Zentrale Leitstelle gefordert - Krankentransporte in Berlin nur schwer zu finden

Do 07.11.24 | 11:10 Uhr | Von Wolf Siebert
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Symbolbild:Ein Rettungsassistent beim Verladen der Krankentrage nachdem ein Patient in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert wurde. (Quelle:imago images/snaphot-photography/T.See)
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Audio: rbb24 Inforadio | 07.11.2024 | Wolf Siebert | Bild: imago images/snaphot-photography/T.See

Schwerkranke Menschen können zwar oft noch zuhause leben, müssen aber in regelmäßigen Abständen zur Behandlung zum Arzt oder ins Krankenhaus. Der Weg dorthin ist manchmal ein Hürdenlauf. Das hat finanzielle und strukturelle Gründe. Von Wolf Siebert

Die Mutter von Christin Bauer ist schwerkrank. Einmal im Monat muss sie deshalb zur Behandlung in eine Spezialklinik. Während der Fahrt muss sie mit Sauerstoff versorgt werden. Der Arzt hatte dafür eine Verordnung geschrieben und die Kasse den Transport bewilligt. Die Strecke zwischen Wohnung und Klinik ist rund 21 Kilometer lang.

Christin Bauer setzte sich also ans Telefon, rief fünfunddreißig private Transportunternehmen an. Ohne Erfolg: "Es wurde mir gesagt, dass dieser Weg sehr weit ist und dass ich deshalb für diese Strecke wohl niemand finden werde. Ich habe das so verstanden, dass die Kassen zu wenig bezahlen und sich das deshalb für die Firma nicht lohnt. Außerdem hat man mir gesagt, dass ich mir ein anderes Krankenhaus suchen soll, was nicht so weit weg liegt. Aber das ist für meine Mutter keine Option."

Zu wenig Geld für lange Strecken

Auch die Krankenkassen bestätigen auf rbb-Anfrage, dass viele der rund neunzig privaten Krankentransportunternehmen Anfragen ablehnen, wenn ihnen die Fahrt unwirtschaftlich erscheint - obwohl sie eine Leistungspflicht haben. Das bedeutet: Sie dürften eigentlich keine Transporte ablehnen.

Dahinter steckt ein Streit ums Geld. Die Krankenkassen zahlen den Krankentransportunternehmen für eine fünf Kilometer lange Strecke eine Grundpauschale von rund 100 Euro, bei längeren Strecken gibt es kleine Aufschläge – für je 5 weitere Kilometer 1,50 Euro mehr. Damit sind viele Firmen unzufrieden, deshalb hat nur die Hälfte der Unternehmen diese Pauschale akzeptiert. Eine lange Strecke ist weniger attraktiv als mehrere Kurzstreckenfahrten. Auch deshalb findet Christin Bauer keinen Krankentransportwagen.

Mehr Geld für Rettungssanitäter in Brandenburg

Matthias Rack ist Vorsitzender des Berliner Verbands privater Rettungsdienste. In Lichtenrade hat er eine eigene Transportfirma. Mit anderen Firmen teilt er sich eine private Leitstelle. An diesem Morgen gibt es schon zahlreiche Anfragen von Kliniken, Pflegeheimen und Privatpersonen.

Täglich gebe es bis zu siebenhundert Einsätze, aber gut siebzig Anfragen müsse man ablehnen, sagt Rack, er nennt aber einen anderen Grund als die Krankenkassen - Personalmangel: "Im Land Brandenburg – das sind 500 Meter von hier – wird ein Rettungssanitäter durchschnittlich mit 1.000 Euro mehr bezahlt als bei uns im Land Berlin. Und da kann man sich vorstellen, wo Menschen lieber arbeiten gehen. Und das ist unser Hauptproblem."

Vermittlungsstelle für Berlin gefordert

Racks Firma hat vierzehn Krankentransportwagen, rund die Hälfte kann er aufgrund von fehlendem Personal nicht besetzen. Aus Sicht der Krankenkassen gibt es in Berlin auch noch ein systemisches Problem: Ärzte in Krankenhäusern und Praxen würden zu häufig einen Krankentransportwagen mit Sanitätern bestellen, obwohl die Patienten auch mit Taxi oder Mietwagen fahren könnten. Für die Kassen wäre das deutlich billiger. Und schwerkranke Patienten wie die Mutter von Frau Bauer hätten dann größere Chancen, einen Krankentransport zu bekommen.

Laut einer Erhebung der Kassen finden in Deutschland 20 Prozent aller Fahrten mit Krankentransportwagen in Berlin statt. Noch deutlicher ist der Vergleich mit Brandenburg: 2023 wurden in Berlin 60 Prozent der medizinischen Fahrten mit einem Krankentransportwagen gemacht, in Brandenburg nur 2 Prozent.

Die Kassen wünschen sich für Berlin deshalb auch eine zentrale Leistelle, wie es sie in Brandenburg bereits gibt. Diese Vermittlungsstelle könnte dann alle Anfragen disponieren, und Menschen wie Frau Bauer müssten nicht mehr dutzende Transportunternehmen anrufen. Mit dem Senat gibt es aber nach wie vor Streit, wer diese Reform bezahlen soll.

Vergütung versus Wirtschaftlichkeitsgebot

Konkrete Lösungsvorschläge von der Senatsverwaltung für Inneres, die für das Thema zuständig ist, gab es auf eine rbb-Anfrage nicht. Zurzeit werde im Abgeordnetenhaus der erste Entwurf einer Reform des Rettungsdienstgesetzes diskutiert, und man wolle dem parlamentarischen Verfahren nicht vorgreifen.

Eine grundsätzliche Anmerkung gab es dann aber doch: "Der Bereich des Krankentransportes befindet sich in dem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch des Personals nach einer höheren Vergütung einerseits und dem Wirtschaftlichkeitsgebot für solche Leistungen andererseits. Steigende Ausgaben im Gesundheitswesen und der Kostendruck für die Krankenkassen führen dabei zu schwer lösbaren Zielkonflikten."

Zu wenig Geld, zu wenig Personal und offene strukturelle Fragen: Christin Bauer und ihre Mutter können nicht warten, bis all diese Probleme gelöst sind. Für die Transporte bis zum Jahresende hat Frau Bauer eine Lösung gefunden, ein "Freundschaftsdienst" wie sie erzählt.

Wie es im neuen Jahr weitergeht, ist offen: "Das weiß ich nicht. Ich will jetzt auch noch gar nicht darüber nachdenken, weil uns das alle überfordert. Wir versuchen, das von meiner Mama fernzuhalten und sagen ihr, dass wir irgendeine Lösung finden werden."

Sendung: rbb24 Abendschau, 7.11.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

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12 Kommentare

  1. 11.

    Solange man Radwege in Peru finanziert und Kriege beliefert und rechtswidrige Sanktionen verhängt, der muss sich auch nicht wundern. Leider wird das mit Blackrok Merz nicht besser werden.

  2. 10.

    Bei einem schweren Sturz im September habe ich mir beide Beine vielfach gebrochen und darf sie null belasten. Ich bin komplett an den Rollstuhl gefesselt, habe nach der Operation knapp drei Wochen im UKB gelegen.
    Zum Kontrolltermin und Röntgen im UKB habe ich über 50 Krankentransportunternehmen angerufen.
    Zum Schluss fand ich ein Unternehmen, das nur transportiert gegen Bargeld, für die horrende Summe von 700.-. Diese Summe habe ich privat bezahlt. Einmal von Charlottenburg nach Marzahn und zurück mit dem Krankentransport ist teurer als ein Flug von Berlin nach New York und zurück.

  3. 9.

    "... hat Frau Bauer eine Lösung gefunden, ein "Freundschaftsdienst" wie sie erzählt."
    Dann soll man doch diese Möglichkeit einfach in das neue Rettungsdienstgesetz aufnehmen, und schon ist die Sache gelöst!
    Gefahren wird, und Staat und Kassen müssen nichts bezahlen. Win-win!! :-)))

  4. 8.

    In Helle Mitte sind mehrere Dialyse-Praxen. Die Patienten brauchen da ziemlich viel Zeit, in der KTW-Unternehmen aus Brandenburg oder weiter weg in Berlin keine Zwischenaufträge annehmen können. Einfach zu weit aus deren Einzugsgebiet. Ähnlich sieht es für Arzttermine anderer Patenten aus, die nicht allzu lange dauern. Da ist es oft günstiger einen KTW warten zu lassen als ihn mit einem anderen Auftrag wegzuschicken und dafür nach Ende des Arzttermins einen anderen KTW erstmal anfahren zu lassen

  5. 7.

    Im Land Brandenburg wird ein Rettungssanitäter also mit durchschnittlich 1.000 Euro mehr bezahlt als in Berlin. Und warum zahlen die Berliner Krankenransportfirmen ihren Mitarbeitern nicht mehr Geld? Wer hindert sie denn daran?

    So kann, wie im Fall des Herrn Rack, wegen fehlenden Personals die Hälfte seiner Wagen nicht genutzt werden. Wenn er das könnte, müsste sich das höhere Gehalt, dass er seinen Mitarbeitern zahlt, doch trotzdem für ihn rechnen.

    Ich kann nur spekulieren, dass hier Profitgier im Spiel ist. Und die Kranken, die auf die Transporte angewiesen sind, bleiben auf der Strecke.

  6. 6.

    Mein Vater ist privatversichert, aber wir finden auch keine Lösung, wie er zu den Ärzten kommen soll/kann. Ich bin berufstätig und kann dies nur in Ausnahmefällen leisten …

  7. 5.

    Die wenigsten Betroffenen, die Ansprüche auf einen Krankentransport haben, könnten alternativ mit dem Taxi transportiert werden. Da guckt die Kasse schon hin...

  8. 4.

    Ich brauche auch hin und wieder einen Krankentransport um zum Arzt zu kommen. Aber entweder es hieß dann da fahren die Dialysen oder da haben wir Feierabend. Jetzt habe ich zum Glück einen Arzt in der Nähe. Aber es lief echt schlecht.

  9. 3.

    Diese Erfahrung habe ich für meine Mutter auch schon machen müssen. Katastrophal!
    Es gibt zuviele kleinere Unternehmen, die mit den dubiosesten Vertragskonstrukten/Abrechnungen agieren. Kürzere Strecken werden oft abgelehnt, weil es sich nach deren meinung nicht lohnt und die Krankenkassen zuwenig zahlen.
    Ich bin auch der Meinung, Krankentransporte sollten generell zentral erfasst und über eine Leitstelle vermittelt werden sowie einheitlich abgerechnet werden. Jeder Krankentrasport-Unternehmer sollte darin erfasst sein und freie Kapazitäten zeitnah melden müssen. Alle anderen nicht zulässig sein, ausser Privattaxis.
    Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich ein Mini-Unternehmen mit einem Fahrzeug und ggf. 3 Angestellten rechnet und alles mit rechten Dingen zugeht, um monatlcih wirtschaftlich agieren zu können. Hier ist also auch in diesem Gesundheitsbereich noch viel Luft nach oben.

  10. 2.

    Das ist das eine Problem. Dafür stehen dutzende KTW stundenlang sinnlos rum, wie in Helle Mitte (Hellersdorf). Diese blockieren die Behindertenparkplätze den ganzen Tag über, unter den Augen des Ordnungsamtes. Die Fahrzeuge haben teilweise außer einer Handynummer und Kennzeichen aus dem Umland, keinerlei Ligimitation. Andere machen dies genau so. Für andere Patienten ist keine Kapazität vorhanden. Man steht bei Krebs-und Dialysepraxen, weil es dort ein Geschäft zu machen gibt. Es ist alles nur auf Profit ausgelegt und die betroffenen Patienten sind den Firmen scheiß egal.

  11. 1.

    Das Problem sind leider die Pauschalen, die lange Strecken unwirtschaftlich machen. Hier sind die Krankenkassen gefragt, dies zu ändern, weil sonst die Patienten die Leidtragenden bleiben. Jede dieser Fahrtkostenverordnungen muss vorher von der Krankenkasse genehmigt werden. Dabei kann die Kasse auch prüfen, ob es nicht nähere Behandlungsalternativen gibt. Wenn dies nicht der Fall ist, so wie beim Beispiel im Artikel, dann ist es eigentlich die Pflicht der Kasse, die Kosten auch entsprechend zu übernehmen. Würde man dies konsequent anwenden, bräuchte es keine Pauschalen, die einen Teil der Fahrten sogar überfinanzieren, weil sie kürzer als 10 km sind. Dann könnte man, genau wie bei der Verordnung von Taxifahrten, kilometergenau abrechnen und alle hätten gewonnen.

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