Doppelhaushalt 2024/25 - Schwarz-Rot in Berlin plant Rekord-Etat und will dafür wichtige Rücklagen aufbrauchen
Die schwarz-rote Koalition will mit dem neuen Haushalt am Donnerstag Rekordausgaben von rund 40 Milliarden Euro jährlich auf den Weg bringen. Im Etat klafft dann eine riesige Finanzierungs-Lücke - deshalb drohen schon 2024 Kürzungen. Von Jan Menzel
Es ist eigentlich egal, wen man auf den Fluren des Abgeordnetenhauses anspricht. "Wahnsinn", murmelt ein ehemaliger Senator und schüttelt den Kopf. Für einen Abgeordneten sind die Zahlen schlicht "Voodoo", während ein anderer Kenner der Haushaltsmaterie trocken bilanziert: Berlin sei jetzt wieder da angekommen ist, wo die Stadt Anfang der 2000er Jahre schon einmal stand, als die Parole "Sparen, bis es quietscht" ausgerufen wurde.
Der Doppelhaushalt der schwarz-roten Koalition hat es gleich in mehrfacher Hinsicht in sich. Mit rund 40 Milliarden Euro pro Jahr soll so viel Geld wie noch nie ausgegeben werden und in nahezu allen Bereichen. Preissteigerungen und Tariferhöhungen tun ihr Übriges. Die großen Schwerpunkte bei den Investitionen sind dabei unter anderem Investitionen in die Infrastruktur, die Wohnungsbauförderung und Ausgaben im Bildungsbereich.
Sparschritt erfolgt später, das Instrument dafür: Pauschale Minderausgaben
Möglich sind die hohen Ausgaben aber nur, weil alle Milliarden-Rücklagen, die wegen der Corona-Pandemie und der Energiekrise gebildet wurden, leergesaugt werden. Und weil der Senat zu einem besonderen Haushalts-Kniff greift: den Pauschalen Minderausgaben.
Sie sind nichts anderes als eine Sparvorgabe. In den nächsten beiden Jahren liegt die bei stattlichen 3,8 Milliarden Euro. Diese Summe muss aus dem Haushalt, der jetzt noch so aufgeblasen daherkommt, wieder herausgeschnitten werden. Wo genau, verraten Senat und Koalition nicht.
SPD-Kritik an Opposition: Schreckensszenarien würden herbeigeredet
Oppositionspolitiker wie AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker sprechen daher von "klassischen ungedeckten Schecks". "Projektträger müssen jederzeit darauf gefasst sein, dass sie nicht das bekommen, womit sie rechnen", warnt Linken-Chefhaushälter Steffen Zillich. Er befürchtet, dass der Rotstift vor allem bei sozialen Einrichtungen und Projekten angesetzt werden könnte. Auch der haushaltspolitische Sprecher der Grünen André Schulze schätzt Kürzungen in vielen Bereichen als "Risiko und realistisches Szenario" ein.
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Torsten Schneider nennt es dagegen "bedauerlich, dass solche Schreckensszenarien geradezu herbeigeredet werden". Man könne nicht ernsthaft von "Kahlschlag" sprechen, sagt auch CDU-Haushaltspolitiker Christian Goiny. Er erinnert daran, dass die Ausgaben des Landes in der Pandemie geradezu explodiert sind und um zehn Milliarden Euro über dem Vor-Corona-Niveau liegen.
Von diesem Niveau müsse man allmählich wieder herunter. Beide, Goiny und Schneider, versäumen dabei nicht, mit dem Finger auf den vorigen grünen Finanzsenator Daniel Wesener zu zeigen. Von ihm habe Schwarz-Rot schließlich den Haushalt mit seinen Eckwerten übernommen.
Berlin hat ein strukturelles Problem
Doch jenseits politischer Schuldzuweisungen wissen die Haushaltspolitiker aller Fraktionen: Berlin hat ein ernsthaftes strukturelles Problem. "Die Rücklagen kann man nur einmal anzapfen", legt der haushaltspolitische Sprecher der Linken Steffen Zillich den Finger in die Wunde. Im Doppelhaushalt 2024/25 geht das noch ein letztes Mal. Aber danach wird das Haushaltsloch auf einen Schlag um über zwei Milliarden Euro größer sein. Eine regelrechte "Abbruchkante" drohe dann, fürchtet nicht nur Zillich.
Die Regierungsfraktionen von CDU und SPD haben daher in den Haushaltsberatungen mehrere Beschlüsse gefasst, um gegenzusteuern. "Wir haben einen Prozess eingeleitet", sagt SPD-Haushälter Schneider. Damit soll die ausufernde Ausgabenentwicklung wieder zurückgeschraubt werden. Von einem "Übergangshaushalt" spricht sein CDU-Kollege Christian Goiny.
Die Regierungsfraktionen haben im Haushaltsgesetz verankert, dass die Bezirke künftig das Geld für Stellen, die sie nicht besetzen, wieder zurückgeben müssen. Außerdem sollen die Mitarbeiter in den Verwaltungen enger zusammenrücken, um Kosten zu reduzieren. Auf die Anmietung von Gebäuden für Behörden will die Koalition nach Möglichkeit verzichten. Außerdem haben die Fraktionen langfristige Finanzzusagen vorläufig gestoppt. Diese so genannten Verpflichtungsermächtigungen hatten sich zuletzt auf einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag summiert.
Maßnahmen brauchen Zeit
Fraglich ist nur, wie schnell das den schweren Tanker der Landesfinanzen auf einen sicheren Kurs bringt. "Das passiert nicht von heute auf morgen", zeigt sich Grünen-Haushälter André Schulze skeptisch. Er schätzt, dass durch den Neuvermietungsstopp und das Abschöpfen der Personalmittel bei den Bezirken bestenfalls ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag zusammenkommt. Das wäre deutlich zu wenig, um die erforderlichen 3,8 Milliarden Euro aus der Einsparvorgabe zu erfüllen.
Helfen wird dem Senat jedoch, dass so wie in den Vorjahren Bauprojekte oder andere Investitionsvorhaben nicht rechtzeitig begonnen und abgerechnet werden. Regelmäßig bleiben auch hohe Beträge liegen, weil Stellen aufgrund von Bewerbermangel nicht besetzt werden können.
Und doch wird sich in den nächsten Jahren etwas grundlegend ändern. "Wir werden lernen müssen, mit weniger Geld auszukommen", sagt CDU-Haushälter Christian Goiny, ohne ins Detail zu gehen. Der Grüne André Schulze ist überzeugt, dass auch der Öffentliche Dienst einen Beitrag leisten wird: "Den Personalaufwuchs werden wir so nicht fortsetzen können."
Pauschale Minderausgaben für die Verwaltungen? - "Da werden Tränen fließen!"
Schulze und Linken-Haushälter Zillich sprechen sich zudem dafür aus, Investitionen zu verlagern. Statt diese größtenteils direkt aus dem Landeshaushalt zu bezahlen, sollten Landesunternehmen wie beispielsweise die Wohnungsbaugesellschaften Kredite aufnehmen, um zu investieren. AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker spricht sich indes für eine Strukturreform aus, die ans "Eingemachte" geht. Einsparpotentiale sieht sie bei einer stärkeren Digitalisierung und konsequenten Reform der Verwaltung.
Kurzfristig könnten aber auch andere Mittel erforderlich sein, um Berlins Ausgaben zu begrenzen. Brinker hält Haushaltssperren in den Bezirken durchaus für möglich. Charlottenburg-Wilmersdorf und Neukölln sahen sich dazu schon in diesem Jahr genötigt. Auf Landesebene rechnen Koalitionspolitiker eher nicht damit, dass eine Haushaltssperre kommt.
Klar ist dagegen, dass ab 1. Januar Finanzsenator Stefan Evers (CDU) eine entscheidende Rolle spielen wird. Evers wird die Pauschalen Minderausgaben auf die einzelnen Senatsverwaltungen verteilen und den Fachsenatorinnen und -senatoren Einsparsummen aufs Auge drücken. "Da werden Tränen fließen", ist für Haushaltspolitiker der Koalition bereits ausgemacht. Sehr wahrscheinlich wird nach dem Sommer auch ein Nachtragshaushalt erforderlich sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.12.2023, 13 Uhr