Interview | Berliner Friedhöfe - "Wir haben weniger Einnahmen, müssen die Friedhofsflächen aber trotzdem unterhalten"
Für stillgelegte Friedhöfe werden neue Nutzungszwecke gesucht. Die Flächen möglichst grün zu halten sei wünschenswert, sagt der Geschäftsführer eines evangelischen Friedhofsverbands in Berlin. Trotzdem würden auch hochpreisige Wohnungen entstehen.
rbb|24: Herr Wagner, wieso wird in Berlin weniger Platz auf evangelischen Friedhöfen gebraucht?
Tillmann Wagner: Es ist ein berlinweites, sogar ein deutschlandweites Problem, dass sich durch die hohe Nachfrage an Feuerbestattung die Verhältnisse umgedreht haben. Früher hatten wir 93 Prozent Sargbestattungen und heute ist es genau umgekehrt. Wir haben bis zu 93 Prozent Urnenbestattungen und nur noch 7 Prozent Sargbeisetzungen.
Für einen Sarg brauchen wir eben eine Fläche von 1,10 Meter mal 2,20 Meter und für eine Urne 40 mal 40 Zentimeter. Neuerdings kommen auch andere Bestattungsangebote hinzu - zum Beispiel Friedwälder – die sich großer Beliebtheit erfreuen. Dadurch entstehen sukzessive Freiflächen auf den innerstädtischen Friedhöfen.
Wieso sind Freiflächen auf Friedhöfen ein Problem?
Für die Friedhofsträger stellt dies eine Herausforderung dar, weil die Flächen weiterhin unterhalten werden müssen. Wenn ich jetzt beispielsweise allein schon 18.000 Euro Straßenreinigungsgebühr für einen Friedhof im Jahr anfallen habe, aber kaum noch Gebühren über den Bestattungsbetrieb eingenommen werden, wird die Finanzierung problematisch.
Auch weitere Kosten kommen dazu. Die freien Friedhofsflächen müssen verkehrssicher gehalten werden sein, das heißt Baum- und Grünpflegekosten entstehen auch weiterhin.
Ist eine alternative Nutzung von Friedhöfen für den Evangelischen Friedhofsverband also wünschenswert?
Der Wunsch besteht natürlich, dass möglichst viel Friedhofsfläche als Grünfläche erhalten bleibt und da müssen wir Möglichkeiten prüfen, wie sich dies finanzieren lässt. Daraus, dass wir weniger Einnahmen haben, die Flächen aber trotzdem unterhalten werden müssen, ergibt sich ein gewisser Zwang wirtschaftlich zu denken.
Wenn sich Teilflächen, die wir nicht mehr brauchen, wirtschaftlich nicht mehr rechnen, dann müssen wir an manchen Standorten auch über eine bauliche Entwicklung oder eine Vergabe an beispielsweise Kleingartenvereine nachdenken, um damit den Erhalt der übrigen Friedhofsflächen zu sichern.
Also die ungenutzten Flächen zu verkaufen ist nicht das Ziel, sondern eher die Flächen zu behalten und wirtschaftlich zu machen, richtig?
Wenn es jetzt zum Beispiel um das Thema Bebauung geht, verkauft das Land Berlin selber inzwischen auch kein Land mehr, sondern gibt die Flächen im Erbbaurecht ab. Da hat sich die evangelische Landeskirche auch hinbewegt. Es wird nicht mehr verkauft, sondern es werden Flächen im Erbbaurecht auf Zeit abgegeben.
Sie haben eben gesagt, dass eine grüne Nutzung vor allem wünschenswert wäre, aber manchmal auch eine Bebauung angestrebt wird. Gibt es da bestimmte Bauzwecke, die Sie eher favorisieren als andere - Schulen, Büros, Wohnungen?
Das ergibt sich tatsächlich immer abhängig davon, wo sich der Standort befindet. Wir klären dann im Gespräch mit den Bezirken, ob es möglicherweise Bedarf für eine öffentliche Nutzung gibt, zum Beispiel als Schulstandort oder für eine Kita. Häufig ist es so, dass wir mit Stiftungen, mit gemeinnützigen Einrichtungen und anderen sozialen oder diakonischen Trägern ins Gespräch kommen.
Es gibt auch viele Genossenschaften in Berlin, die aufgrund von Mitgliederzuwachs Flächen suchen. Es gibt darunter 11 kirchliche Genossenschaften, die zum Beispiel Flächen zur Errichtung von Seniorenheimen, für betreutes Wohnen, Einrichtungen für Jugendliche, für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Flüchtlingsunterkünfte benötigen.
Also Luxuswohnungen entstehen nicht auf ehemaligen Friedhöfen?
In der Regel funktioniert sozial geförderter Wohnungsbau leider nicht ganz ohne hochpreisigen Wohnungsbau. Das ist bei den Entwicklern immer eine Mischkalkulation. Also wenn man einen hohen Anteil an sozialem Wohnraum schaffen möchte oder mietpreisgebundenen Wohnraum, dann muss es sich ja irgendwie anders finanzieren und deswegen geht das in der Regel auch nicht ohne Anteil an hochpreisigem Wohnraum.
Wenn Sie sich mit einem Investor zu einem Bau entschlossen haben, welche Hürden können bis zu einem fertigen Gebäude noch eine Rolle spielen?
Denkmalschutz, Naturschutz, aber auch die Interessen des Bezirks oder von Anwohnern. In solchen Planungen spielt das Thema Beteiligung der Öffentlichkeit immer mit. Insgesamt ist das Thema Erhalt von Grünflächen und klimafreundliche Stadt sehr wichtig. Mittlerweile ist es in Berlin schwierig, eine nicht versiegelte Fläche zu bebauen. Und wenn wir das tun, müssen wir uns dabei immer an den grünen Strukturen orientieren, die es auf dem Friedhof gibt.
Die Mehrzahl unserer Friedhöfe sind alle aufgebaut wie ein großes Handtuch, was wiederum in einzelne Quadrate oder Rechtecke aufgeteilt ist und zwischen diesen Rechtecken laufen immer eine Hauptallee in der Mitte und dann Queralleen mit schmaleren Wegen.
Unser Ziel ist immer, diese grünen Wege und die Baumstruktur zu erhalten. Auf einem denkmalgeschützten Friedhof ist es nahezu unmöglich zu bauen. Und auch das Thema Naturschutz geht immer mit einher. Da werden unheimlich viele Gutachten gefordert über die auf der Fläche vorhandene Flora und die Fauna. Es werden Artenschutz-Gutachten, Bodengutachten und Lärmschutzgutachten benötigt.
Einige Vorhaben befinden sich in der Planung. Ist schon absehbar, auf welchem Friedhof als nächstes gebaut wird?
Im Moment ist nahezu Stillstand. Das hängt mit den Neuwahlen zusammen, weil wir uns erst mit den neuen Gesprächspartnern zusammenfinden müssen und so weiter. Alle Dinge, die im Verfahren waren, müssen nochmal neu durchdacht werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Anna Bordel von rbb|24.