Interview | Jugendschuldnerberatung - "Ein Klassiker für die Verschuldung sind Handyverträge"

Fr 24.11.23 | 06:16 Uhr
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Symbolbild: Ein Jugendlicher geht mit seinem Smartphone am 25.09.2023 über eine Straße in Düsseldorf. (Quelle: Imago Images/Michael Gstettenbauer)
Audio: rbb|24 | 24.11.2023 | O-Ton aus dem Interview mit Marco Rauter | Bild: Imago Images/Michael Gstettenbauer

Zum "Black Friday" locken überall Schnäppchenpreise. Das kann schon mal gefährlich werden, wenn man seine Ausgaben nicht im Blick hat. Und gerade bei Jugendlichen ist das häufig der Fall, sagt Marco Rauter von der AWO Schuldnerberatung.

rbb|24: Sparangebote en masse locken in der Black Week, am Black Friday. Sind das gerade für Jugendliche und junge Erwachsene besonders verhängnisvolle Aktionen, was eine etwaige spätere Verschuldung betrifft?

Marco Rauter: Auf jeden Fall. Dieses "Buy now, pay later" oder Ratenzahlungsoptionen und Kleinkredite, die Online angeboten werden, nimmt permanent zu, sagt die Schufa. Und gerade jetzt werden die Black Friday-Aktionen stark beworben und viele Jugendliche warten sogar darauf. Es besteht die Gefahr, dass es da großen Druck und Wettbewerb in den Communities der jungen Menschen gibt. Das sorgt dafür, dass jeder angebliche Schnäppchen nutzen will.

Zur Person

AWO Schuldner- und Insolvenzberatung - Marco Rauter

Marco Rauter ist Leiter der Schuldner- und Insolvenzberatung der AWO Südost e.V. (Berlin)

Ein Handy auf Ratenzahlung zu kaufen scheint doch gerade für junge Menschen eine gute Sache. Wie kommt man von da in die Schuldenfalle – indem man parallel immer mehr Sachen auf Pump kauft?

Wir beobachten, dass es genau das und bei vielen dann eben auch der fehlende Überblick ist. Sie klicken sogar manchmal eine Ratenzahlung an, obwohl sie in diesem Moment das Geld hätten, das Produkt sofort zu bezahlen. Und dann beginnt die Ratenzahlung vielleicht auch nicht gleich im November, sondern erst im Januar. Bis dahin ist der Kauf bei vielen jungen Leuten schon wieder aus dem Kopf. Sie verlieren den Überblick. So werden Ratenvereinbarungen, die man alle einzeln bedienen könnte, zu hoch - weil es um drei oder vier parallele Käufe geht. Da ist schnell eine Summe von monatlich 90 oder 120 Euro fällig.

Wer wendet sich an Sie und sucht Beratung?

Es kommen Menschen aus der ganzen Bandbreite der Bevölkerung zu uns. Viele haben gar nicht gelernt, mit Geld umzugehen.

Gerade die Jugendlichen kommen zwar, aber oft nicht rechtzeitig sondern in der Regel viel zu spät. Da liegt dann oft schon einiges im Argen. Sehr oft ist der Auslöser junger Menschen der Wunsch, eine erste eigene Wohnung zu beziehen. Wenn der potenzielle Vermieter eine Schufa-Auskunft haben möchte, ist mitunter das Geschrei groß, weil es aufgrund nicht bedienter Raten-Kredite oder anderer Käufe schnell zu einem negativen Score-Wert kommen kann. Und dann kriegt man die Wohnung nicht. Die jungen Leute, meist sind sie 25, 26 Jahre alt, wollen von uns dann gern "sofort eine saubere Schufa". Da merken viele dann erst, wie schnell man in eine Verschuldung hineingerät und wie lange es dauern kann, wieder rauszukommen.

Am besten man fragt sich, ob man auch aufstehen, zur Bank gehen, dort das Geld dafür abheben und den Artikel mit Bargeld im Laden kaufen würde

Marco Rauter von der AWO Schuldnerberatung

Wie können Sie da helfen?

Es geht mit einer Haushalts- und Budgetberatung los. Wir zeigen den Menschen daran, wie es passiert ist. Obwohl das nicht der Schwerpunkt der ersten Beratungen ist - wir sind nicht die mit dem erhobenen Zeigefinger.

Wir versuchen, mit den Betroffenen nach vorn zu schauen. Es geht darum, Kontakt mit den Gläubigern aufzunehmen und zu versuchen, eine wirtschaftlich realisierbare Ratenvereinbarung zu treffen. Diese sollte es ermöglichen, die Zahlung in einem überschaubaren Zeitraum fertig zu bekommen. Gerade wenn jemand Kleinstraten vereinbart hat, besteht die Gefahr, dass derjenige nur Kosten und Zinsen bezahlt. Dabei wird die eigentliche Kaufsumme, die diese Kosten und Zinsen ja bildet, als letztes in Angriff genommen. Oder man kommt da nie hin, zahlt sein Leben lang irgendwelche Kleinstraten und kommt von der Schuld nicht los. Wir sind da an der Seite der jungen Menschen, erklären das alles und schauen, was möglich ist.

Es gibt allerdings zunehmend junge Leute, die schon Verbindlichkeiten bei neun bis zehn Gläubigern in einer Größenordnung von bis zu 20.000 Euro haben. Da muss man leider oft schon über ein Insolvenzverfahren nachdenken, das derzeit drei Jahre dauert. Für viele Jugendliche ist es gar nicht mehr möglich, sich in einem kürzeren Zeitraum zu entschulden.

Da geht es um die umgangssprachlich als Privatinsolvenz gehandelte Option?

Genau. Und man sollte als junger Mensch sein wirtschaftlich selbständiges Leben nach Möglichkeit nicht mit einer Insolvenz starten. Aber es ist in sehr vielen Fällen anders nicht mehr machbar, vor allem wenn jemand viele Gläubiger hat. Denn keiner von denen ist bereit zu warten. Manchmal ist es auch die Höhe der Schulden, die eine Insolvenz unumgänglich macht.

Aber es hängt natürlich auch davon ab, ob die jungen Leute schon eine Anstellung haben und so weiter. Man muss alle Umstände individuell betrachten. Eine Insolvenz sollte der letzte Ausweg sein, um sich zu entschulden.

Bei wem haben Jugendliche und junge Erwachsene im Regelfall Schulden und für welche Produkte verschulden sie sich?

Die Produkte kennen wir gar nicht so genau, denn die Schuld für die Kaufsumme hat man bei den Firmen beziehungsweise Banken, die diese "Buy now, pay later"- und Kredit-Geschichten anbieten.

Aber ein Klassiker für die Verschuldung bei jungen Menschen sind Telekommunikationsverträge, also Handyverträge ohne Prepaid-Karte. Da kann man telefonieren und machen und tun und achtet nicht darauf, ob die "Flat" das abdeckt oder ob am Ende eventuell Extra-Gebühren anfallen.

Ist das Thema Verschuldung für junge Menschen ein tabuisiertes Thema?

Für Jugendliche ist das anscheinend nicht mehr so sehr ein Tabuthema. Angeblich soll es unter ihnen sogar Wettbewerbe geben, wer am höchsten überschuldet ist. Dennoch hat es am Ende, wenn es nicht mehr geht, dann doch den "Ich habe versagt"-Charakter. Dann merkt man ihnen schon die Enttäuschung über sich selbst an.

Für die ältere Generation ist Verschuldung richtig schlimm, denn bei ihnen ist das Schamgefühl ganz anders ausgeprägt. Da hungern die Leute in der letzten Woche im Monat lieber, statt sich Hilfe zu holen.

Was brauchen Kinder und Jugendliche von Eltern oder Schulen, um später nicht in einer Verschuldung zu laden?

Wir aus den Beratungsstellen sind überzeugt davon, dass man viel früher anfangen muss. Ich will die Schuld nicht den Schulen oder den Elternhäusern geben – aber dort sollten die jungen Leute lernen, wie man mit den neuen Bezahlmethoden umgeht. Wir werden uns gegen den bargeldlosen Verkehr nicht mehr wehren können, aber jeder sollte die Chance haben, den Umgang damit zu lernen. Die Stärkung der Finanzkompetenz sollte schon in der Ausbildung beginnen – also in den Schulen.

Für die meisten, die bei uns landen, kommt dieser Rat natürlich zu spät. Doch bei uns in der Beratung ist das Ziel auch immer der Aha-Effekt – der dazu führt, dass es nicht wieder passiert.

Alle jungen Menschen, die so viel im Netz unterwegs sind, sollten sich immer fragen, ob sie die Dinge, die man kaufen kann, wirklich brauchen. Am besten man fragt sich, ob man auch aufstehen, zur Bank gehen, dort das Geld dafür abheben und den Artikel mit Bargeld im Laden kaufen würde.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: Fritz, 21.11.2023, 00:30 Uhr

23 Kommentare

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  1. 23.

    Das stimmt nur bedingt, denn der endgültige Vertragsabschluss setzt das Einverständnis der Eltern voraus. Allerdings kann bei Ausgaben im Taschengeldbereich von diesem weitgehend ausgegangen werden. Geau genommen ist der Vertrag schwebend unwirksam.

  2. 22.

    Sie dürfen es nicht.
    Und wenn sie im Netz über den Account der Eltern verfügen können, ist das unrechtmäßig. Ggf. muss ein Gericht entscheiden, ob diese dann die Schulden bedienen müssen.

  3. 21.

    Kinder Minderjährige dürfen eigenständig keine Verträge abschließen. Da liegen Sie falsch. Und ein Minus auf einem Girokonto oder Kreditschulden dürfen sie auch nicht haben. Die dargestellten Personen sind über 18.

  4. 20.

    Geschäftsunfähige dürfen keine Verträge abschließen bzw. sind diese Verträge dann nichtig. Nicht alle Minderjährige sind geschäftsunfähig und es gibt auch geschäftsunfähige Erwachsene.

  5. 19.

    Doch, dürfen sie, sobald sie 7 Jahre alt sind. Z.B. ein Eis kaufen wäre so ein Vertrag.

  6. 18.

    Die Menschen sind heute enorm vielen Herausforderungen ausgeliefert. Manch ein Erwachsener ist damit selbst komplett überfordert. Ich sehe hier eher eine Intransparenz und Möglichkeiten, Menschen damit zu überfordern. Niemand trägt eine Schuld, denn es kann jeden treffen, auch die ganz Schlauen, die immer mit der Unfähigkeit der Eltern und der Dummheit der Jugend alles begründen wollen. Daran liegt es nicht.
    Wir sind keine Maschinen, funktionieren wir einmal nicht, müssen Zahlungen und Rechnungen trotzdem beglichen werden. Hat man keine Hilfe, stürzt man ab.
    Es betrifft alle Schichten der Gesellschaft. Ich kann nur daran appellieren, wenn ihr einen Menschen in diesen Nöten trefft, bietet Hilfe an, meist benötigen sie nur etwas Unterstützung, um ihre Scham zu überwinden, sie fangen sich und können weiter ihr Leben gesund weiter gestalten.

  7. 17.

    Immer wieder finde ich es befremdlich, wenn bei 25-jährigen die Rede von Jugendlichen ist. Nein, das sind keine Jugendlichen! Das sind erwachsene Menschen - mit den Rechten und Pflichten eines Erwachsenen. Die tun mir allerdings leid, denn es ist Pflicht der Eltern, ihre Sprösslinge auf die reale Welt vorzubereiten und das inkludiert auch, wie man mit Geld umgeht. Scheinbar lernen das viele von daheim nicht mehr. Und dass Jugendliche Verträge abschießen können, halte ich für ein Gerücht - das ist im Gesetz so nicht vorgesehen. Wenn Firmen das zulassen (online abgeschlossen), dann sind sie selbst Schuld, wenn sie ihr Geld nicht bekommen.

  8. 15.

    Sorry, die Jugendlichen schließen die Verträge ab (andere Jugendliche machen das nicht) Vielleicht fehlt die Reife.. aber dann mit 14 oder 16 wählen ????
    Gerade bekommen sie es von höchster Stelle vorgemacht, wie Haushaltstricksrei gemacht wird und bekommen von diversen Politikern Argumente wieso weshalb das nötig ist.

  9. 13.

    Verschwörungstheorien?
    Steuerflucht ist ein gigantisches Problem in den Ländern der Welt.
    Gelder werden in Steueroasen transgeriert und dem heimischen Markt entzogen.
    Das ist der Grund, warum Staaten allgemeinhin Schulden aufnehmen müssen.
    Das in den Markt geworfene Geld liegt woanders, bewegt sich nicht und um den Markt am Leben zu halten, wird eine neue Schuld aufgenommen.
    Meist machen das Staaten. Unternehmen investieren wesentlich weniger Geld als Staaten, weswegen der Staat sie auch noch ermuntern muss, zu investieren indem subventioniert wird.
    Alles Verschwörungstheorien...klar

  10. 12.

    Ja das stimmt. Die Eltern leben vor. Und haben den allergrößten Einfluss.
    Aber: Aktueller Schulstoff ist begleitend gut. Das schöne Wort „Schuldenbremse“ hat Schulden und Bremse enthalten. Es sagt aus, dass Schulden gebremst werden. Ist das nicht eine schöne Möglichkeit zu erklären warum das wichtig ist? Und kann dann die Zinslast und Zinsrechnung gleich in Mathe fächerübergreifend behandeln :-).

  11. 11.

    Antwort auf Silvia
    Ich sehe es genauso, für die Erziehung sind wir die Eltern verantwortlich!
    Man gibt ja Taschengeld, um das man den Umgang damit lernt,besondere Dinge müssen eben angespart werden, nur so wissen es die Kinder was es kostet und pflegen dann diese Sachen besser.
    Ausserdem man muss nicht alles haben ,leben wir selber auch vor ,wie kein Auto.
    Habe mir als Experiment eines kurz angeschafft ,um zu zeigen wie unnütz und teuer im Vergleich zu Öffis.
    Gutes Beispiel geben.

  12. 10.

    Ergänzung:
    Erwachsene verschulden sich. Sogar ganze Länder (Argentinien und Italiens Finanzgeschichte als Beispiele). Kinder lernen noch. Z.B. das Schulden hier und da Sinn machen, wenn man diese nicht nur verbraucht und „aufisst“.
    Und das zu viel Schulden, im Verhältnis zu den Einnahmen, eine so hohe Zinslast bedeutet, dass eines Tages nichts zum Essen übrig bleibt.
    Und jetzt kann man die Schuldenbremse gut erklären... und wer auch will verstehen.

  13. 9.

    So einen Blödsinn habe ich ja selten gelesen. Wer soll bitte im großen Stil Geld in welche Sonderwirtschaftszonen abziehen?
    Was sollen immer diese sinnlosen Verschwörungstheorien?

  14. 8.

    Wieso können das die Eltern nicht? In meiner Zeit haben die Kinder normales Alltagsverhalten und den Umgang mit verschiedenen Situationen, die so im Leben auftreten können, von zu Hause mitbekommen. Die Schule trug hauptsächlich zur Bildung bei. Heutzutage wird erwartet, dass die komplette Erziehung von Kita und Schule übernommen wird. Am besten noch nach den Vorgaben der Eltern.

  15. 6.

    Warum damit nicht im Elternhaus anfangen? Warum in der Schule?

  16. 5.

    Handy im guten Zustand gebraucht kaufen und dazu den Vertrag mit 15GB für unter 10€ monatlich. Dann rutscht man auch nicht in die Verschuldung.
    Wenn ich natürlich das neueste Oberklasse-Fernsprechendgerät haben will und dazu die unbegrenzte 5G-Flat, wird es teuer.

  17. 4.

    Angesichts des "Taschengeldparagrafen" und der Rechtslage frage ich mich immer wieder wie man mit unter 18 jährigen ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten rechtsgültige Verträge schließen kann. Prepaid wäre ok, aber ein Handyvertrag ist letztlich wie eine Mitgliedschaft in einem Sportclub, ein Abo, etc. Ratenkauf wäre mit einem Kreditvertrag vergleichbar. Das geht einfach so? Rechtssicher? Wirklich?

  18. 3.

    Lieber Wossi!
    Sie müssen sich schon entscheiden, was sie eigentlich wollen.
    Wenn keiner Schulden macht, ist kein Geld im Umlauf.
    Das Problem sind die Oligopole, die das Geld dem Markt entziehen und auf eine Sonderwirtschaftszone legen.
    Entweder der Staat bringt neues Geld durch Schulden in den Umlauf oder der Privatmensch verschuldet sich und kumuliert auf dieses Weise einen virtuellen Geldumlauf.
    Irgendeiner muss ja "investieren".
    Da können sie schön sehen, wie kaputt der Kapitalismus gerade ist.

  19. 2.

    Das kommt davon, wenn Kinder Verträge abschließen dürfen, dann müssen ebend die Eltern für die Schulden haften!

  20. 1.

    Vielleicht kann man den Jugendlichen in der Schule vermitteln, wie mit Geld umzugehen ist. Im Kleinen wie im Großen. Es passt gerade zu der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse.

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