungsarbeit leisten und sagen: Hey, schaut mal, ich als deutscher Jude mit israelischen Wurzeln und Ahmad oder Jouanna als Palästinenser:innen, wir hassen uns nicht. Wir zeigen, dass nicht alle Palästinenser:innen und Israelis oder Juden sich hassen. Allein, dass diese zwei vermeintlich verfeindeten Parteien zusammen unter einem Dach sitzen, ist ein ganz starkes Bild.
Fallen Ihnen diese Gespräche manchmal schwer?
Das sind wahnsinnige Emotionen, die auch in mir vorherrschen, weil ich Angst um meine Familie in Israel habe, aber genauso um die Zivilisten und Zivilistinnen im Gaza. Aber ich bin ein sehr neugieriger Mensch und ich liebe Menschen. Daher möchte ich verstehen, woher auch diese sehr schwierigen, manchmal vielleicht rassistischen oder antisemitischen Aussagen kommen. Das zu ergründen finde ich spannend.
Und man darf auch nicht vergessen, wie schwierig es hier in Deutschland ist, über Israel und Palästina zu sprechen, wie viel da mitverhandelt wird.
Wie meinen Sie das?
In Deutschland haben wir das historische Erbe des Holocausts, das ist die post-nationalsozialistische Dimension, mit der über den Nahostkonflikt gesprochen wird. Wir haben aber auch eine postmigrantische Gesellschaft, also Menschen, die aus allen Ländern der Welt nach Deutschland gekommen sind und gar nichts mit dem Holocaust zu tun hatten, diesen also nur noch in der Schule vermittelt bekommen. Und dann haben wir die postkolonialistische Dimension. Deutschland hat erst in den letzten Jahren damit angefangen, den Kolonialismus zu thematisieren und einzuordnen. Ich glaube, dass diese drei Dimensionen dazu führen, dass das Sprechen über Israel und Palästina in einem Spannungsverhältnis steht, das zu sehr viel Widerspruch und zu hitzigen Debatten führen kann. Aber die braucht es, weil wir eine Demokratie sind.
Die Berlinale hat angekündigt, den Dialog über Konflikte und Kriege dieses Jahr in den Mittelpunkt zu stellen. Wie bewerten Sie das?
Viele Menschen, auch im Team der Berlinale - aber auch die Besucher:innen - haben eine Meinung oder ein Gefühl zu Israel und Palästina. Und infolgedessen einen Raum zu schaffen, der zum Dialog mit Menschen einlädt, die eine Betroffenheitsperspektive haben, finde ich mutig. Und ich bin super dankbar, dass wir diesen Raum hier anbieten dürfen.
Wie nehmen Sie die Stimmung in der Kulturbranche generell seit dem siebten Oktober wahr?
Die Stimmung ist gelinde gesagt angespannt und auch angstvoll, es wird um Orientierung und Worte gerungen. Ich glaube, dass man bemüht ist, möglichst viele Perspektiven sichtbar zu machen und Dialogräume zu schaffen. Und die Frage ist halt: Wer beansprucht welche Räume für sich? Wer definiert Deutungshoheiten? Und dieses Spannungsverhältnis, das ich ja vorhin auch schilderte – zwischen der postnationalsozialistischen, der postmigrantischen, aber auch der postkolonialistischen Dimension – das führt gerade zu einer Neukalibrierung des Diskurses.
In der vergangenen Woche unterbrachen propalästinensische Aktivist:innen eine Performance im Hamburger Bahnhof, in der es um den Austausch verschiedener Perspektiven gehen sollte. Wie sicher oder unsicher fühlen Sie sich, sich mit dem Tiny House auf den Potsdamer Platz zu stellen?
Vor ein paar Wochen hätte ich gesagt, dass ich mich sicher fühle, und ich gar kein Problem damit habe, erkennbar mit diesem Tiny House und diesem Konzept irgendwo zu stehen. Nun hat sich leider aufgrund des Krieges, der mehr als 130 Tage anhält, einiges verhärtet in unserer Gesellschaft. Die Polarisierung hat zugenommen, die Debatten werden härter und teilweise auch gewalttätig, wie wir leider feststellen müssen. Ich habe ein mulmiges Gefühl, aber ich hoffe sehr, dass viele erkennen, dass dieses Haus nicht hier ist, weil wir irgendeine Position einnehmen. Sondern dass wir zum Dialog einladen wollen und eine ganz breite Palette an Grautönen aufmachen möchten.
Gibt es für Sie auch Positionen, bei denen der Dialog aufhört?
Aufgrund meiner Arbeit an Schulen habe ich sehr viel gehört in den letzten Monaten. Ich glaube, mich kann nicht so viel schocken. Deswegen bin ich auch tendenziell jemand, der erst mal allen zuhören möchte und zuhören wird. Aufhören würde es, wenn es um Gewaltverherrlichung geht. Ich habe auch schon erlebt, dass meiner Familie der Tod gewünscht wurde, weil sie Zionisten und Zionistinnen sind. Wenn so etwas geäußert wird, dann bewegt man sich nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Da würde ich die Reißleine ziehen.
Was wünschen Sie sich für die kommenden Tage?
Mein Wunsch wäre es, dass möglichst viele Menschen uns besuchen und uns mit Fragen löchern, sie ihre Meinung miteinbringen und bereit sind, sich auch auf unsere Perspektiven einzulassen. Und dieses Haus vielleicht mit mehr Wissen zu verlassen, das ihnen zu mehr Sprechfähigkeit verhilft. Am besten wäre es, wenn sie rausgehen und selbst zu Multiplikator:innen werden, diesen Gedanken des Dialogs weitertragen. Und zeigen: Wir müssen uns nicht unbedingt positionieren, sondern wir müssen miteinander sprechen und das Leid des Gegenübers akzeptieren und anerkennen. Einfach menschlich sein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Marie Röder.
Sendung: rbbKultur - Das Magazin, 17.02.2024, 18:30 Uhr