Offener Brief an Bildungsministerin - Elternprotest gegen Personalmangel in Brandenburger Kitas

So 16.04.23 | 20:17 Uhr | Von Christoph Hölscher
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Archiv: Kinderrucksäcke hängen im Eingangsbereich in einem Kindergarten. (Foto: dpa)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 16.04.2023 | Ismahan Alboga | Bild: dpa

Weil es in den Kitas nicht genug Personal gibt, hat Wittstock eine dreiwöchige Schließzeit im Sommer beschlossen. Die Eltern laufen dagegen Sturm – unter anderem mit einem offenen Brief an die Bildungsministerin und mit einer Online-Petition. Von Christoph Hölscher

Für Philip Heidrich aus Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) war die Nachricht ein Schock: Während der ersten drei Wochen der Sommerferien soll die Kita seines zweijährigen Sohns Ben im Ortsteil Freyenstein geschlossen bleiben. Der gemeinsame Familienurlaub wird daher wohl ausfallen. Grund für die ungewöhnlich lange Schließzeit in allen sieben Kitas der Stadt Wittstock: Der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern. Die Personaldecke ist dort so dünn, dass die Betreuung ohne drei Wochen "Betriebsurlaub" nicht garantiert werden kann.

In der Kita in Freyenstein betreuen sieben Erzieherinnen knapp 60 Kinder – zumindest auf dem Papier. Tatsächlich fehlen jedoch fast immer jemand – etwa wegen Krankheit oder Urlaub. Dafür gibt es jedoch keine Reserve, wie die stellvertretende Kita-Leiterin Angela Bolduan beklagt: "Wenn zwei, drei Leute ausfallen, müssen die Öffnungszeiten verkürzt werden." Dann müssen die Eltern ihre Kinder teils schon um 15 Uhr abholen – zwei Stunden früher als gewohnt. Dazu kommt jetzt der Plan, die Kitas in der Stadt im Sommer gleich für drei Wochen zu schließen.

Eltern starten Petition für bessere Kitas

Vater Philip Heidrich will diese Missstände nicht länger hinnehmen. Er sieht die Verantwortung für die aktuelle Situation jedoch nicht bei der Stadt Wittstock, sondern bei der Landesregierung. Deshalb hat er einen offenen Brief und eine Online-Petition initiiert, die inzwischen von vielen anderen Eltern, Kita-Beschäftigten und sogar der Stadt unterstützt wird.

Darin fordern sie die Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) auf, für einen besseren Betreuungsschlüssel und eine verstärkte Ausbildung von Kita-Personal zu sorgen. Mehr als 1.400 Brandenburgerinnen und Brandenburger haben bereits unterschrieben. Philip Heidrich will mit seinem Engagement vor allem erreichen, dass die verantwortliche Ministerin das Problem zur Kenntnis nimmt – und mit Eltern, Erzieherinnen und Kommunalpolitikern in den Dialog tritt. Er ist sich sicher, dass sich dann auch eine Lösung oder ein Kompromiss finden wird: "Man muss ja nicht, alles über den Haufen werfen, aber wir wollen auf jeden Fall eine Veränderung", so Heidrich.

Städte- und Gemeindebund sieht landesweites Problem

Heidrich ist überzeugt, dass der Personalmangel an Kitas keine lokale Besonderheit ist, sondern ein landesweites Problem. Das bestätigt auch der Geschäftsführer des Brandenburger Städte- und Gemeindebundes, Jens Graf, gegenüber der Deutschen Presseagentur (DPA). Die 14.000 Erzieherinnen und Erzieher in Brandenburg reichten nicht mehr aus, so Graf: "Eine Ursache hierfür ist insbesonders die Steigerung der Zahl der Kinder in den Kindertageseinrichtungen, so dass ein erheblicher personeller Mehrbedarf in den letzten Jahren entstanden ist."

Zwischen 2011 und 2021 habe sich die Zahl von 156.000 auf fast 195.000 Kinder erhöht. Der verstärkte Zuzug von Familien nach Brandenburg sowie die Betreuung von Flüchtlingskindern ließen sie weiter steigen. Der Städte- und Gemeindebund fordert deshalb ein Programm für jeweils 5.000 zusätzliche Plätze an Kitas und Schulen in Brandenburg.

Kita-Elternbeirat fordert "Ausbildungsoffensive"

Auch Katja Göcke vom Landes-Kitaelternbeirat erreichen aus vielen Teilen Brandenburg Berichte von Eltern über verkürzte Öffnungszeiten, die Einführung bzw. Ausweitung von Schließzeiten, aber auch von Wartelisten für Kinder, die einen Kitaplatz benötigen. Das werde meistens mit unbesetzten Stellen, teilweise hohen Krankenständen oder Überschneidungen von Urlaubszeiten begründet, so Göcke gegenüber rbb|24.

Um den Engpässen zu begegnen, fordert der Kitaelternbeirat eine "Ausbildungsoffensive" – so müssten insbesondere mehr Plätze an entsprechenden Fachschulen geschaffen und das Schulgeld übernommen werden, das die Auszubildende derzeit oft selbst bezahlen müssen. Außerdem fordert die Elternvertretung mehr Transparenz bei der Personalplanung der Kita-Träger sowie "Vertretungsreserven" in den Einrichtungen – zusätzliches Personal, das bei urlaubs- oder krankheitsbedingten Ausfällen einspringen kann.

Bildungsministerium: Verbesserungen ab 2024

Das Bildungsministerium will mit einem neuen Gesetz ab 2024 für Entlastung sorgen. So solle der Betreuungsschlüssel im Krippenbereich – also für Kinder unter drei Jahren – ab August 2024 und 2025 in zwei Schritten verbessert werden, sagte die Sprecherin des Bildungsministeriums, Ulrike Grönefeld. Die höheren Personalkosten von 149 Millionen Euro jährlich nach der vollständigen Umsetzung der Reform werde das Land tragen, so Grönefeld. Der Landes-Kitaelternbeirat begrüßt die Pläne, fordert aber, dass die Betreuung auch bei den älteren Kindern im Kita- und Hortbereich besser werden muss.

Auch bei der Ausbildung tue sich etwas, versichert Ministeriumssprecherin Grönefeld. So sei die Zahl der Fachschüler im Bildungsgang Sozialpädagogik seit 2007 um gut 150 Prozent auf zuletzt über 5.000 gestiegen. Darüber hinaus gebe es in allen Regionen des Landes ein kostenfreies Angebot zum Besuch einer entsprechenden Fachschule, die auch in Teilzeit absolviert werden könne, so Grönefeld.

Kita-Beschäftigte hoffen auf Entlastung

Nicht nur die Eltern, auch die Kita-Beschäftigten warten jedenfalls sehnlichst darauf, dass sich die Betreuungssituation endlich verbessert. Für Lisa Treige von der Kita Wittstock Freyenstein ist die Arbeit als Erzieherin nach eigenen Worten eine "Berufung", der sie momentan aber nur bedingt gerecht werden kann: "Wir haben einen Bildungsauftrag und möchten den Kindern neue Impulse geben, aber durch diesen Personalmangel ist das nicht umsetzbar." Für die Proteste der Eltern gegen die Missstände an den Kitas in Wittstock und anderswo haben sie und ihre Kolleginnen großes Verständnis.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 16.04.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Christoph Hölscher

43 Kommentare

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  1. 43.

    Mit eigenem Engagement zum Beispiel. Auch vor 20 Jahren drängelten sich keine Erzieher auf dem Arbeitsmarkt. Schon seit 1990 begann in der Bundesrepublik die Suche nach Fachkräften im Bildungs- und sozialen Bereich, die sich nun inzwischen bis in die Gymnasien und darüber hinaus in die Berufsausbildungszentren, Fach- und Hochschulen sowie Universitäten zieht.

    Aber, was ist Ihre Lösung ? In ner Dauerschleife die Mängel zu beklagen und einen Schuldigen zu suchen, bringt ja wohl auch nichts voran.

  2. 42.

    Sie haben eines in Ihrer Betrachtung vergessen: Das ist um die 20 Jahre her!
    Fragen Sie mal die, denen eine "freie Schule" verwehrt wurde - mit Begründungen, die bei genauerem Hinsehen im Ministerium ihre Ursache hatten.

    Wenn Sie heute eine KiTa gründen wollen, dann suchen sie mal Personal. Für den Fall, das es nicht durchgedrungen ist: Der Markt ist leergefegt. Ausgebildet wurde nicht und wird auch weiterhin nicht in der Masse, wie gebraucht.

    Mit was wollen Sie also gründen?

  3. 41.

    Es ist mitunter schwer zu ertragen, daß eine Generation, die im Wohlstand aufwuchs, ein Anspruchsverhalten an die Gesellschaft zeigt, für das ich mich geschämt hätte. Okey, ich bin in einer Mangelgesellschaft sozialisiert, durch die ich Kreativität, Solidarität und Eigeninitiative gelernt habe.
    Familienplanung und Kinder bekommen ist doch immer noch eine sehr private Entscheidung. Dafür zeichne ich z.B. nicht verantwortlich, trage aber - auch in meinem Job - immer wieder die soziale Bevorzugung junger Väter/Mütter mit. Obwohl - oder weil ? - ich das alles bereits mit Bravour absolviert habe?
    Als ich keinen Kita-Platz für meinen inzwischen 22 Jährigen bekam, tat ich mich mit Eltern zusammen und wir gründeten eine Kita, die es im Übrigen heute noch gibt und aus der eine Schule hervorging. Jammer bringt nicht voran und Petitionen sind albern.

  4. 40.

    Im Osten der Republik gab es keine Schließzeiten. Dieser Unsinn kommt aus dem Westen, wo die Frau am Herd steht.

  5. 39.

    ich sage mal das jeder bei Ausbildungsbeginn ( Lehrer/ Erzieher/ Krankenschwester/ Hebamme usw.) Traumberuf von den Vor und Nachteilen wusste und sich somit dementsprechend angefreundet hat. Jetzt hier zu jammer und zu heulen wehleidig wie schlecht es ist steht daneben und was die Bezahlung angeht ebenfalls.

  6. 38.

    Nein, es gibt keinen AN-Anspruch auf Urlaub in den Sommerferien der Kinder. Aber es gibt Eltern, die im Schichtdienst arbeiten (müssen). Ich bin z.B. selbst Erzieherin und arbeite zwischen 6 und 17:30h. Die Kita meiner Kinder macht schon um 17h zu. Wir regeln das Hole/Bringen seit Jahren, auch die Schließzeiten mit unserem Urlaub und haben seit Jahren keinen gemeinsamen Urlaub gemacht. Meine Kinder freuen sich über eine(!) Nacht in einer Jugendherberge wie andere über einen 2-wöchigen Türkei-Urlaub. Es wäre schön, wenn ich mich (wie viele andere Eltern auch) nicht erklären müsste, warum ich mit meinen eigenen Kindern, die ich oft abends nicht mehr sehe, auch mal gemeinsam Zeit verbringen möchte. Wir sind alle davon betroffen, dass von einem Tag auf den anderen die Kita 2h früher schließt. Wir regeln das, aber das freut weder die Chefs noch uns, weil uns dann Geld fehlt, die Kollegen das auffangen müssen etc. Aber es wird lieber gepöbelt, dass Eltern zu viel fordern.

  7. 37.

    Ich bezahle in unserer Durchschnitts-Dorf-Kita fur 2 Kinder von unseren im Deutschlandvergleich unterdurchschnittlichen Gehältern 720 Euro Beitrag. In Zahlen siebenhundertzwanzig. Dafür, dass ich arbeiten gehen kann dafür, dass ich 720 Euro für die Kinderbetreuung bezahlen kann. Wenn ich nicht so idealistisch wäre und Spass an meiner Arbeit hätte wäre eine Teilzeitstelle auch für mich ein lohnenderes Geschäft. Für x Sachen wird sinnlos Geld rausgehauen. Warum kann ich für 720 Euro Ihrer Meinung nach in einem noch ja wohl Sozialstaat in einer Kita nichts erwarten?!

  8. 36.

    Nee na dann. Wenn es keinen Rechtsanspruch gibt, dann wird ja gemeinsamer Familienurlaub wohl auch nichts tolles sein...

  9. 35.

    Völlig familienfeindliche Einstellung.
    1. ging es hier darum, dass keiner mit dieser Schließzeit rechnen konnte.
    2. schon mal versucht mit nem durchschnittlichen Einkommen Last Minute in den Sommerferien eine bezahlbare Reise zu buchen?

    Ich les hier viel Meinung von Leuten, die offensichtlich keine aktuelle eigenen Berührungspunkte mit dem Thema haben.

  10. 34.

    Es gibt für Eltern keinen Rechtsanspruch auf Urlaub in den Ferien. Auch gibt es keinen Rechtsanspruch, dass beide Elternteile gleichzeitig Urlaub haben

  11. 33.

    Man sollte den Urlaub erst buchen, wenn die Schließzeiten bekannt sind.

    Schließlich gibt's auch Last Minute genug Angebote

  12. 32.

    Die Entlohnung in dieser Branche ist nicht schlecht. Wenn jemand Zuwenig verdient, sollte man in Vollzeit arbeiten. Seit Jahren steigt die Zahl der Arbeitnehmer. die freiwillig in Teilzeit arbeiten deutlich an

    Klar ist es einfach, immer nur zu fordern.. mehr Gehalt.. mehr Personal

    Nur wo soll das Geld dafür herkommen? Sind die Eltern auch bereit. kostendeckede Beiträge zu zahlen? Neun, da wird denn auch wieder gejammert

  13. 31.

    Dann muss der Rechtsanspruch gestrichen werden. Es kann nicht sein, dass Eltern immer nur fordern aber nicht deutlich mehr zahlen

    Ab 2025 wird jeder Steuerzahler deutlich mehr leisten müssen.

  14. 30.

    Die Verantwortung trägt immer die aktuelle Regierung und nicht die damalige

    Die Eltern fordern und fordern... und jammern

    Vielleicht hätte man vor dem Kinder machen nachdenken sollen.

  15. 29.

    Man könnte es auch so formulieren: Frage nicht was der Staat für Dich machen kann, sondern frage danach was Du für den Staat machen kannst. Achso, Sie zahlen ein paar Euro Steuern, dann ist alles erledigt.

    Mal im Ernst, diese Vollkaskomentalität der Staat hat alles für mich zu richten ist doch wirklich drüber. Wird jetzt ernsthaft erwartet, dass Sie Kinder in diesen Anstalten abgeben und anschließend nach ihrem Gutdünken fertig erzogen wieder abholen können. Wie absurd ist das denn? Bodenhaftung ist nicht nur lebensnotwendig, sondern hilft auch ungemein.

  16. 28.

    Genau, vor 13 Jahren war da schon so. Der Zeitgeist hat sich aber nun einmal geändert. Es hatte ja auch einen guten Grund, warum dass nun nicht mehr so ist wie vor 13 Jahren. Viele Kita-Träger haben sich in letzten Jahren bundesweit von zu vielen Schließzeiten verabschiedet, um eben auch Familienfreundlich zu bleiben. Und in Brandenburg soll sich nun die Schließzeiten wieder durchsetzen… Des weiteren machen sich die Kita-Träger damit nicht nur Familienunfreundlich sonder auch als Arbeitgeber unattraktiv. Wer will schon bei jemanden arbeiten, der einem die Hälfte des Jahresurlaubes vorschreibt. Und gerade in dieser Branche, wo quasi überall gesucht wird. Arbeitsrechtlich geht das alles sicherlich in Ordnung. Aber der Rest ist da nicht bis zum Schluss durchdacht und alles eher eine kurzfristige Sache…

  17. 27.

    3 Wochen Schließzeiten sind ungewöhnlich? Ich arbeite in einer kleinen Kita mit 5 anderen Kolleginnen. Dort sind 3 Wochen Schließzeiten im Sommer schon immer die Regel...

  18. 26.

    Frau Ernst hat doch nur Sprechblasen, genau wie ihr Ehemann Scholz. Nur keine Verantwortung übernehmen

  19. 25.

    Warum wird immer auf die aktuelle Ministerin rumgehackt? Das viel zu wenig ausgebildet wurde sind Probleme von vor zig Jahren. Und wenn der öffentliche Dienst (siehe aktuelle Verhandlungen) unter einer Nancy Faeser meint, man zahle schon fair und gerecht, dann ist das Problem hausgemacht. Wer möchte diesen knochenharten Job denn noch machen? Auch mit einer Petition wird man wenig ändern können. Macht die Jobs attraktiver - aber das kann nicht nur Aufgabe des
    MBJS sein. In Brandenburg will halt generell keiner gern Lehrer oder Betreuer werden. Die Gründe sind vielfältig.

  20. 24.

    Vieles hat mit Weltanschauung zu tun. Es scheitert hier beim Petitionsführer, wenn auch unerwartet, ein gemeinsamer Jahresurlaub. Als Elternteil von Kindern, deren Kita JEDES Jahr über die Sonmerferien drei Wochen schloss, über Weihnachten auch und all die vielen netten Fortbildungstage usw. war es jahrelang logistische Normalität, keinen oder nur wenig gemeinsamen Jahresurlaub zu verbringen. Dazu gab es ZUSÄTZLICH immer wieder unerwartete verkürzte Öffnungszeiten und Schließtage wegen Personalmangel, teils mehrfach eine Woche lang. Eltern, denen durch tatsächlich fehlende Ersatzbetreuung - auch im privaten Umfeld (!)- erhebliche Probleme am Arbeitsplatz drohen, sollten hier Unterstützung erfahren, heißt, mit gesammeltem Restpersonal eine Kita öffnen. Häufig wird aber auch in solchen Zeiten von vielen Betreuung gefordert, die es im Notfall befristet zuhause oder anderweitig organisieren können. So wird eben für alle geschlossen, um Diskussionen zu vermeiden.

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