Keine Still- und Wickelräume - Rückzugsorte für junge Mütter fehlen in der Staatsbibliothek
14 Jahre lang wurde die Staatsbibliothek Unter den Linden für viel Geld saniert - an Angebote für junge Eltern wurden dabei nicht gedacht. Am Standort in der Potsdamer Straße sieht es nicht besser aus – zum Nachteil studierender Mütter. Von Thy Le
Im November kam der Sohn von Nina Franz zur Welt – die 42-Jährige unterbrach dafür ihre Forschungsarbeit. Acht Wochen später wollte sie sie wieder aufnehmen. "Es ist für mich dabei wichtig, die Bibliothek zu nutzen", sagt die Kulturwissenschaftlerin.
Zum Arbeiten sind die eigenen vier Wände für die zweifache Mutter keine Option, da bestimmte Literaturexemplare nicht digitalisiert oder nicht außer Haus ausleihbar sind. Mit der Ausstattung in der Staatsbibliothek traf die Kulturwissenschaftlerin allerdings auf Probleme. Denn an beiden Standorten Unter den Linden und Potsdamer Straße fehlen elterngerechte Angebote: Es gibt weder für Eltern reservierte Arbeitskabinen noch Bereiche zum Stillen oder Wickeltische. Das bestätigte auf Nachfrage von rbb|24 die Pressestelle der Staatsbibliothek.
"Wie viele Fälle gibt es noch?"
Ninas Partner bringt deshalb ihren Sohn ihr manchmal zum Stillen in die Staatsbibliothek. Das Kind nimmt sie dann allerdings nicht mit in den Lesesaal - sonst müsste sie darauf achten, dass die Babygeräusche für die anderen Lesenden nicht zu laut werden. "Das würde mich selbst auch beim Arbeiten stören", sagt sie. Mittlerweile gibt es eine provisorische, aber nicht ideale Lösung. Die Mitarbeiter:innen am Standort Potsdamer Straße, wo Nina Franz oft arbeitet, haben ihr einen kleinen Raum im Personalbereich angeboten; möbliert mit einem Stuhl und einem kleinen Tisch. Solche Lösungen würden allerdings erst auf Nachfrage kommen, meint Nina. Interessierte suchen auf der Webseite der Staatsbibliothek vergeblich nach Informationen für Besucher:innen mit Kindern.
Franz ist kein Einzelfall. Sie kennt andere Mütter in der Wissenschaft, die in der gleichen Situation sind wie sie. "Und wenn ich schon drei Mütter kenne, die es momentan betrifft – wie viele gibt es denn noch?", fragt sie sich.
Rückzugsmöglichkeiten sind für stillende Mütter wichtig
Laut dem Bundesbericht zu Wissenschaftlichem Nachwuchs von 2021 waren unter Promovierenden knapp ein Sechstel Eltern. Von den Studierenden waren es acht Prozent – 2021 hatte ein knappes Drittel von ihnen ein Kind, das unter drei Jahren alt war, wie eine Studierendenbefragung ergab. Einige Mütter würden auch ohne ihr Kind vor Ort Milch abpumpen, da sonst Milch austräte, sagt Franz.
In der Toilettenkabine abzupumpen oder das Kind zu stillen, fühle sich "räudig" an, sagen die Philosophin Charlotte Szász und Studentin der Informations- und Bibliothekswissenschaften Sophie Tertel untereinander, die beide in Berlin leben und arbeiten. Auch sie sind vor weniger als einem Jahr Mütter geworden. Charlotte Szász berichtet von ähnlichen Negativerfahrungen mit der Staatsbibliothek wie die von Nina Franz. Daher gehen Charlotte Szász und Sophie Tertel zum Arbeiten ins Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum zwei Blöcke weiter auf – dort gibt es einen Eltern-Kind-Bereich. Rückzugsmöglichkeiten seien für stillende Mütter mit ihren Kindern wichtig. Und für Alleinerziehende werde die wissenschaftliche Arbeit durch das Fehlen entsprechender Angebote zusätzlich erschwert, sagt Franz.
Ein Raum mit Tisch und bequemem Stuhl – mehr verlangt Franz nicht
Am Standort Unter den Linden fehlen entsprechende Angebote für junge Eltern - weil bei der Sanierung nicht daran gedacht wurde. Dies sei dem Umstand geschuldet, "dass die Planung für die Sanierung bereits zwanzig Jahre zurückliegt – ein Zeitpunkt, zu dem entsprechende Bedarfe noch nicht in der heute gängigen Weise mitgedacht wurden", erklärt die Pressestelle in einer schriftlichen Stellungnahme.
Nina glaubt, dass die jüngere Generation von Wissenschaftlerinnen selbstbewusster wird. Ihre Familienplanung würden sich die jungen Frauen nicht mehr nehmen lassen und auch Räume für sich als Mütter in der Wissenschaft einfordern. "Ich finde besonders wichtig, dass das Arbeiten mit Kindern ermöglicht wird", sagt Franz. Ein Raum mit Tisch und bequemem Stuhl – mehr brauche es nicht.
Es gebe bereits abschließbare Arbeitskabinen in der Staatsbibliothek – wieso sind nicht einzelne davon für Eltern mit Kind reserviert? Einige Zeit müssen Eltern sich dafür noch gedulden. Derzeit bemühe sich die Staatsbibliothek um unbürokratische Lösungen, für die Zukunft sei für den Standort Potsdamer Straße ein großzügiger Eltern-Kind-Bereich geplant, heißt es in einem Pressestatement. Einzelheiten gebe es dazu aktuell noch nicht. Nur so viel: Die Sanierung am Standort Potsdamer Straße soll 2025 beginnen und frühestens 2032 fertigstellt werden.
Nina Franz wird davon also nicht mehr profitieren.