Gipfeltreffen zur Stadionsicherheit - "Wer über Maßnahmen gegen Fußballfans spricht, muss diese auch mit einbeziehen"
Mitte Oktober kommen Politik, DFB und DFL zusammen, um über schärfere Sicherheitsmaßnahmen in deutschen Fußballstadien zu beraten. Fans sind zu dem Gipfeltreffen nicht eingeladen und beklagen fehlende Partizipation. Von Lukas Witte
Personalisierte Eintrittskarten, die Wiedereinführung von Kollektivstrafen, Schnellgerichte zur Bestrafung von Fußballfans noch im Stadion, Geisterspiele, Punktabzüge und Spielabbrüche – es sind harte Forderungen, die zuletzt von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in den Raum geworfen wurden, um die Sicherheit in deutschen Fußballstadien zu erhöhen.
In seiner Funktion als Vorsitzender der Sportministerkonferenz hat er nun am 18. Oktober zu einem Gipfeltreffen nach München geladen, an dem neben den Sport- und Innenministern der Länder auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Deutschen Fußball Liga (DFL) teilnehmen werden.
Ziel sei es, die Sicherheit in Stadien weiter zu verbessern und hierfür grundlegende Weichenstellungen in Abstimmungen zwischen dem DFB, der DFL, dem Bund und den Ländern zu erzielen. Doch eine zentrale Gruppe der Debatte wird in der bayerischen Landeshauptstadt nicht mit am Tisch sitzen: die Fans.
Debatte über den Kopf der Fans hinweg
Bei Oliver Wiebe, Sprecher des Dachverbandes der Fanhilfen, stößt das auf Unverständnis. "Wir erleben immer wieder, dass es solche Treffen gibt. Da wird über Fankultur debattiert, ohne Fans dazu anzuhören. Wir fordern, dass wir Teil dieser Gespräche werden. Wer über Maßnahmen gegen Fußballfans spricht, muss diese auch mit einbeziehen. Alles andere sind Schreibtisch-Gespräche fernab der Realität", erklärt er.
In Anbetracht der fehlenden Fanperspektive blickt Wiebe skeptisch auf das anstehende Gipfeltreffen. Seine Sorge ist es, dass dort Forderungen, wie denen von Joachim Herrmann, nachgegeben wird und härtere Sicherheitsmaßnahmen und Strafen gegen Fußballfans beschlossen werden könnten. "Mit mehr Überwachung oder Polizei kommen wir keinen Schritt weiter. Weder in Bezug auf gewalttätige Hooligans noch auf Pyrotechnik. (…) Auch Kollektivstrafen lehnen wir ganz klar ab. 99 Prozent der Fans in Stadien sind friedlich", sagt er.
Deutsche Stadien grundsätzlich sicher
Die Fanhilfen sehen stattdessen kein Sicherheitsdefizit in den deutschen Stadien. Schon jetzt würde es eine ganze Reihe an Maßnahmen geben, denen sich die Fans aussetzen müssten. Dazu gehörten Personen- und Taschenkontrollen, umfangreiche Videoüberwachung und oftmals auch schon personalisierte Tickets. Eine Verschärfung hält der Dachverband daher für unnötig und beruft sich dabei auch auf Zahlen.
Laut dem aktuellen Bericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei haben in der Saison 2022/23 insgesamt fast 24 Millionen Zuschauer Spiele in den drei Profiligen und im DFB-Pokal besucht. Dabei sei es zu rund 1.200 Verletzten gekommen. "Die Anzahl der Verletzten liegt damit tatsächlich nicht mal im Pro-Mille-Bereich. Und da, wo viele Menschen zusammenkommen, verläuft es eben nicht immer konfliktfrei. Das haben wir zum Beispiel gerade auch beim Oktoberfest gesehen", so Wiebe.
Dass deutsche Fußballstadien grundsätzlich sicher seien, dass erkennt man auch im bayerischen Staatsministerium an. "Das hängt aber auch mit einem teilweise starken Polizeieinsatz zusammen. Denn es gibt Fußball-Rowdys, die sich nicht an die Regeln halten und beispielsweise durch Pyrotechnik nicht nur sich, sondern massiv auch andere gefährden, oder randalieren oder sich mit gegnerischen Fußball-Rowdys prügeln. Diesen Fußball-Chaoten muss konsequent Einhalt geboten werden", teilte ein Sprecher mit.
Fanbeteiligung erwünscht - aber nicht beim Gipfeltreffen
Zu welchen Erkenntnissen und Beschlüssen die Teilnehmer des Gipfeltreffens im Oktober tatsächlich kommen werden, bleibt abzuwarten. Das Bundesinnenministerium wollte sich im Vorfeld nicht zu den Forderungen einzelner Beteiligter äußern, teilte aber mit, dass sich Nancy Faeser für einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz einsetzen werde, an dem alle Beteiligten mitwirken. Auf die Frage, warum keine Fanvertreter nach München eingeladen wurden, verwies das BMI an den Freistaat Bayern.
Aus dem dortigen Staatsministerium heißt es, dass es beim Spitzengespräch selbst zunächst um einen Austausch zwischen Ländern, Bund, DFB und DFL gehen solle. Die Gesprächsergebnisse sollen aber auch einen Vorschlag dazu enthalten, in welchem Rahmen der Prozess fortgesetzt werden solle. Zudem gäbe es schon jetzt eine Vielzahl an Austauschformaten (bspw. Stadionallianzen), in denen sich Fans aktiv in aktuelle sportpolitische Themen einbringen und ihre Sicht der Dinge – auch im Hinblick auf Sicherheitsangelegenheiten – kundtun könnten.
Zu wenig Mitsprache auch beim DFB?
Eines dieser Formate ist die Ende 2023 vom DFB gegründete AG Stadionsicherheit, die aus rund 30 Personen besteht und Handlungsempfehlungen erarbeitet, die dem Präsidium vorgelegt werden. Hier sind auch zwei Fanvertreterinnen mit dabei.
Konstruktiven Austausch gibt es laut Wiebe allerdings trotzdem nicht. "Die beiden haben aus der AG berichtet, dass es teilweise schreckliche Debatten fernab der Realität waren", erzählt er. Abseits der AG sei eine Partizipation beim DFB kaum möglich. "Wir werden nicht zu Gesprächen und Podien eingeladen und es gibt kaum eine Möglichkeit, schriftliche Eingaben beim DFB zu machen. Wenn man Anfragen an den DFB schickt, bekommt man in der Regel entpersonalisierte Antworten", sagt er.
Beim DFB kann man diese Kritik nicht nachvollziehen. Gegenüber dem rbb teilte der Deutsche Fußball-Bund mit, dass es im Rahmen des Verband-Fan-Dialogs von DFB und DFL bereits vor der ersten Sitzung der AG Stadionsicherheit einen Austausch mit bundesweiten Fanorganisationen zur Entstehung und zu den Zielen der AG Stadionsicherheit gegeben hätte. Zudem sei ein stetiger Informationsfluss und Austausch über die Arbeit und Ergebnisse der AG vereinbart worden, der auch entsprechend erfolgt sei. Aus dem Austausch mit den bundesweiten Fanorganisationen als auch mit Vertretern des Dachverbands der Fanhilfen sei der Vorwurf der fehlenden Repräsentation bisher nicht bekannt gewesen.
Der Dachverband der Fanhilfen möchte sich nun im Laufe der Woche mit einem offenen Brief an die Innenminister wenden und erneut den Dialog und die Beteiligung in der Debatte um Stadionsicherheit fordern. "Es ist unsere letzte Möglichkeit. Aber die Erfahrung zeigt, dass auch diese Briefe nur selten beantwortet werden", sagt Wiebe konsterniert.
Sendung: rbb24, 09.10.2024, 21:45 Uhr