Geplante Tangentiale Verbindung Ost - Der Kampf um die TVO: Auto gegen Schiene in Berlin

So 16.06.24 | 10:23 Uhr | Von Jan Menzel
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Visualisierung der Tangentialverbindung Ost. (Quelle: KRP Architektur)
Audio: rbb24 radioeins | 10.05.2024 | Volker Wieprecht / Katja Schulz | Bild: KRP Architektur

Schon die DDR wollte die Tangentiale Verbindung Ost bauen. Nach der Wende wuchs der Druck: Immer mehr Autos brachten immer mehr Verkehrslärm in Wohngebiete. Nun ist die TVO in der entscheidenden Planungsphase. Aber passt sie noch in die Zeit? Von Jan Menzel

Sich Unterhalten im Vorgarten? Klaus Jürgen Velke winkt nur ab. "Da müssen Sie schon brüllen", sagt der 72-Jährige. Velke wohnt in Biesdorf, mitten im Siedlungsgebiet. Über die Köpenicker Straße direkt vor seinem Haus donnert der Durchgangsverkehr. Auch große Lastwagen sind darunter und viele Transporter. Wenn viel los ist, kann Velke die Vibrationen bis in sein Wohnzimmer spüren. Für den Eigenheimbesitzer war daher schon vor Jahren klar: "Da muss was getan werden. Die TVO muss kommen, auf jeden Fall!" Durch sie würde es voraussichtlich viel weniger Verkehr durch sein Siedlungsgebiet geben.

Erste Überlegungen für die Tangentialverbindung gehen ins Jahr 1969 zurück. Eine Schnellstraße wurde seinerzeit in den Generalverkehrsplan der Hauptstadt der DDR aufgenommen. Nach jahrzehntelangen Diskussionen, immer neuen Vorschlägen und Trassenplänen ist das größte Straßenbauprojekt im Ostteil der Stadt inzwischen im Stadium der Planfeststellung angekommen.

Mittelstück der TVO fehlt noch

Wie komplex das Vorhaben ist, zeigt die schiere Menge der Unterlagen. 45 Aktenordner wurden von der Verkehrs- in die Stadtentwicklungsverwaltung befördert und konnten dort eingesehen werden. Noch bis Anfang Juli können Betroffene Stellung dazu nehmen. Verbände und Behörden haben noch einen Monat länger Zeit für Einwendungen.

Worum es bei diesem Bauabschnitt geht, ist ein Lückenschluss. Im Norden und Süden ist die Tangentiale Verbindung längst fertig. Was noch fehlt, ist das 7,2 Kilometer lange Mittelstück. Der Abschnitt liegt zwischen der Märkischen Allee im Bezirk Marzahn-Hellersdorf und der Spindlersfelder Straße im Bezirk Treptow-Köpenick. Hier soll die TVO als vierspurige Straße realisiert werden. Neben der Fahrbahn für die Autos ist auch ein vier Meter breiter Zweirichtungsradweg vorgesehen.

Eine Karte der geplanten Tangentialverbindung Ost © rbb24/RosselEine Karte der geplanten Tangentialverbindung Ost

"Beste Variante"

Auf die jetzt verfolgte Planungsvariante hatten sich die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick schon 2012 verständigt. Die TVO soll demnach zunächst auf der östlichen Seite des dortigen Bahndamms der Güterbahn verlaufen und danach westlich des Damms weiterführen. Dieses Verschwenken macht es nötig, dass auch Unterführungen gebaut werden, um die Bahnstrecke zu unterqueren. Das hat das Projekt teurer und die Strecke ein paar hundert Meter länger gemacht.

Lokale und regionale Wirtschaftsverbände, Anwohner und der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) gehören zu den Fürsprechern dieser Planung. "Ich bin überzeugt, dass die absolut beste Variante aufs Papier gebracht wurde", sagt Peter Ohm, Vizepräsident des VDGN. Umwelt- und Verkehrsverbände sowie die Bürgerinitiative Wuhlheide sehen das vollkommen anders. Sie haben sich kürzlich zum Bündnis "Schiene vor TVO" zusammengeschlossen.

TVO bremst Bahn aus

Das Bündnis will vor allem darauf aufmerksam machen, dass es da noch eine zweite Tangente gibt, die ebenfalls eine jahrzehntelange Vorgeschichte hat: die Nahverkehrstangente NVT. Sie ist als geplante Bahnstrecke quasi die Schwester der TVO. Doch mit der ausgelegten Planung einer Straße dieser Dimension bleibe für die Schiene kein Platz mehr, sagt Martin Pogatzki vom Fahrgastverband Pro Bahn. "Die TVO wird die Bahn an der Stelle quasi begraben."

Die nun gewählte Trasse der TVO soll nämlich über eine Fläche führen, die lange schon für eine neue S- oder Regionalbahnlinie reserviert ist. Sollte die TVO dort gebaut werden, gehe das "voll und ganz" zu Lasten des ÖPNV, sagt Pogatzki. Denn die Schienenverbindung müsste ganz neu geplant werden, was so viel Zeit und Geld kosten würde, dass das einem Aus für das Projekt gleichkäme.

Dabei geht das Bündnis "Schiene vor TVO" davon aus, dass beides möglich wäre: Auto- und Schienenverbindung. Dafür müsste aber straßenseitig abgespeckt werden. Wenn die TVO nur zwei- statt vierspurig gebaut werde, reiche der Platz auch für die Bahnstrecke. "Die Pläne dafür gibt es schon", wirbt Pogatzki für diese Variante.

Archivbild: Aktivisten der Umwelt-Organisation Robin Wood protestieren am 12.11.2021 am Kurt-Schumacher-Haus. (Quelle: dpa/Philipp Znidar)Umweltaktivisten protestieren 2023 am Kurt-Schumacher-Haus der SPD. Foto: dpa/Philipp Znidar

Abholzung in der Wuhlheide

Allerdings wären auch bei einer kombinierten Auto-ÖPNV-Tangente die ökologischen Eingriffe beträchtlich. In der Wuhlheide müssen ausweislich der Planungsunterlagen mindestens elf Hektar Wald abgeholzt werden. Zwar würde es überwiegend die ökologisch weniger wertvollen Kiefernbestände treffen. Doch auch Eichen müssten der Straße weichen.

Julian Smaluhn, dessen Sohn die Waldkita in der Wuhlheide besucht hat, hält die Auswirkungen auf Mensch und Natur im Naherholungsgebiet Wuhlheide auch aus anderen Gründen für nicht vertretbar. Anders als geplant werde die Straße nicht zu weniger sondern zu mehr Verkehr führen, ist der Umweltschützer von Robin Wood überzeugt.

Eine in voller Länge und Breite ausgebaute TVO sei eine willkommene Abkürzung für LKW, die sich den langen und mautpflichtigen Weg über den Berliner Autobahnring sparen wollen. Die Berliner Klimaschutzziele ließen sich so jedenfalls nicht einhalten, sagt Smaluhn. "Die TVO ist einfach in jeder Hinsicht aus der Zeit gefallen."

Senat hält an TVO fest

Seitens des Senats gibt es aber kein Vertun, auch nicht angesichts der Haushaltskrise des Landes. Mindestens 400 Millionen Euro soll die Tangente schätzungsweise kosten. Für die neue Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) steht dennoch fest: "Nach wie vor ist der Bau der TVO wichtig und gut für Berlin." Zum einen werde die Straße Wohngebiete entlasten. Zum anderen bekämen Industrie- und Gewerbeflächen im Osten der Stadt eine deutlich bessere Anbindung.

Herausfordernd bleibt in jedem Fall das weitere Verfahren. Üblicherweise sei bei Vorhaben dieser Größenordnung mit mehr als 200 Einwendungen allein von privaten Betroffenen zu rechnen, teilt die Verkehrsverwaltung mit. Mindestens zwei Jahre dürfte es dauern, bis ein Planfeststellungsbeschluss ergeht. Die ehemalige Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hatte sich sogar mal vorgewagt und von einem Baubeginn 2025 oder 2026 gesprochen.

Klagen erwartet

Dafür müsste dann aber auch wirklich alles glatt gehen - was bei einem derart umstrittenen Projekt nicht zu erwarten ist. Martin Pogatzki von Pro Bahn bezweifelt etwa, dass ein reines Straßenprojekt mit den Vorgaben des Berliner Mobilitätsgesetzes vereinbar ist. Dort werde umweltfreundlichen Verkehrsmitteln schließlich Vorrang vor dem Auto eingeräumt. Ihm sei auch nicht bekannt, dass das Eisenbahnbundesamt und die Bahn schon zugestimmt hätten, die betroffenen Freihalteflächen für die Schiene zugunsten des Autos umzuwidmen.

Peter Ohm vom Eigentümerverband VDGN geht ebenfalls davon aus, dass es "Klagen hageln wird". Dass diese aber das Projekt noch verhindern könnten, sieht er nicht: "Die TVO steht auf stahlharten Füßen." Klaus Jürgen Velke aus Biesdorf sieht das ähnlich. Als ehemaliger Beamter, der zu aktiven Zeiten auch mit Planungsrecht zu tun hatte, kennt er aber die Fallstricke. Der 72-Jährige bleibt dennoch optimistisch: "Ich glaube, dass ich die Eröffnung der TVO noch erleben werde." Bis dahin wird es in seinem Vorgarten aber laut bleiben.

 


Sendung: rbb24 radioeins, 10.05.2024, 15:10 Uhr.

 

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Beitrag von Jan Menzel

84 Kommentare

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  1. 84.

    Unterm Strich bleibt also … individual Verkehr ist schlecht egal welche Antriebsart genutzt wird.
    Dann sollte man das auch so kommunizieren und nicht noch Anreize für E-Autos schaffen (gab den Zuschuss und bei Dienstwagen sind die Regelungen auch vergünstigt). Problem dabei ist halt… das ist nicht das was große Teile der Bevölkerung wollen.
    Und sinnvoll wäre es dann wenn entsprechende Anreize geschaffen werde… also z.B. carsharing … und nicht wie üblich das Ganze mit Verboten bzw. Verschlechterungen versucht die Leute zum umsteigen zu bewegen.

  2. 83.

    Ganz so ist es ja nicht. Besonders und streng geschützte Arten verdrängen Menschen nicht aus ihrem Siedlungsraum. Umgekehrt wird der Lebensraum bedrohter Arten durch Menschen in zunehmender Weise eingeschränkt, in Anspruch genommen und vernichtet. Um diese Arten zu erhalten, müssen gelegentlich auch menschliche Bedürfnisse zurückstehen. Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich natürlich, wenn Sie Natur- und Landschaftsschutz generell ablehnen. Dann ist aber auch die Energiewende nicht erforderlich.

  3. 82.

    Von der Nord-Süd-Verbindung, der Verbindung der A 111 und der A 103 als behaupteter Steglitzer Ortsumgehung wurde indes gelassen. Das Ding ist töter als tot. Nur der jetzt sich schlängelnder Tunnel durch den Tiergarten kann als kleineres Überbleibsel dieser Idee gewertet werden. Was Sie meinen, ist der in den 1960ern angelegte und Stadtteile zerschneidende Autobahn-Innenring A 100. In Höhe Bundesplatz (Friedenau) wurden fast Balkons abrasiert, die in den 1990ern gebaute Verlängerung unterhalb von Neukölln verläuft wohlweislich im Tunnel. Auch daran lassen sich die Zeichen der Zeit erkennen.

    Eine Autobahn unterhalb des Wedding - sei es nun auf Stelzen oder im Tunnel wird es definitiv nicht geben. Von daher bleibt die in den 1950ern (!) entstandene Idee der Stadtautobahn ein Torso. Zweispurige Entlastungsstraßen sind hingegen etwas anderes.

  4. 81.

    Der überhand nehmende motorisierte Individualverkehr ist in der Tat ein Problem. Er lässt sich durch immer bessere Infrastrukturangebote jedoch nicht verringern, sondern wird hierdurch attraktiver, was wiederum zu mehr motorisiertem Individualverkehr führt. Dennoch wäre ja ein Kompromiss möglich, wie schon in mehreren Beiträgen angeregt: gleichzeitiger Bau einer zweispurigen Straße und der parallel führenden Tangenten-S-Bahn. Im übrigen wird aktuell ja auch die A100 im Osten verlängert und voraussichtlich wie im Westen zu einer kräftigen Zunahme des PKW- und LKW- Verkehrs führen.

  5. 80.

    Solange Käfern und Eidechsen eine höhere Priorität zugemessen wird, als dem Menschen, sollte man die Existenz einer wachsenden Stadt und damit entstehenden Infrastrukturproblemen bedenken.

  6. 79.

    Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Und die Idee mit der Straßenbahn finde ich perfekt :-) Straßenbahn statt Luxusradweg (Radler haben auf den jetzt überlasteten Straßen mehr als genug Platz). Der Platz würde reichen, Straßenbahn wäre effektiver als S-Bahn (mehr Haltestellen möglich) und keine Busse, die den Autoverkehr ausbremsen.

  7. 78.

    Einspruch - Euer Ehren !
    Man weiß es nicht (genau wie man nicht weiß, wo Ihr Arbeitsweg langführt), aber stellen Sie sich vor, Thorsten aus Schöneiche würde im Wissenschaftspark Adlershof arbeiten. Sollten Sie den Osten Berlins kennen, mitsamt seiner Bewohner an den verkehrsmäßig seit langem überlasteten Straßen (Mahlsdorf-Süd gehört übrigens auch dazu), dann würden Sie möglicherweise anders urteilen. Der Westen Berlins hat seit Jahrzehnten eine in etwa Nord-Süd-Verbindung, die dem Osten nicht zugestanden wird. Warum eigentlich? Wie wäre die Verkehrssituation ohne die A100? Zeiten ändern sich, auch die Menschen ändern sich. Und in 30 Jahren wird es wieder andere Meinungen geben. Also nicht quatschen, sondern machen!

  8. 76.

    Finde dein Kompromiss mit zweispurig und S-Bahn vernünftig.

  9. 75.

    Das, einen Kompromiss anzuregen, hat heute noch keiner versucht. Danke! Wird aber nicht fruchten, hier nicht und in der Politik auch nicht.

  10. 74.

    Da könnte doch besser die längst überfällige Tangenten-S-Bahn neben einer Zweispurigen Straße gebaut werden.

  11. 73.

    Die TVÖD verläuft nun einmal weder durch Moabit noch Friedrichshain, sondern durch die Wuhlheide am östlichen Stadtrand. Da haben dann Naturschutzaspekte schon ein anderes Gewicht, als im hochurbanen Stadtzentrum. Würde man Ihrer Argumentation folgen, könnten wir auch auf die Energiewende komplett verzichten, da Natur und Landschaft ja völlig gleichgültig wären.

  12. 72.

    Es muss beides gemacht werden damit die Infrastruktur sich verbessert. TVO und ÖNV.

  13. 71.

    "eine schützenswerte Vegetationsgemeinschaft" gibt's überall. Auf dem Mittelstreifen, dem Spielplatz, der Freibadwiese, am Mäuerchen bei der Mülltonne am Rewe. Dieses elendige Käferstreicheln muss einfach mal ein Ende haben. Oder glaubt ihr, dass sich die Gen Z nebst Nachfolgern im Home-Office oder beim Wochenend-Abfeiern-Kurztrip in Barcelona oder Stockholm für SOWAS interessiert? Pflegt Tiere und Landschaft auf dem Land. Nicht in Moabit oder Friedrichshain. Ach ja, da war's wieder: auf's Land kommt man ohne Auto nicht sehr weit. Endstation S-Bahn, plus 40 km. Wehe, man hat keine S-Bahn in der Nähe! Im Bus is mit Fahrrad nämlich schlecht...

  14. 70.

    Die Gegend in Köpenick und Kaulsdorf erstickt jeden Morgen und Nachmittag im Berufsverkehr. Das seit Jahrzehnten, die Leute die dort wohnen und täglich fahren müssen, sind leid erprobt. Auch der ÖPNV steht dann im Stau. Mit der steigenden Bevölkerungsanzahl ist das ganze Verkehrsnetz nicht mitgewachsen. Die ganze Gegend wartet sehnsüchtig auf Entlastung und das der Bau endlich losgeht. Gerne mit einer Straßenbahn neben der Autospur.

  15. 66.

    Denn meisten geht es ja auch nicht darum, die TVO komplett zu verhindern, sondern gleichzeitig auch die lang geplante Tangenten-S-Bahn mit zu bauen, wobei natürlich das Straßenprojekt etwas bescheidener ausfallen sollte, z.B. Zwei-statt Vierspurig und ggf. unter Verzicht auf einen Luxusradweg.

  16. 65.

    Nicht künstlich aufregen. Die TVO wird kommen, es wird noch einige in der Sache unbedeutende Gerichtsverfahren geben, denn die parlamentarischen Mehrheiten hierfür sind jetzt schon da und dass das Grüne Milieu verhindern kann, ist nicht wahrscheinlich. Im Gegenteil, es reduziert sich ohnehin.

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