Offener Brief an Bildungsministerin - Elternprotest gegen Personalmangel in Brandenburger Kitas
Weil es in den Kitas nicht genug Personal gibt, hat Wittstock eine dreiwöchige Schließzeit im Sommer beschlossen. Die Eltern laufen dagegen Sturm – unter anderem mit einem offenen Brief an die Bildungsministerin und mit einer Online-Petition. Von Christoph Hölscher
Für Philip Heidrich aus Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) war die Nachricht ein Schock: Während der ersten drei Wochen der Sommerferien soll die Kita seines zweijährigen Sohns Ben im Ortsteil Freyenstein geschlossen bleiben. Der gemeinsame Familienurlaub wird daher wohl ausfallen. Grund für die ungewöhnlich lange Schließzeit in allen sieben Kitas der Stadt Wittstock: Der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern. Die Personaldecke ist dort so dünn, dass die Betreuung ohne drei Wochen "Betriebsurlaub" nicht garantiert werden kann.
In der Kita in Freyenstein betreuen sieben Erzieherinnen knapp 60 Kinder – zumindest auf dem Papier. Tatsächlich fehlen jedoch fast immer jemand – etwa wegen Krankheit oder Urlaub. Dafür gibt es jedoch keine Reserve, wie die stellvertretende Kita-Leiterin Angela Bolduan beklagt: "Wenn zwei, drei Leute ausfallen, müssen die Öffnungszeiten verkürzt werden." Dann müssen die Eltern ihre Kinder teils schon um 15 Uhr abholen – zwei Stunden früher als gewohnt. Dazu kommt jetzt der Plan, die Kitas in der Stadt im Sommer gleich für drei Wochen zu schließen.
Eltern starten Petition für bessere Kitas
Vater Philip Heidrich will diese Missstände nicht länger hinnehmen. Er sieht die Verantwortung für die aktuelle Situation jedoch nicht bei der Stadt Wittstock, sondern bei der Landesregierung. Deshalb hat er einen offenen Brief und eine Online-Petition initiiert, die inzwischen von vielen anderen Eltern, Kita-Beschäftigten und sogar der Stadt unterstützt wird.
Darin fordern sie die Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) auf, für einen besseren Betreuungsschlüssel und eine verstärkte Ausbildung von Kita-Personal zu sorgen. Mehr als 1.400 Brandenburgerinnen und Brandenburger haben bereits unterschrieben. Philip Heidrich will mit seinem Engagement vor allem erreichen, dass die verantwortliche Ministerin das Problem zur Kenntnis nimmt – und mit Eltern, Erzieherinnen und Kommunalpolitikern in den Dialog tritt. Er ist sich sicher, dass sich dann auch eine Lösung oder ein Kompromiss finden wird: "Man muss ja nicht, alles über den Haufen werfen, aber wir wollen auf jeden Fall eine Veränderung", so Heidrich.
Städte- und Gemeindebund sieht landesweites Problem
Heidrich ist überzeugt, dass der Personalmangel an Kitas keine lokale Besonderheit ist, sondern ein landesweites Problem. Das bestätigt auch der Geschäftsführer des Brandenburger Städte- und Gemeindebundes, Jens Graf, gegenüber der Deutschen Presseagentur (DPA). Die 14.000 Erzieherinnen und Erzieher in Brandenburg reichten nicht mehr aus, so Graf: "Eine Ursache hierfür ist insbesonders die Steigerung der Zahl der Kinder in den Kindertageseinrichtungen, so dass ein erheblicher personeller Mehrbedarf in den letzten Jahren entstanden ist."
Zwischen 2011 und 2021 habe sich die Zahl von 156.000 auf fast 195.000 Kinder erhöht. Der verstärkte Zuzug von Familien nach Brandenburg sowie die Betreuung von Flüchtlingskindern ließen sie weiter steigen. Der Städte- und Gemeindebund fordert deshalb ein Programm für jeweils 5.000 zusätzliche Plätze an Kitas und Schulen in Brandenburg.
Kita-Elternbeirat fordert "Ausbildungsoffensive"
Auch Katja Göcke vom Landes-Kitaelternbeirat erreichen aus vielen Teilen Brandenburg Berichte von Eltern über verkürzte Öffnungszeiten, die Einführung bzw. Ausweitung von Schließzeiten, aber auch von Wartelisten für Kinder, die einen Kitaplatz benötigen. Das werde meistens mit unbesetzten Stellen, teilweise hohen Krankenständen oder Überschneidungen von Urlaubszeiten begründet, so Göcke gegenüber rbb|24.
Um den Engpässen zu begegnen, fordert der Kitaelternbeirat eine "Ausbildungsoffensive" – so müssten insbesondere mehr Plätze an entsprechenden Fachschulen geschaffen und das Schulgeld übernommen werden, das die Auszubildende derzeit oft selbst bezahlen müssen. Außerdem fordert die Elternvertretung mehr Transparenz bei der Personalplanung der Kita-Träger sowie "Vertretungsreserven" in den Einrichtungen – zusätzliches Personal, das bei urlaubs- oder krankheitsbedingten Ausfällen einspringen kann.
Bildungsministerium: Verbesserungen ab 2024
Das Bildungsministerium will mit einem neuen Gesetz ab 2024 für Entlastung sorgen. So solle der Betreuungsschlüssel im Krippenbereich – also für Kinder unter drei Jahren – ab August 2024 und 2025 in zwei Schritten verbessert werden, sagte die Sprecherin des Bildungsministeriums, Ulrike Grönefeld. Die höheren Personalkosten von 149 Millionen Euro jährlich nach der vollständigen Umsetzung der Reform werde das Land tragen, so Grönefeld. Der Landes-Kitaelternbeirat begrüßt die Pläne, fordert aber, dass die Betreuung auch bei den älteren Kindern im Kita- und Hortbereich besser werden muss.
Auch bei der Ausbildung tue sich etwas, versichert Ministeriumssprecherin Grönefeld. So sei die Zahl der Fachschüler im Bildungsgang Sozialpädagogik seit 2007 um gut 150 Prozent auf zuletzt über 5.000 gestiegen. Darüber hinaus gebe es in allen Regionen des Landes ein kostenfreies Angebot zum Besuch einer entsprechenden Fachschule, die auch in Teilzeit absolviert werden könne, so Grönefeld.
Kita-Beschäftigte hoffen auf Entlastung
Nicht nur die Eltern, auch die Kita-Beschäftigten warten jedenfalls sehnlichst darauf, dass sich die Betreuungssituation endlich verbessert. Für Lisa Treige von der Kita Wittstock Freyenstein ist die Arbeit als Erzieherin nach eigenen Worten eine "Berufung", der sie momentan aber nur bedingt gerecht werden kann: "Wir haben einen Bildungsauftrag und möchten den Kindern neue Impulse geben, aber durch diesen Personalmangel ist das nicht umsetzbar." Für die Proteste der Eltern gegen die Missstände an den Kitas in Wittstock und anderswo haben sie und ihre Kolleginnen großes Verständnis.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 16.04.2023, 19:30 Uhr