Brandbrief zum Abschied - "Minderleister und Totalversager" - Mitarbeiter rechnet mit AfD-Fraktion ab
Ein Mitarbeiter überwirft sich mit der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und teilt zum Abgang heftig gegen Abgeordnete und Führung aus. Die Fraktion reagiert schmallippig. Von Sabine Müller
Es sind 2.116 Wörter, die es in sich haben - in einem Schreiben, das an alle Abgeordneten der Fraktion und an alle AfD-Bezirksvorstände in Berlin ging. Die AfD-Fraktion spiele qualitativ "bestenfalls in der 3. Liga", Abgeordnete säßen "ängstlich und hilflos wie Bambi" in den Ausschüssen und die Fraktionschefin ("überfordert") versuche die Defizite "durch eine One-Woman-Show wegzulächeln", heißt es in der Mail, die dem rbb zugespielt wurde.
Der Referent, dessen Name der Redaktion bekannt ist, arbeitet sich auf vielen Ebenen an der AfD-Fraktion ab, für die er mehrere Jahre lang tätig war. Erst verantwortlich für Kultur, zuletzt für Sport. Eine Interviewanfrage des rbb lehnte der Mann ab.
Der Fraktion als Ganzes wirft der Referent vor, es dominierten "unambitioniertes Mittelmaß und opportunistische Gleichgültigkeit", es fehle an Mannschaftgeist, viele Abgeordnete beschäftigten sich in erster Linie mit der eigenen Wiederwahl. "In der AfD-Fraktion Berlin wird das ursprüngliche AfD-Prinzip ‘Erst das Land, dann die Partei und dann die eigene Person’ schamlos ins Gegenteil verkehrt."
Deutliche Worte für kulturpolitischen Sprecher
Mit einzelnen Abgeordneten rechnet der Mann persönlich ab, allen voran mit dem ebenso "hilflosen wie bornierten" kulturpolitischen Sprecher Robert Eschricht: "Er fragte mich ernsthaft, wie viele Opernhäuser es in Berlin gibt und ob sich auch ein Opernhaus in Treptow-Köpenick befindet." Neben inhaltlicher Kritik wird auch Eschrichts Arbeitsmoral beklagt, er sei regelmäßig sehr verspätet oder gar nicht zu Arbeitssitzungen erschienen. Mehrfach will sich der Referent an AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker und ihren Geschäftsführer gewandt haben, von dort habe es aber keine Unterstützung gegeben. Ob ihre "Mannschaft" funktioniere, sei Brinker scheinbar "gleichgültig". Inhaltliche "Elfmeter" würden liegengelassen, beklagt der Schreiber, die AfD-Fraktion vergebe regelmäßig Chancen, die Regierung hart anzugreifen.
In seinem Abrechnungsschreiben betont der Referent, es gebe in der AfD-Fraktion Berlin "auch fähige und fleißige Abgeordnete". Den Parteimitgliedern der Berliner AfD empfiehlt er, sich "gut zu überlegen", wen sie auf die Listenplätze für die nächste Abgeordnetenhauswahl setzen. "Konsenslisten werden in jedem Falle wieder dazu führen, dass im Rahmen des gegenseitigen Unterhakens Minderleister und Totalversager stolz wie Bolle ins Abgeordnetenhaus einziehen und anschließend ängstlich und hilflos wie Bambi in Ausschüssen sitzen. Die Partei und unsere Wähler werden auf diese Weise eiskalt verraten." Was seine eigene Zukunft angeht, kündigt der Mann seinen Abschied aus dem Berliner Landesverband und der Hauptstadt an. Der AfD wolle er aber "treu bleiben".
"Komplett an den Haaren herbeigezogen"
Was steckt hinter diesem Schreiben, das sich inzwischen weit über die Berliner AfD hinaus verbreitet hat? Lässt hier ein persönlich gekränkter Mitarbeiter Dampf ab oder hat die Fraktion ein ernstes Problem? Die Fraktionsführung der AfD lässt durch einen Sprecher nur mitteilen: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu Personalangelegenheiten öffentlich nicht äußern." Hintergrund der knappen Reaktion ist vermutlich, dass man den Schreiber nicht aufwerten will, indem man die Vorwürfe kommentiert.
Aus Kreisen der Fraktion wurde dem rbb aber versichert, die Vorwürfe seien "komplett an den Haaren herbeigezogen", es handele sich um "wilde Behauptungen", die man nicht ernst nehmen könne. Der Mann sei auch im AfD-Bezirksvorstand in Treptow-Köpenick und der dortigen BVV regelmäßig angeeckt.
Namentlich wollte sich nur der Abgeordnete Robert Eschricht äußern. Gegenüber dem rbb wies es die persönlichen Anwürfe des Referenten als "unwahr" zurück. "Ich weiß, dass er sich in einer persönlichen Krise befindet und wünsche ihm viel Glück und gute Besserung."
Für die AfD-Fraktion unter Chefin Kristin Brinker sind die heftigen internen Anwürfe, die an die Öffentlichkeit gelangen, eine ungewohnte Situation. Zwar gibt es unter den Abgeordneten durchaus einzelne, die Brinkers Auftreten nicht aggressiv genug finden und ihr auch eine gewisse Mitschuld daran geben, dass das AfD-Ergebnis bei der Wiederholungswahl 2023 niedriger ausfiel als erwartet. Aber solche Kritik kommt nur vereinzelt und unter der Hand.
Als Reaktion auf das Abrechnungsschreiben zeigt sich die AfD-Fraktion demonstrativ geschlossen. Wie der rbb aus Fraktionskreisen erfuhr, entschied die Fraktion am Donnerstag einstimmig, dem Referenten fristlos zu kündigen. Außerdem wird überlegt, ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel des Parteiausschlusses anzustoßen.