Charlottenburg - Berliner Siedlung plant eigenes Nahwärmenetz, doch das Amt bremst aus
Anwohner einer Siedlung in Berlin wollen sich ein eigenes Nahwärmenetz aufbauen. Jahrelang planen sie und haben auch den Bezirk auf ihrer Seite. Und trotzdem zögert ausgerechnet das Amt alles hinaus. Von Sylvia Tiegs
Marcus Schuchardt wohnt fast sein ganzes Leben lang in der Siedlung Eichkamp zwischen dem Berliner Messegelände, der Avus und dem Grunewald. Viele der Reihen- und Doppelhäuser hier stammen aus den 1930er Jahren. Auch Schuchardts Haus ist inzwischen fast 100 Jahre alt. Seine Heizanlage dagegen ist recht neu - ein kombiniertes Öl-Solarheizsystem von 2010. Das allerdings arbeitet gegen ein schlecht gedämmtes Haus. Deswegen würde es der Elektroingenieur Schuchardt gerne wieder ersetzen.
Eine alternative Wärmeversorgung - so sein Gedanke - wäre immer noch günstiger als eine energetische Komplettsanierung des alten Hauses. Vielen Nachbarn im Eichkamp geht es ähnlich. Sie sind unzufrieden mit ihren in die Jahre gekommenen Heizungen oder machen sich Sorge wegen des Klimawandels. Ans Fernwärmenetz ist die Siedlung nicht angeschlossen, also braucht es andere Lösungen - und die gibt es.
Idee wird Projekt
2012 gründete deshalb ein halbes Dutzend Anwohner eine Interessensgruppe. Ihr Ziel: Eine Genossenschaft zu gründen, um für die Siedlung eine eigene, zentrale Nahwärmeversorgung aufzubauen, gespeist aus erneuerbaren Energien. Die Wärme würde in einem Heizhaus direkt im Viertel erzeugt, und mit Rohren auf kurzen Wegen in die Haushalte gebracht, die daran Interesse haben und nahe genug wohnen. Nahwärme eben.
Die Idee nahm mit der Zeit mehr und mehr Gestalt an. Die Mitglieder der Eichkamper "Nahwärme-Gruppe" wechselten über die Jahre, aber ein harter Kern von etwa acht Anwohnern war immer dabei. Sie tüftelten an Heizmodellen, organisierten Gesprächsrunden und machten in der Nachbarschaft Werbung für den Plan. Viele Stunden Freizeit gingen dafür drauf, aber für Marcus Schuchardt, der später dazustieß, war das in Ordnung: "Es hat sich immer auf mehreren Schultern verteilt."
Und es schien sich zu lohnen: Ab 2015 unterstützte auch der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf das Projekt. Zumindest vorerst. Denn inzwischen ist das Amt zum Hauptproblem auf dem Weg zur Wärmeversorgung aus Bürgerhand geworden.
Der Staat unterstützt
Dabei wird die energetische Stadtsanierung staatlich gefördert. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat dafür ein eigenes Programm aufgelegt, aus dem die Siedlung Eichkamp erfolgreich Zuschüsse beantragte. Wohl deshalb stieg 2018 auch der Bezirk zunächst in den Prozess ein. Er übernimmt seitdem einen Teil der Kosten für die energetische Sanierungsmanagerin, die die Projektgruppe beauftragt hat: Sabine Drewes.
Drewes ist laut Schuchardt inzwischen das "Rückgrat" des Projekts. Sie wohnt nicht in der Siedlung sondern ist als Profi geholt worden und steuert nun seit fünf Jahren professionell die Entwicklung der Nahwärme im Eichkamp.Auf Basis ihrer Arbeit gab das Bezirksamt eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, das Ergebnis liegt seit zwei Jahren vor: die Wärme für den Eichkamp soll zu einem Drittel aus Biomasse, zu zwei Dritteln mit Luft-Wasser-Großwärmepumpen erzeugt werden. Das Konzept wurde von Ingenieuren geprüft und durchkalkuliert, auch dafür flossen wieder öffentliche Gelder der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und des Bezirks.
Bis 2021 hatten um die hundert Anwohner formal Interesse bekundet, an ein künftiges Nahwärmenetz in der Siedlung angeschlossen zu werden. Im selben Jahr kündigte das Bezirksamt an, zu prüfen, ob es seine Liegenschaften im Eichkamp ebenfalls an das Wärmenetz anschließen lassen würde: zwei Schulen und eine Sportanlage.
Sabine Drewes und die "Nahwärme"-Gruppe begannen, ein Grundstück für das Herz der neuen Versorgung zu suchen: die Heizzentrale, wo die Wärme erzeugt wird. Sie guckten sich den kleineren der beiden Parkplätze vor dem Mommsenstadion aus. Marcus Schuchardt nennt den Platz "ideal": "Die Heizwasserrohre könnten von hier aus über die Schulgrundstücke in die Siedlung laufen. Die Lkw hätten Platz, um die Biomasse - Holzhackschnitzel - anzuliefern. Und: hier wohnt niemand!". Ein wichtiger Punkt, denn der Lärm der geplanten großen Wärmepumpen würde hier kaum stören. Aus dem Bezirksamt hieß es, dass es für das Grundstück keinerlei Bebauungspläne gäbe.
Der Bezirk entscheidet nicht
Nicht nur kam keinerlei Einwand aus dem Rathaus, es kam sogar persönliche Unterstützung: Ende Mai dieses Jahres besuchten die Grüne Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch und der zuständige Stadtrat Christoph Brzezinski (CDU) die Siedlung Eichkamp. Auf einer Bürgerversammlung im "Haus Eichkamp" lobten sie das Nahwärme-Vorhaben und versprachen, bis zu den Sommerferien eine wichtige Entscheidung zu treffen: ob Charlottenburg-Wilmersdorf nun definitiv seine Schul- und Sportgebäude im Eichkamp an die Nahwärme anschließen lässt.
Keine triviale Frage – denn die Baukosten für das Wärmenetz sind – wegen gestiegener Zinsen und Materialpreisen – von sieben auf mittlerweile bei 11 Millionen Euro geklettert. Um die Kredite dafür auf Dauer zuverlässig bedienen zu können, wäre der Bezirk als stabiler Großkunde unerlässlich, sagt Projektsteuerin Sabine Drewes. Die Kommune als Kunden mit in ein solches Netz hineinzunehmen wäre andernorts durchaus üblich.
Doch die Sommerferien kamen und gingen, die angekündigte Entscheidung zum Anschluss blieb aus. Stattdessen legte das Bezirksamt eine Kehrtwende hin - in einem anderen, wichtigen Punkt: beim Grundstück für die Heizzentrale. Stadtrat Brzezinski teilte im Spätsommer überraschend mit, der Bezirk wolle dort eine neue Sporthalle bauen, mit Geldern aus dem Berliner Klima-Sondervermögen.
Das war der Punkt, an dem etlichen Anwohnern im Eichkamp im sprichwörtlichen Sinne der Kragen platzte. "Es hängt, weil der Bezirk sich nicht entscheidet!", ärgert sich Lutz Klinkner, Familienvater und Unternehmer. Er wohnt seit 2013 in der Siedlung und hat sein Haus inzwischen von oben bis unten energetisch saniert. Bis auf die alte Ölheizung – denn er will lieber ans künftige Nahwärmenetz. Klinkner fürchtet, dass durch die Verzögerung viele Interessierte abspringen. "Bekannte haben uns schon gesagt, das sie sich jetzt eine Wärmepumpe kaufen. Sie können und wollen nicht mehr warten." Den Nachbarn gehe es ähnlich wie ihm: die Heizung sei alt; die Sorge, im Kalten zu sitzen, zu groß. Lutz Klinkner fragt sich inzwischen, ob das überhaupt noch was wird mit dem Nahwärmenetz.
Klärung bis Weihnachten in Aussicht gestellt
Der zuständige Stadtrat zeigt sich optimistisch. Christoph Brzezinski sagt Ende November im Interview mit rbb|24: "Ich sehe uns da als Bezirk durchaus in der Pflicht, das zu unterstützen und ich bin davon überzeugt, dass wir das zum Laufen kriegen." Wie genau er das anstellen will, erklärt er nicht. Stattdessen versucht Brzezinski die "Verzögerungen", wie er sie nennt, darzulegen: Das umstrittene Grundstück für die Heizzentrale am Mommsenstadion liege gar nicht in seinem Bereich, sondern beim Grünen Stadtratskollegen Schruoffeneger. Außerdem habe der Wunsch der Eichkamp-Siedler, dort die Heizzentrale zu bauen, "Begehrlichkeiten" geweckt. Die müsse der Bezirk abwägen. Denn Charlottenburg-Wilmersdorf brauche sehr dringend eine neue Sporthalle, so Brzezinksi.
Auch in der Frage des Anschlusses der bezirklichen Gebäude macht der Stadtrat einen halben Rückzieher. Für eine der beiden Schulen komme das womöglich nicht mehr infrage, weil Charlottenburg-Wilmersdorf dort schon seit geraumer Zeit selbst den Umbau der alten Heizanlage plane – mit Wärme aus Geothermie: "Wir haben da schon viel Geld reingesteckt". Warum es diese Parallelplanung zeitgleich zum Nahwärmenetz für das Quartier überhaupt gibt, bleibt offen. Dass er aber die andere Schule und auch die Rosenthal-Sportanlage an das Eichkamp-Wärmenetz anschließe, könne er sich "gut vorstellen". Insgesamt sei er zuversichtlich, dass der Bezirk Grundstücks- und Anschlussfrage kläre, "und zwar bis Weihnachten".
Ausgang offen
So müssen sich die Anwohner in der Siedlung Eichkamp also weiter gedulden - und hoffen, dass die Entscheidungen des Bezirkes nicht nur endlich kommen, sondern nicht auch noch teure Neuplanungen auslösen: ein anderer Standort für die Heizzentrale bedeute andere Baupläne und Kosten, sagt Projektsteuerin Sabine Drewes. Mit jedem Monat, der vergeht, drohe ohnehin alles teurer zu werden. Auch die Genossenschaft kann sich erst gründen, wenn mit dem Bezirk alles unter Dach und Fach ist.
Sabine Drewes schätzt die Chancen "fifty-fifty", dass die neue Wärmeversorgung tatsächlich noch kommt. "Diese Kraft aus dem Quartier gibt immer wieder Auftrieb. Ich hoffe, dass man an dieser Energie nicht vorbeikommt." Sicher aber ist sie sich nicht.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.11.2023, 9:25 Uhr