50 Jahre Mineralwasserflasche - Seine Perle
Vor 50 Jahren wurde die Einführung der sogenannten Normbrunnenflasche beschlossen. Fast jeder Durstige in Deutschland hat schon einmal Wasser aus dieser Glaspulle mit den Perlen getrunken - erfunden hat sie ein Mann aus Rüdersdorf. Von Sebastian Schneider
Günter Kupetz war Maurer, Bildhauer, Professor und vor allem Produktdesigner - als noch niemand den Begriff überhaupt kannte. Was er nicht war: ein ausreichend skrupelloser Geschäftemacher. Sonst hätte er sehr reich werden können. Aber hinterher wussten sie es ja eh alle besser.
28. August 1969, ein verregneter Donnerstag im Bonner Regierungsviertel: In einem verglasten, weißen Quaderbau kommen die Herren der "Genossenschaft Deutscher Brunnen" (GDB) zusammen, um über Kupetz‘ Werk zu befinden. Es geht um ihre Zukunft: Die 142 Unternehmer verdienen ihr Geld mit Mineralwasser - und dieses Geld wird immer weniger. Ihr Produkt hat kein schlechtes, sondern gar kein Image.
300 verschiedene Flaschen mit Keramikverschluss
Jeder Betrieb hat sein eigenes Abfüllsystem, es gibt mehr als 300 Flaschentypen. Die Keramikdeckel müssen von Hand auf die Flaschen gehebelt werden. Oft zerbrechen die Drahtbügelverschlüsse - ebenso wie die klapprigen Holzkisten. Das Ganze lohnt sich nicht mehr. Seit kurzem drängt der Coca-Cola-Konzern auf den deutschen Markt und mit ihm eine Innovation aus den USA: eine Anlage, die Flaschen blitzschnell auffüllen und mit einem Schraubdeckel verschließen kann. Die Maschinen hat die Genossenschaft schon gekauft - der 44-jährige Kupetz soll die richtige Flasche dazu erfinden. Eine, die auf den ersten Blick was hermacht. Eine für alle.
Kupetz, ein hagerer Mann mit dunklen, wachen Augen, hat gegenüber seinen Konkurrenten einen Vorteil: Er beherrscht die feine Linie, aber vor allem kann er mit seinen Händen umgehen. Er ist, das sagt sein Sohn heute, ein großer Gipser. "Seine Herangehensweise war immer sehr spielerisch, aber mit hoher handwerklicher Kompetenz. Er hat viel gezeichnet, hatte Spaß am Herumprobieren. Formfindung hat ihn am meisten fasziniert", erzählt Andrej Kupetz, selbst Industriedesigner.
Skeptiker sprechen vom "Kremlturm"
Bevor die Mineralbrunnen-Mogule in dem verrauchten Viereck beraten, gipst Kupitz senior wochenlang wie ein Weltmeister. Der gebürtige Rüdersdorfer (Märkisch-Oderland) kritzelt, radiert, modelliert, immer wieder telefoniert er mit den Technikern in den Glashütten und bessert dann nochmal nach. Kupetz‘ ersten Entwurf verspotten Skeptiker noch als "Kremlturm". Kurz darauf lacht keiner mehr: Seine vollendete Schöpfung hat einen elegant geschwungenen Körper und eine schlanke Taille, ihr goldener Schnitt schmeichelt dem Auge. Sie trägt Glasperlen, exakt 230 Stück. Die stehen für die emporsteigenden Bläschen der Kohlensäure. Gleichzeitig machen sie die Flasche griffig.
Nach mehr als drei Stunden Palaver beschließen die Unternehmer in Bonn die Einführung der "0,7-Liter-Brunneneinheitsflasche als Formflasche mit einem Außenschraubgewinde". Perlenflasche klingt zärtlicher.
Ihr Volumen hat der Erfinder exakt berechnet: Genau so viel ist mindestens nötig, damit das Wasser bei einer durchschnittlichen Zahl von Flaschenöffnungen nicht die ganze Kohlensäure verliert. Der letzte Schluck soll immer noch ein bisschen bizzeln. Die ersten Kisten, die ab 1969 vom Fließband rollen, sind übrigens immer noch aus Holz - deswegen entscheidet man sich später bei den Plastik-Wasserkästen für die Farbe braun.
Perlenflasche wurde nie verändert
"Sie wurde genau so angenommen, wie sie war und wurde nie verändert. Es gibt auch keinen Grund dafür", sagt der GDB-Sprecher Georg Staudt heute. Man erreicht die Genossenschaft noch immer im Zentrum der alten Bundesrepublik. An der Kennedyallee sieht es aus wie in einer Derrick-Kulisse: Von hier steuert der Zusammenschluss aus knapp 200 Abfüllern das bis heute größte Mehrwegsystem Europas.
Die Perlenflasche erweist sich nicht nur als Rettung der Branche, sondern hat auch eine brauchbare Ökobilanz - selbst der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ist erklärter Fan. Man kann sie praktisch überall zurückgeben, dann wird sie zum nächstgelegenen Mineralbrunnen transportiert und wieder vollgemacht. Bis zu 50 Mal geschieht das bei der Glasflasche – je breiter die weißen, rauhen Ringe unterhalb der Taille sind, desto öfter ist sie befüllt worden. Eine PET-Flasche kann das nur halb so oft.
Günter Kupetz selbst übrigens hätte nie aus so einer schnöden Plastikpulle getrunken: "Wasser schmeckt nur aus Glas", hat er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einmal gesagt. Und es erzürne ihn, dass die Mineralwasserfirmen auch Stilles in der Noppenflasche verkaufen.
"Man kann sie gar nicht besser machen"
Kupetz wird einer der erfolgreichsten Industriedesigner der Bundesrepublik. Im Laufe seiner Karriere entwirft er mehr als 1.000 Gebrauchsgegenstände, darunter ein AEG-Tischtelefon, einen Hähnchengrill für Wienerwald-Restaurants und eine Pril-Spülmittelflasche. Sein Whisky-Set aus Bleiglas nennt Louis Armstrong "das schönste der Welt". Aber die Perlenflasche begreift Kupetz als den Höhepunkt seiner Kunst. Näher wird er der Perfektion nie kommen. "Man kann sie gar nicht besser machen", sagt er noch viele Jahre später in einem Interview über die Flasche seines Lebens. Er stirbt im März 2018 im Alter von 92 Jahren. Sein Grab liegt in Birkenwerder.
Heute verbinden 97 Prozent der Deutschen die von ihm erdachte Form mit Mineralwasser, hat eine Umfrage ergeben. Durstige kaufen Kupetz‘ Erfindung immer und immer wieder, finden sie praktisch, vielleicht sogar schön. Kaum einer wird sich darüber Gedanken machen, wer sich dieses Ding überhaupt ausgedacht hat. Als wäre es halt schon immer dagewesen. Kann Industriedesign mehr erreichen? "Wenn man etwas erschafft, das die Bedürfnisse der Menschen in jeder Situation optimal erfüllt, so dass sie dieses Produkt nicht wahrnehmen, nicht hinterfragen - dann ist das schon außergewöhnlich", sagt Kupetz‘ Sohn Andrej.
Mit der GDB hat Günter Kupetz 1969 keine Gewinnbeteiligung aushandeln können. Nach außen hat er nie damit gehadert. Er bekam ein Honorar für seinen Siegerentwurf und dann noch eines für die Nutzungsrechte. Gutes Geld sei das gewesen, aber reich sei sein Vater mit der Perlenflasche nicht geworden, berichtet der Sohn: "Er dachte, nach zehn Jahren kommen die auf ihn zu und wollen ein neues Design. Dann könnte er wieder was verlangen. Aber dass sein Entwurf so dermaßen erfolgreich werden würde - das konnte er nicht absehen." Bis heute sind in Deutschland mehr als 5,5 Milliarden Perlenflaschen hergestellt worden. Umgerechnet 300.000 pro Tag.
Gut in Form
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Sendung: Radioeins, 28.08.2019, 17:10 Uhr