Theaterkritik | "abgrund" in der Schaubühne - Nicht jeder Mensch ist ein Abgrund

Sechs gutbürgerliche Berliner Freunde labern in "abgrund" wahllos drauf los - bis es zu einer Tragödie kommt. Doch die haucht diesem Uraufführungsabend an der Berliner Schaubühne auch kein echtes Leben ein. Von Fabian Wallmeier
Ist in der Suppe nur Rosmarin oder sind noch andere Kräuter drin? Heißt es nun Flüchtlinge oder Geflüchtete? Ist die tolle Karaffe aus dem KaDeWe oder von Manufactum? Wahllos drauf loslabern - das können die Figuren in "abgrund", dem neuen Stück von Maja Zade, das Thomas Ostermeier am Dienstag in der Berliner Schaubühne uraufgeführt hat. Sechs Freunde sind zum Abendessen veabredet, Bettina (Jenny König) und Matthias (Christoph Gawenda) haben eingeladen, sie wollen ihre teure neue Küche präsentieren. Matthias schnippelt Möhren, Bettina deckt den Tisch und schaut nach den beiden Kindern. Stefan (Moritz Gottwald) und Sabine (Alina Stiegler) streiten sich ein bisschen, Single-Frau Anna (Isabelle Redfern) und der schwule Mark (Laurenz Laufenberg) sind in ihrer vermeintlichen Andersartigkeit eher schmückendes Beiwerk.
Zades Szenen sind kurz, gehen mitten in die Gelaber-Dialoge herein und auch schnell wieder raus. Sie kreisen um das Abendessen, doch die Chronologie wird durchbrochen von Sprüngen in die Vergangenheit, in den dramatischen späteren Abend und manchmal in eine Art bessere Parallelwelt.
Der Text führt die sechs Freunde vor, als selbstgerechte Wohlstandsbürger, als wandelnde Klischees einer Berlin-Mitte-Schickeria, die es so ähnlich vermutlich tatsächlich gibt. Herrje, was sind die Freunde aber auch für traurige Arschgeigen! Vor allem die beiden Paare: Stefan und Matthias sind sich aufgeklärt gebende Mansplainer, die ungehobelt indiskrete Fragen stellen, Sabine und Bettina maßregeln sie besserwisserisch. Mark daddelt derweil immer wieder auf seinem Smartphone herum - und Anna scheint sich manchmal zu fragen, was sie dort eigentlich will.

Dieses Mal will Maja Zade mehr
"abgrund" ist in dieser Spielzeit schon das zweite Stück von Zade, die an der Schaubühne sonst als Dramaturgin arbeitet. Das erste, "status quo", hat Marius von Meyenburg als knallige Komödie inszeniert - und dem Text damit gut getan. Der hatte nämlich sein Pulver nach wenigen Seiten größtenteils verschossen: Die Grundidee bestand darin, eine Welt zu zeigen, in der die Machtverhältnisse und Zuschreibungen zwischen Männern und Frauen genau anders herum sind, nutzte sich schnell ab - da half nur der beherzte Zugriff auf alle Mittel der Boulevardkomödie.
In "abgrund" hat Zade mehr vor. "Wo ist denn hier der Abgrund", wird einmal gefragt. Er kommt nach langem belanglosem Gequatsche der Freunde dann natürlich doch. Knappe Horrorminiaturen (Gawenda wird verzweifelt nach Luft schnappend im Dämmerlicht von unten gefilmt; die apathische Bettina wird in eine Wolldecke gehüllt) kündigen sich an, dann geht Zade in die Vollen und zeigt die ganz große Katastrophe. Worin die genau besteht, soll hier nicht verraten werden. Es ist eine Tragödie biblischen Ausmaßes, die aber so aufgesetzt wirkt, dass sie keinerlei Tiefe erzeugt.
Zum Teil ist diese fehlende Tiefe offenbar sogar gewollt - der Text lässt die von der Tragödie nicht direkt betroffenen Figuren im Angesicht des Schreckens nicht etwa wahre Menschlichkeit und Größe zeigen, sondern vollends zu sozial gestörten Arschlöchern mutieren. Doch Zade versucht, hinter dieser Schablonenhaftigkeit das große Drama zu erzeugen, drückt dabei mächtig auf die Tränendrüse. Zade will die, nun ja: Abgründe in den Menschen aufzeigen, doch leider gibt das der Text nicht her. Er bleibt beim Gelaber hängen.

Kopfhörer als Gimmick ohne Funktion
Auch Thomas Ostermeiers Inszenierung fügt letztlich wenig hinzu. Beliebig wirken seine Mittel, auch wenn sie edel aussehen und technisch gut gemacht sind. Videoprojektionen auf einer Gaze-Wand vor der Bühne, eine wie geschnürt laufende Lichtdramaturgie für die Abgrenzung der Szenen - schön und gut, kann man machen. Vollends überflüssig wirkt dagegen der Einfall, den Zuschauern Kopfhörer aufzusetzen, die die Dialoge in der linken Bühnehälfte auf dem linken hörbar machen und die in der rechten auf dem rechten. So hört man die Sounds und die Stimmen der Schauspieler zwar intensiv direkt im Ohr, aber das gleiche Maß an Intensität hätte diese fähige Ensemble problemlos auch so erzeugen können. Die Kopfhörer sind so ein netter Gimmick, aber darüber hinaus haben sie keine Funktion.
Nein, nicht jeder Mensch ist ein Abgrund. Der Abgrund jedenfalls, den Stück und Inszenierung behaupten, ist ganz sicher keiner. Er ist höchstens ein kleiner Absatz - und blickt man hinunter, ist da kein bodenloses schwarzes Nichts, sondern ein hübsch gerahmter Manufactum-Spiegel, in dem sich die Neurosen der Figuren und die technischen Tricks der Inszenierung spiegeln. Sieht irgendwie gut aus, ist aber ziemlich öde.
Sendung: Inforadio, 03.04.2018, 07:55 Uhr
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