Interview | Jugendschuldnerberatung - "Ein Klassiker für die Verschuldung sind Handyverträge"
Zum "Black Friday" locken überall Schnäppchenpreise. Das kann schon mal gefährlich werden, wenn man seine Ausgaben nicht im Blick hat. Und gerade bei Jugendlichen ist das häufig der Fall, sagt Marco Rauter von der AWO Schuldnerberatung.
rbb|24: Sparangebote en masse locken in der Black Week, am Black Friday. Sind das gerade für Jugendliche und junge Erwachsene besonders verhängnisvolle Aktionen, was eine etwaige spätere Verschuldung betrifft?
Marco Rauter: Auf jeden Fall. Dieses "Buy now, pay later" oder Ratenzahlungsoptionen und Kleinkredite, die Online angeboten werden, nimmt permanent zu, sagt die Schufa. Und gerade jetzt werden die Black Friday-Aktionen stark beworben und viele Jugendliche warten sogar darauf. Es besteht die Gefahr, dass es da großen Druck und Wettbewerb in den Communities der jungen Menschen gibt. Das sorgt dafür, dass jeder angebliche Schnäppchen nutzen will.
Ein Handy auf Ratenzahlung zu kaufen scheint doch gerade für junge Menschen eine gute Sache. Wie kommt man von da in die Schuldenfalle – indem man parallel immer mehr Sachen auf Pump kauft?
Wir beobachten, dass es genau das und bei vielen dann eben auch der fehlende Überblick ist. Sie klicken sogar manchmal eine Ratenzahlung an, obwohl sie in diesem Moment das Geld hätten, das Produkt sofort zu bezahlen. Und dann beginnt die Ratenzahlung vielleicht auch nicht gleich im November, sondern erst im Januar. Bis dahin ist der Kauf bei vielen jungen Leuten schon wieder aus dem Kopf. Sie verlieren den Überblick. So werden Ratenvereinbarungen, die man alle einzeln bedienen könnte, zu hoch - weil es um drei oder vier parallele Käufe geht. Da ist schnell eine Summe von monatlich 90 oder 120 Euro fällig.
Wer wendet sich an Sie und sucht Beratung?
Es kommen Menschen aus der ganzen Bandbreite der Bevölkerung zu uns. Viele haben gar nicht gelernt, mit Geld umzugehen.
Gerade die Jugendlichen kommen zwar, aber oft nicht rechtzeitig sondern in der Regel viel zu spät. Da liegt dann oft schon einiges im Argen. Sehr oft ist der Auslöser junger Menschen der Wunsch, eine erste eigene Wohnung zu beziehen. Wenn der potenzielle Vermieter eine Schufa-Auskunft haben möchte, ist mitunter das Geschrei groß, weil es aufgrund nicht bedienter Raten-Kredite oder anderer Käufe schnell zu einem negativen Score-Wert kommen kann. Und dann kriegt man die Wohnung nicht. Die jungen Leute, meist sind sie 25, 26 Jahre alt, wollen von uns dann gern "sofort eine saubere Schufa". Da merken viele dann erst, wie schnell man in eine Verschuldung hineingerät und wie lange es dauern kann, wieder rauszukommen.
Wie können Sie da helfen?
Es geht mit einer Haushalts- und Budgetberatung los. Wir zeigen den Menschen daran, wie es passiert ist. Obwohl das nicht der Schwerpunkt der ersten Beratungen ist - wir sind nicht die mit dem erhobenen Zeigefinger.
Wir versuchen, mit den Betroffenen nach vorn zu schauen. Es geht darum, Kontakt mit den Gläubigern aufzunehmen und zu versuchen, eine wirtschaftlich realisierbare Ratenvereinbarung zu treffen. Diese sollte es ermöglichen, die Zahlung in einem überschaubaren Zeitraum fertig zu bekommen. Gerade wenn jemand Kleinstraten vereinbart hat, besteht die Gefahr, dass derjenige nur Kosten und Zinsen bezahlt. Dabei wird die eigentliche Kaufsumme, die diese Kosten und Zinsen ja bildet, als letztes in Angriff genommen. Oder man kommt da nie hin, zahlt sein Leben lang irgendwelche Kleinstraten und kommt von der Schuld nicht los. Wir sind da an der Seite der jungen Menschen, erklären das alles und schauen, was möglich ist.
Es gibt allerdings zunehmend junge Leute, die schon Verbindlichkeiten bei neun bis zehn Gläubigern in einer Größenordnung von bis zu 20.000 Euro haben. Da muss man leider oft schon über ein Insolvenzverfahren nachdenken, das derzeit drei Jahre dauert. Für viele Jugendliche ist es gar nicht mehr möglich, sich in einem kürzeren Zeitraum zu entschulden.
Da geht es um die umgangssprachlich als Privatinsolvenz gehandelte Option?
Genau. Und man sollte als junger Mensch sein wirtschaftlich selbständiges Leben nach Möglichkeit nicht mit einer Insolvenz starten. Aber es ist in sehr vielen Fällen anders nicht mehr machbar, vor allem wenn jemand viele Gläubiger hat. Denn keiner von denen ist bereit zu warten. Manchmal ist es auch die Höhe der Schulden, die eine Insolvenz unumgänglich macht.
Aber es hängt natürlich auch davon ab, ob die jungen Leute schon eine Anstellung haben und so weiter. Man muss alle Umstände individuell betrachten. Eine Insolvenz sollte der letzte Ausweg sein, um sich zu entschulden.
Bei wem haben Jugendliche und junge Erwachsene im Regelfall Schulden und für welche Produkte verschulden sie sich?
Die Produkte kennen wir gar nicht so genau, denn die Schuld für die Kaufsumme hat man bei den Firmen beziehungsweise Banken, die diese "Buy now, pay later"- und Kredit-Geschichten anbieten.
Aber ein Klassiker für die Verschuldung bei jungen Menschen sind Telekommunikationsverträge, also Handyverträge ohne Prepaid-Karte. Da kann man telefonieren und machen und tun und achtet nicht darauf, ob die "Flat" das abdeckt oder ob am Ende eventuell Extra-Gebühren anfallen.
Ist das Thema Verschuldung für junge Menschen ein tabuisiertes Thema?
Für Jugendliche ist das anscheinend nicht mehr so sehr ein Tabuthema. Angeblich soll es unter ihnen sogar Wettbewerbe geben, wer am höchsten überschuldet ist. Dennoch hat es am Ende, wenn es nicht mehr geht, dann doch den "Ich habe versagt"-Charakter. Dann merkt man ihnen schon die Enttäuschung über sich selbst an.
Für die ältere Generation ist Verschuldung richtig schlimm, denn bei ihnen ist das Schamgefühl ganz anders ausgeprägt. Da hungern die Leute in der letzten Woche im Monat lieber, statt sich Hilfe zu holen.
Was brauchen Kinder und Jugendliche von Eltern oder Schulen, um später nicht in einer Verschuldung zu laden?
Wir aus den Beratungsstellen sind überzeugt davon, dass man viel früher anfangen muss. Ich will die Schuld nicht den Schulen oder den Elternhäusern geben – aber dort sollten die jungen Leute lernen, wie man mit den neuen Bezahlmethoden umgeht. Wir werden uns gegen den bargeldlosen Verkehr nicht mehr wehren können, aber jeder sollte die Chance haben, den Umgang damit zu lernen. Die Stärkung der Finanzkompetenz sollte schon in der Ausbildung beginnen – also in den Schulen.
Für die meisten, die bei uns landen, kommt dieser Rat natürlich zu spät. Doch bei uns in der Beratung ist das Ziel auch immer der Aha-Effekt – der dazu führt, dass es nicht wieder passiert.
Alle jungen Menschen, die so viel im Netz unterwegs sind, sollten sich immer fragen, ob sie die Dinge, die man kaufen kann, wirklich brauchen. Am besten man fragt sich, ob man auch aufstehen, zur Bank gehen, dort das Geld dafür abheben und den Artikel mit Bargeld im Laden kaufen würde.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Fritz, 21.11.2023, 00:30 Uhr