Gedenktafel in Berlin eingeweiht - Das unkonventionelle Leben der Rita "Tommy" Thomas

Mi 06.11.24 | 17:22 Uhr | Von Christopher Ferner
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Gedenktafel: Rita Tommy Thomas (Quelle: rbb/Christopher Ferner)
Video: rbb24 | 06.11.2024 | Freya Reiß | Bild: rbb/Christopher Ferner

Rita "Tommy" Thomas lebte ihre queere Identität in der DDR offen und verwandelte ihre Wohnung in einen Zufluchtsort für schwule, lesbische, bisexuelle und trans Personen. Jetzt erinnert eine Gedenktafel in Berlin an diese unangepasste Frau. Von Christopher Ferner

An diesem kalten Novembermittag liegt dichter Nebel über Berlin, graue Wolken verdecken den Himmel. Trotz des ungemütlichen Wetters haben sich rund 40 Menschen vor dem Haus in der Thaerstraße 42 in Friedrichshain versammelt – dem Ort, an dem einst Rita "Tommy" Thomas lebte und arbeitete. Der Anlass: An diesem Tag wird ihr zu Ehren eine Gedenktafel enthüllt, die zu diesem Zeitpunkt noch von einem fliederfarbenen Vorhang verdeckt bleibt. Doch wer war die Frau, deretwegen Weggefährt:innen, Pressevertreter:innen, Filmschaffende und Interessierte händereibend der Kälte trotzen?

Geboren 1931 in Berlin-Weißensee, wuchs Rita "Tommy" Thomas in einer Zeit auf, in der die Erwartungen an Frauen klar vorgezeichnet waren – auch was den Kleidungsstil betraf. Konservativ und feminin galt als die gesellschaftliche Norm: bevorzugt Röcke und Kleider. Doch Rita, die sich ab ihrem 15. Lebensjahr Tommy nannte, fügte sich diesen Vorgaben nicht. Sie trug vorzugsweise maskulin gelesene Kleidung.

So auch auf einem Porträtfoto, das 1955 in Ost-Berlin aufgenommen wurde. Etwas grimmig blickt Tommy darauf mit einer Zigarette im Mund in die Kamera. Sie trägt einen hellen Trenchcoat, eine Fliege, weite Stoffhosen und dunkle Schnürschuhe. Ihre Haare hat sie zu einer markanten Elvis-Tolle frisiert. Heute würde man dieses Aussehen in der queeren Szene als "butch" bezeichnen. In den fünfziger Jahren, als das Foto von Tommy entstand, nannte man dieses Auftreten "Bubi".

Tommys Wohnung als Rückzugsort für die queeren Communitys

Das Bild von Tommy zeigt mehr als eine modische Rebellion gegen die Geschlechternormen der Zeit. Es zeigt eine Frau, die Frauen liebte und daraus nie einen Hehl machte - und die anderen Homosexuellen einen sicheren Ort bieten wollte, obwohl ihr dafür Repressionen drohten.

In den 1960er- und 70er-Jahren wurde Tommys Wohnung in der Thaerstraße 42 zu einem festen Anlaufpunkt für die queere Szene Ost-Berlins. Denn die meisten queeren Lokale lagen im Westteil der Stadt. Im Osten wuchs deshalb nach dem Mauerbau der Bedarf an geschützten Räumen für LGBTIQ-Personen.

Tommy baute einen Bartresen in ihre Wohnung ein und schuf damit einen Ort, an dem ausgelassen gefeiert werden konnte. Ihre Wohnung wurde zu einer Zuflucht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans Personen - ein "Ort der Geborgenheit", wie die Dokumentarfilmerin Anette von Zitzewitz ihn in ihrer Rede zur Gedenktafel nannte.

Chronistin eines vergessenen Alltags

Heute würde man Tommys Wohnung wohl als einen "Safe Space" bezeichnen. Solche Schutzräume waren damals noch viel dringender nötig als heute. Zwar war die DDR in rechtlichen Fragen fortschrittlicher als die Bundesrepublik: 1968 wurde die Kriminalisierung männlicher Homosexualität teilweise aufgehoben und 1988 ganz abgeschafft. Doch das gesellschaftliche Klima blieb repressiv und oft von Homofeindlichkeit geprägt.

Tommy, die 2018 mit 87 Jahren starb, ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern und lebte ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen. Wie unkonventionell dieses Leben war, zeigt sich auch in ihrer beruflichen Tätigkeit: In der Thaerstraße befand sich unter ihrer Wohnung ihr eigener Friseursalon - doch statt Menschen zu frisieren, kümmerte sie sich dort um die Frisuren von Hunden.

Infos im Netz

Gastgeberin, Aktivistin, Hundefriseurin und Fotografin

Doch Tommy war nicht nur Gastgeberin, Aktivistin und Hundefriseurin, sondern auch Chronistin. Mit ihrer Kamera dokumentierte sie ihr eigenes Leben und hielt so den queeren Alltag in der DDR fest. Viele der Fotos zeigen Tommy mit ihrer Partnerin Helli, andere fangen ausgelassene Momente mit Freund:innen ein. Heute sind diese Aufnahmen im feministischen Archiv FFBIZ zu finden.

Anette von Zitzewitz sagt über die Bedeutung dieser Fotos: "Sie sind eine Bereicherung, denn sie zeigen den queeren Alltag in der DDR, der so auch der jüngeren Generation zugänglich gemacht werden kann." Einen Alltag, der zu oft vergessen wird – und ein Leben, an das nun auch eine kleine Gedenktafel in Friedrichshain erinnert.

Sendung: rbb24, 06.11.2024, 16:00 Uhr

Beitrag von Christopher Ferner

2 Kommentare

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  1. 2.

    Muss das sein, "maskulin 'gelesene' Kleidung"? Ich lese Kleidung nicht, ich sehe sie an als …, interpretiere sie als …, verstehe sie als …

    Auch "queer" – was soll das sein, das versteht Ottostandardbürger nicht, sondern tütet diese Gruppe – ja, nicht 'community' – gleich ein, packt sie in Schubladen, von denen man eher weniger versteht als mehr, wenn man solche unverständliche 'in-group'- Etiketten draufpappt.

    Fazit: Bitte allgemeinverständlich, dann ist es auch ein echter Beitrag. Neues Vokabular kann am Rande in einem Kasten erklärt werden.

  2. 1.

    Eine sehr interessante und charismatische Person, unheimlich sympathisch, eigenwillig, stark und lebensbejahend. Mut bedeutet ja, sich das eigene Leben nicht verbieten zu lassen und anderen eine Stütze zu sein, wenn diese mutlos werden. All das hat sie mit ihrer Art des Lebens durchgesetzt. Das muss man erstmal leben, zwischen den vielen Überangepassten und Ängstlichen in der Einheitswelt. Es war ja auch gefährlich, das zu sein, was man ist, oftmals wird die eigene Identität heute noch geleugnet aus Angst vor Mitmenschen und Ablehnung. War bestimmt ein schwieriges, aber auch ein verdammt authentisches und glückliches Leben.

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