Berlinale Wettbewerb | "Small Things Like These" - Der starre bange Blick des Oscar-Anwärters
Die Berlinale 2024 ist am Donnerstagabend mit einem ausgesprochen tristen Film eröffnet worden. "Small Things Like These" mit "Oppenheimer"-Star Cillian Murphy ist ödes Historienkino mit fragwürdiger Perspektive. Von Fabian Wallmeier
Wer hier das Sagen hat, steht von der ersten Sekunde an fest: "Small Things Like These", der Eröffnungsfilm der Berlinale, beginnt mit Glockenläuten. Noch sehen wir nichts, wir hören nur die Glocken und sehen dann, wie über der hügeligen irischen Kleinstadt die Sonne aufgeht. Oder sagen wir: wie es ein bisschen heller wird. Denn richtig sonnig wird es hier nie. Diesig, verregnet, trostlos ist und bleibt es.
Die Kirche läutet hier nicht nur den Tag ein, sie hat die Kleinstadt auch ansonsten im Griff, in Gestalt eines Klosters und dessen eisiger Oberin. Die begabtesten Kinder werden auf die Klosterschule geschickt und keine wichtige Entscheidung im Ort fällt ohne die Nonnen. Wer vorsichtig Kritik äußert, wird eilig von den anderen ausgebremst.
Die Nonnen betreiben hier eine sogenannte Magdalenen-Wäscherei. Ein System, das es wirklich gab: Über Jahrzehnte wurden vor allem in Irland junge werdende Mütter unehelicher Kinder mit Zwangsarbeit in den Wäschereien ausgebeutet. Ihre Kinder nahm man ihnen weg.
Was geht hinter den Klostermauern vor?
"Small Things Like These" nach dem kurzen Roman von Claire Keegan, erzählt einen fiktiven kleinen Teil dieser Geschichte, rund um Weihnachten 1985 - und aus der Warte eines Mannes. Oscar-Anwärter Cillian Murphy ("Oppenheimer") spielt Bill Furlong, einen schwer arbeitenden Kohlenhändler und Vater von fünf Töchtern. Er beobachtet eines Tages, wie die junge Sarah schreiend und gegen ihren Willen von ihren Eltern im Kloster nebenan abgeliefert wird. Bill beginnt zu hinterfragen, was hinter den Klostermauern vor sich geht, und wie er Sarah helfen kann - und wird zugleich mit der eigenen Kindheit und der Geschichte seiner Mutter konfrontiert.
Regisseur Tim Mielants verlässt sich stark auf seinen Hauptdarsteller und dessen Trademark-Gesichtsausdruck: Cillian Murphy starrt mit festem, bangem Blick ins Nichts, den Mund leicht geöffnet. Hin und wieder kullert das ansonsten unveränderte Gesicht eine Träne herunter. Ja, wir haben es verstanden: Dieser Mann grübelt seinen Dämonen hinterher, von früh bis spät. Und was gäbe es über die Ausbeutung von Frauen Wichtigeres oder Interessanteres zu sagen als das finstere Grübeln eines Mannes? Eine fragwürdige Perspektive.
Folgerichtig, aber schade
So eindimensional, wenn auch irgendwie liebenswert, Hauptfigur Bill bleibt, sind naturgemäß erst recht die weiblichen Nebenfiguren. Von Sarahs Leidensweg erfahren wir so gut wie nichts. Auch die Geschichte von Furlongs jung verstorbener Mutter, die ebenfalls Sarah hieß, wird in den Rückblenden in Billys Kindheit nur in Ansätzen erzählt. Das ist folgerichtig, wenn man sich der Romanvorlage getreu für die Perpektive Bills als alleinige entscheidet. Aber schade ist es auch, zumal der Film aus der Warte Bills niemals einen erzählerischen Sog entwickelt wie dem Vernehmen nach das Buch.
Zur Gegenspielerin Bills wird die Mutter Oberin, von Emiy Watson mit unmissverständlicher Eiseskälte ausgestattet. Mit überlegenem Lächeln und unnachgiebigem Blick schiebt sie den Anschein christlicher Güte vor ihre offensichtliche Herrschsucht. Ihre Entscheidungen sind unumstößlich, denn durch sie spricht der Wille Gottes. Auch sie eine Figur, die in öder Eindimensionalität gefangen bleibt.
Grell übersättigte frühe Kurzfilme
Schaut man sich Tim Mielants erste Versuche als Regisseur an, hat das nur wenig mit "Small Things Like These" zu tun. "The Sunflyers", angesiedelt an einem heißen Sommertag in seiner Heimat Flandern, und die Wüstengeschichte "Duffel" bersten vor grell übersättigten Farben und ebenso greller satirischer Überspanntheit. Beides hat ihm offenbar das internationale sogenannte Qualitätsfernsehen ausgetrieben: Sein Geld hat er vor allem als Regisseur von düster anmutenden Serien wie "The Responder" und "Peaky Blinders" (ebenfalls mit Cillian Murphy) verdient.
Mit "Small Things Like These" treibt er den diesig-düsteren Look auf die Spitze. Einen Hauch von Heimeligkeit gibt es nur im bescheidenen Haus der Furlongs - aber auch erst, nachdem Bill sich die kohlenschwarzen Hände sauber und wund gescheuert hat. Der Rest ist Tristesse: Armut, Nebel, Kohlenstaub, ziellose wortarme Pub-Gespräche, matte Brauntöne, verregnete Fensterscheiben. Selbst als es endlich weihnachtlich schneit, bleibt alles matschig gräulich.
Auch die spärlich beleuchteten Klosterflure strahlen eine zeitlos scheußliche Unwirtlichkeit aus. Apropos zeitlos: Liefe nicht relativ am Anfang des Films einmal "Come on Eileen" von Dexys Midnight Runners im Pub, könnte der Film genauso wie im Jahr 1985 auch 1975, 1965 oder 1955 spielen. Elend, Armut und Traurigkeit sind nun einmal zeitlos, will uns das vielleicht sagen.
Warum dieser Eröffnungsfilm?
Bleibt die Frage: Warum eröffnen Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek ihre letzte Berlinale mit einem so tristen Film nach Schema F? Nur damit der vermutlich künftige Oscar-Anwärter Murphy und Co-Produzent Matt Damon ein bisschen Hollywood nach Berlin bringen können? Ist Matt Damon nicht sowieso ständig da?
Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung für "Small Things Like These" nicht darin begründet liegt, dass der Wettbewerb keine aufregenderen, mutigeren, künstlerisch ambitionierteren, emotional mitreißenderen Filme zu bieten hat als diesen. Nun ja, mögen die Spiele beginnen!
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