Interview | Young Euro Classic - "Wir wollen zeigen, wie reich die musikalische Welt ist"

Fr 09.08.24 | 18:05 Uhr
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Gabriele Minz, Gesamtleitung von Young Euro Classic, aufgenommen am 13.07.2023. (Quelle: Imago Images/Maurizio Gambarini)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.08.2024 | Interview mit Gabriele Minz | Bild: Imago Images/Maurizio Gambarini

Zum 25. Mal treffen sich in Berlin Jugendorchester aus aller Welt: Young Euro Classic startet am Freitag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Was die ungebrochene Faszination des Festivals ausmacht, erzählt die Leiterin Gabriele Minz im Interview.

 

rbb: Frau Minz, als Sie im Jahr 2000 gestartet sind, haben Sie da schon die Absicht gehabt, dass die Young Euro Classic eine weltweit vernetzte Dauer-Institution wird?

Gabriele Minz: Diese Absicht hatten wir nicht. Es gründete sich ein gemeinnütziger Verein, der Deutsche Freundeskreis Europäischer Jugendorchester. Wir gingen davon aus, dass es auf das Jahr 2000 beschränkt bleibt. Dank des enormen Erfolgs mit 72 Prozent Auslastung gleich zum Start haben wir dann überlegt es fortzuführen. Zumal wir ja auch das Sommerloch mit diesem Festival gefüllt hatten.

Es war eine historisch offene Situation zur Jahrtausendwende mit einer großen Bereitschaft für internationale Kooperationen. War es damals leichter, etwas auf die Beine zu stellen als heute mit den vielen geopolitischen Frontstellungen?

Tatsächlich war die Situation damals völlig anders. Man hat gespürt, jetzt können wir noch mal neu starten und positiv in die Zukunft schauen. Es war noch nicht von dieser Fülle der Kriege die Rede, wie sie heute herrschen, und vieles andere mehr.

Die Jugendorchester-Szene weltweit war sehr viel diverser als heute - auch gerade von ihrem Niveau her. In dieser Zeit hat sich enorm viel entwickelt. Heute haben wir einen harten Kampf zu führen, um dieses Festival im Sommer weiter platzieren zu können.

Für Länder unterschiedlichster Couleur ist Kultur immer auch ein Aushängeschild. Gleichzeitig leiden Musikerinnen und Musiker natürlich an diesen weltpolitischen Verwerfungen, weil Möglichkeiten zum Lernen und zum Auftreten schwieriger geworden sind. Wie können Sie sich da einbringen?

Kultur und Kulturdarbietungen sind in gewisser Weise politisch völlig unabhängig. Dennoch wird Kultur sehr häufig für politische Ziele in Anspruch genommen. Das mag in einzelnen Fällen ein schmaler Grat sein. Andererseits sehe ich die Kraft der Kultur, über die junge Menschen - wie in unserem Fall - zusammenkommen, sich miteinander auseinandersetzen, etwas gemeinsam erschaffen und in ihre eigene Zukunft weitergehen.

Diese Erlebnisse des Zusammenwirkens und gemeinsam etwas zu erreichen, hat immer eine positive Funktion. Das irgendetwas missbraucht wird, das können wir, wenn ich das aus unserer Perspektive betrachte, nicht verhindern. Aber wir können diesen positiven Impetus auf jeden Fall mittransportieren. So haben wir im Laufe der 25 Jahre relativ schnell bi- und multilaterale Orchestergründungen initiiert.

Wir haben von den Kontakten profitieren können, die wir durch das Einladen von Orchestern hier nach Berlin gewonnen haben. Dieser lebendige Kontakt, den wir über die Jahre mit sehr vielen Jugendorchestern gehalten haben, wird von uns sehr gepflegt. Und wir haben es uns auch im Laufe der Jahre zur Aufgabe gemacht, zur Gründung neuer Jugendorchester zu ermutigen.

26.544 junge Künstlerinnen und Künstler sind seit dem Jahr 2000 aufgetreten. Was wissen wir über deren weitere Laufbahn?

Es gibt immer wieder Beispiele, wo wir erfahren, dass die ersten professionellen Schritte bei den Jugendorchestern gemacht wurden. Aber wir verfolgen das natürlich nicht statistisch. Wir wissen, dass gerade die Jugendorchester-Szene in Ost- und Mitteleuropa geradezu von diesem Festival schwärmt und sagt, ohne dieses Festival gäbe es uns in dieser Form gar nicht. Die Reputation, die man gewinnt, wenn man hier während des Young Euro Classic auftritt, scheint also so eine Wirkung zu entfalten, dass die Musiker das als Beleg ihres Könnens und damit auch der Unterstützungswürdigkeit dokumentieren können.

178 Orchester aus 59 Nationen haben das Festival seit 2000 in Berlin besucht, 26.544 junge Musiker:innen sind aufgetreten.

25 Jahre Young Euro Classic in Zahlen

Was bleibt, ist auch die Herausforderung eines Programms für ein Publikum. Man könnte sich eigentlich denken, dass das Publikum des Jahres 2000 die Abonnentinnen und Abonnenten des Jahres 2024 sein müssten. Dinge, die Young Euro Classic angestoßen hat, sind inzwischen auch in anderen Teilen angekommen, einschließlich des Publikums, das Sie haben.

Ja, wir haben von Beginn an einen ganz anderen Weg gewählt, Publikum zu erreichen. Das war, glaube ich, ein großer Unterschied zu bestehenden Institutionen. Mir begegnete damals die Auffassung, dass man ein hochwertiges musikalisches Angebot macht, und wenn das Publikum es nicht nutzt, dann ist es selber schuld. Hier denkt sich kein künstlerischer Leiter oder ein anderer ein Programm von A bis Z aus.

Nein, es ist eine Zusammenarbeit mit den Orchestern, die mit ihrem Dirigenten ihre Programme entwerfen, die sie bei uns vorstellen wollen. Diese Programme werden durch uns mit Hilfe von künstlerischer Kompetenz eventuell modifiziert.

Infos im Netz

In Young Euro Classic sind auch die Begriffe Europa und Klassik enthalten. Wie kommt es, dass aus Südafrika oder Brasilien in diesem Jahr Ensembles dabei sind? Auch wird Klassik als sehr breiter Begriff gefasst, indem sie sich gesagt haben, in anderen Gegenden der Welt heißt klassisch auch was anderes.

Ja, wir überlegten, was wir zur Feier eines 25. Jubiläums bieten wollen. Diese Idee ist einfach auch ein bisschen aus dem veränderten gesellschaftlichen Kontext heraus entstanden. Wir sehen, dass rechte und rechtsnationale Kräfte dort besonders stark sind, wo man das sogenannte Fremde überhaupt nicht kennt. Uns liegt also auch daran zu zeigen, wie reich die musikalische Welt ist und das es nicht nur unsere europäische Orchestertradition gibt, die wir natürlich nach wie vor im Fokus behalten und auch zeigen wollen, wie die sich von innen heraus immer wieder neu erfindet.

Und insofern haben wir dieses Jahr Kunstmusiken anderer Kulturräume ausgesucht. Da ist beispielweise Indien zu nennen mit einem Sufi-Ensemble oder die Mongolei mit Obertonsängern, die sozusagen gegen die Stille der Wüste ansingen. Das ist sicherlich nicht für jeden Zuhörer eines klassischen Konzertes ein bekanntes Hörerlebnis, aber in jedem Fall ein lohnendes. Wir werden also da ganz neue Erlebnisse haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Gabriele Minz führte Harald Asel, rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch könnne Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.08.2024, 14:25 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Nur kosten soll das möglichst wenig. Deswegen werden seit Jahrzehnten Musikschullehrer unter Tarif bezahlt.
    Die Berliner Musikschulen stehen vor der Auflösung!

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