Massentourismus und seine Folgen führen zunehmend für Unmut und Protesten in Urlaubsregionen wie auf Mallorca, den Kanarischen Inseln, in Italien. Gibt es Anzeichen für zu viel Tourismus auch in Brandenburg? Von Karsten Zummack
Autokolonnen schieben sich Richtung Ortszentrum, Parkplätze werden gesucht, dichtes Gedränge auf den Rad- und Fußwegen. An Wochenenden und jetzt in den Sommerferien: Alltag in Bad Saarow (Oder-Spree). Der Ort am Scharmützelsee zählt zu den Top-10-Reisezielen in der Region.
Berlin wird als Reiseziel wieder beliebter, im ersten Halbjahr 2024 sind mehr Menschen in die deutsche Hauptstadt gekommen als im Vorjahr. Die Fußball-Europameisterschaft hat die Erwartungen der Touristiker allerdings nicht erfüllt.
Verstopfte Straßen, hohe Preise
Und es werde immer voller, beklagt Michael Bertram. Der Privatdozent aus der Unterhaltungsbranche ist vor mittlerweile 25 Jahren hierhergezogen. Inzwischen spürt er auch in Bad Saarow erste Anzeichen des sogenannten Overtourism, also Übertourismus. "Wenn Sie von A nach B wollen, brauchen Sie plötzlich die dreifache Zeit, weil die Straßen verstopft sind", schildert der 57-Jährige seine Erfahrungen.
Als Einwohner vermisst er auch "die normalen Gaststätten und Bars für das normale Volk". Seitdem Bad Saarow als Urlaubsziel boomt und immer nobler wird, siedeln sich auch hier zunehmend noble Etablissements und Cafés an, die für viel Geld lieber schicken Latte Macchiato oder Trüffelpommes anbieten als Hausmannskost. "Teilweise stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr", beklagt Bertram. "Wenn man hier leben muss, dem permanent ausgesetzt ist, dann nervt das."
Einseen, dass es in Brandungburg meer gibt
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Auf dem Höhepunkt des Sommers ist es besonders schön, ganz genau da zu sein, wo Brandenburg so richtig fontanisch ist, also beides - gefühlt und real: am Großen Stechlin. Dies ist der Schauplatz, wo der große Brandenburg-Dokumentar Theodor Fontane seinen "Stechlin" spielen ließ. Folglich ist hier jeder, der ins Wasser steigt, Graf oder Gräfin oder noch besser: Woldemar oder Armgard.
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Noch ist der Cottbuser Ostsee nicht be-badbar, denn noch läuft er voll. Wenn in wenigen Jahren aber all die geplanten Wasser im See für Wellen sorgen, ist der Cottbuser Ostsee Deutschlands größter künstlicher See. Erst war hier Landschaft, dann war hier Tagebau, dann war hier Restloch und vielleicht ist und bleibt dann der Cottbuser Ostsee bald eine Segel- und Badeoase.
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Die Talsperre Spremberg, auch Spremberger Stausee genannt, entstand Anfang der 1960er Jahre. Sie ist das, was der Cottbuser Ostsee noch werden will: ein Erholungsgebiet vor allem für die Lausitzer. Hier findet man Badestrände, Campingplätze und ausgebaute Radwege rund um den flächenmäßig viertgrößten Stausee Deutschlands.
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Monarchie, Literatur und Natur - Rheinsberg ist ein Idyll, wo Friedrich der Große einst glücklich war, wo Kurt Tucholsky ihn ein paar Jahrzehnte später beim Glücklichsein übertraf und wo Kernkraftwerke aufhören zu strahlen. Allerdings: Um dem See auch seinen Namen zu geben, dafür fehlte es der Stadt an irgendetwas: der Grienericksee, an dem sich Rheinsberg niedergelassen hat.
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Der Altdöberner See wird derzeit geflutet und ist in wenigen Jahren einer der vielen Binnenbadeseen Brandenburgs. Bis dahin ist er eine Art geheimer Ausflugstipp. Das Südufer ist exzellent erradelbar und die seltsame Untergangsästhetik macht den See einmalig.
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Der Schwielochsee ist Brandenburgs größter natürlicher See. Über die Spree, die den See durchfließt, erreicht man das Nordende des Spreewalds. Baden, Campen und Bootfahren - alles ist möglich. 13,3 Quadratkilometer naturgeschaffene Wasserfläche bietet der Schwielochsee - mehr Wasser kann man in Brandenburg in einem Badegang nicht durchmessen.
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Voilà, das hier hat Ägypten nicht: einen Pyramidensee! Er liegt mitten in Cottbus, in Branitz und mitten in ihm die Pyramide. Sie ist verglichen mit ihren ägyptischen Schwestern ein sehr kleines Familienmitglied, aber dafür ist hier das Grab nicht geplündert. Besser noch: Ihr wurde sogar ein Schatz später hinzu gegeben: Seit 1856 steht die Pyramide, seit 1871 liegt in der Pyramide der namensgebende Fürst Hermann von Pückler-Muskau. Ab 1884, 30 Jahre nach ihrem Tod 1854, konnte dann auch die Fürstin Lucie von Pückler-Muskau ihrem Fürsten Gesellschaft leisten. Ins Wasser durften und dürfen hier nur diese beiden.
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Der Großräschener See ist jung und erfolgreich: Er startete als hässliches Baggerloch und ist nun eine Art Binnemeer mit Badepromenade. Hafenbrücke, Mole, Seebrücke - "Maritim" lautet hier der Vorname der Lausitz.
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Der Seddinsee ist ein Inselsee, dessen Inseln meist mit -wall benannt sind. Fontane - wer sonst - hat zumindest eine Insel-Geschichte in seinen "Wanderungen" erwähnt, nämlich zur Insel Seddinwall. Baden gehen und Geschichte erlernen - der Seddinsee ist perfekt für ein Kurz-vor-Schulstart-Wochenende.
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Die Scharmützelsee ist ein Eiszeitsee: entstanden in einer vom Eis ausgeschürften Rinne. Und er ist ein Rekordsee: Nach dem Schwielochsee ist er Brandenburgs zweigrößter natürlicher See. Fontane machte ihn zum "Märkischen Meer", seine rekordverdächtig ruhige Zurückhaltung aber macht ihn auch zum Scham-ützelsee. Wir helfen ihm und sagen: Mut fassen und reinspringen!
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Michael Bertram engagiert sich in einer Bürgerinitiative gegen einen neuen Supermarkt, weil dieser überdimensioniert sei. Auch das ist eine indirekte Folge des wachsenden Tourismus in Bad Saarow. Bürgermeister Christian Schröder weist die Kritik zurück. Von Massen- oder Übertourismus könne keine Rede sein. "Die Bettenzahlen stagnieren, die Besucherzahlen sind eher rückläufig", so der CDU-Kommunalpolitiker. Staus seien in Bad Saarow eher selten, auch gebe es in der Gastronomie mitunter Pizza für weniger als 10 Euro.
Oft sind es vermeintlich kleine Probleme, die ein Besucherandrang mit sich bringt. Vor Ort aber ist dies im Alltag von hoher Bedeutung.
Auch in Fürstenberg/Havel (LK Oberhavel), ganz im Norden Brandenburgs, haben sich Anwohner zusammengetan. Hier geht es darum, die geplante Erweiterung einer Boots-Steganlage im Röblinsee zu verhindern. Sie sorgen sich um Natur und Tierwelt. Unterstützung kommt vom parteilosen Bürgermeister.
Seit voriger Woche sind in Berlin und Brandenburg Sommerferien und für viele Menschen heißt das: Sommerurlaub. Wir geben einen Überblick über die beliebtesten Urlaubsziele - in der Region und weltweit. Von Julian von Bülow
Tourismus als Gratwanderung
"Wie viel Schiffsverkehr verträgt unsere Region?", fragt sich Robert Philipp. Als touristisches Ziel will Fürstenberg attraktiv bleiben. Eine Gratwanderung: Einerseits freut sich das Rathaus über jeden zusätzlichen Urlauber, andererseits hat das Wachstum auch Grenzen. Der Bürgermeister warnt davor, "dass zum Beispiel die Gewässer zu voll sind oder die Schleusenwartezeiten zu lang werden". Der Standort am Röblinsee sei klein und habe sowohl Anreiseverkehr als auch Parkdruck.
Natürlich will auch Fürstenberg/Havel weiter Touristen anlocken, doch die Infrastruktur ist eben begrenzt. Vor ganz anderen Herausforderungen steckt Potsdam, Besucherziel Nummer eins in Brandenburg. Wie im benachbarten Berlin sind Wohnungen rar, gleichzeitig scheint die Vermietung von Zimmern an Touristen lukrativ. Deshalb hat die Landeshauptstadt vor drei Jahren eine sogenannte Zweckentfremdungssatzung in Kraft gesetzt. Sie soll das Angebot an Ferienwohnungen reduzieren, so dass mehr Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt landen.
Studie: Tourismus-Akzeptanz in Brandenburg relativ hoch
Unter dem Strich verbuchte Brandenburg im vergangenen Jahr mehr als 14 Millionen Urlauber-Übernachtungen — ein neuer Rekordwert. Von Übertourismus sei die Mark aber noch weit entfernt, konstatiert Patrick Kastner von der Tourismus-Marketing Brandenburg.
"Die Tourismus-Akzeptanz in einigen Bundesländern und auch auf Bundesebene ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken", fasst der Kastner die Ergebnisse zusammen. Brandenburg weise im Vergleich aber die dritthöchste Akzeptanz auf.
Auch wenn es Missmut in einigen Gemeinden gibt: Von Übertourismus in der Mark will er aktuell nicht sprechen.
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Ich habe geschrieben: "Wenn Sie genau Zermatt kopieren wollen", das heißt nicht, daß Sie das gewollt hatten, es ist nur der Hinweis, wie noch zu einer Kopie gehören würde, wenn Sie es in Erwägung ziehen würden zu kopieren - das ist eine Möglichkeitsform der deutschen Grammatik.
Was ist den an Bad Saarow wunderschön? Bad Saarow ist inzwischen ein vernachlässigter Kurort, der das "Bad" schon lange nicht mehr verdient. Vermüllung, kaum Grünpflege, schiefe Hinweisschilder, defekte Straßenbeleuchtung, Lärm ohne Ende.....
Hab ich doch unter #52 schon beschrieben / Coolcation!
57.
Wir leben seit Jahrzehnten in Bad Saarow und dieser wunderschöne Kurort kommt bis heute ohne Ampel zurecht. Die beschriebene Verkehrssituation habe ich hier nur morgens um 7:00 Uhr erleben können, wenn im Krankenhaus der Schichtwechsel ansteht.
Ja, dieser ,,Trend'' wird zunehmen, der Klimawandel geht voran und wir ziehen alle in den kühleren Norden. Dann wirds auch dort Massentourismus geben. Oder die nennen uns dann Klimaflüchtlinge!
Was will ich kopieren, wo habe ich das denn geschrieben?
52.
Ja, ich hab von dem neuen Reisetrend Coolcation gehört: Urlaub nicht im sonnigen Süden, sondern im kühleren Norden machen! Bin auch dabei - der Klimawandel zwingz uns und das ist erst der zafghafte Anfang! Schönen Urlaub Heike!
51.
Ich steige ins Auto....fahre knapp 800 Kilometer sitze am Skagerak und bin "Euch" alle los:-)
Ich brauche mir über Trüffel Pommes und Kurtaxe keine Gedanken machen:-)
>"Also "richtige " Kartoffelklöße ,die gibt's wo anders, jedenfall auch im Osten von Deutschland."
Ja ja... die Thüringer wieder... Egal wer das Herkunftsrecht beansprucht: Lecker sind se immer zu herzhaften Fleisch- bzw. Bratgemüse-Gerichten, auch im Kartoffelland Brandenburg.
"Außerhalb von welcher Region meinen Sie denn,und wer finanziert das Alles?" Das Beispiel war auf überlaufene Touristenorte wie halt Bad Saarow gemünzt. Es müßte hal einen Parkplatz außerhalb der Stadt geben und von dort ÖPNV für die Touristen. Im Ort nur Verkehr von den Bewohnern und halt Lieferdienste, Post u.ä. Wenn Sie genau Zermatt kopieren wollen, dann dürfen auch nur E-Autos im Ort fahren - das ist schon lange dort so, schon vor dem E-Auto-Hype.
Es ging mir bei dem Beispiel Zermatt um solche Städte wie Bad Saarow, welches im Artikel erwähnt wird, und nicht um die Fläche. Es taugt nur für Orte, welche von Touristen überschwemmt werden. Es ist auch nur eine Anregung, man muß es nicht 100%ig genauso machen. Aber es scheint doch gar keiner über den Tellerrand hinausschauen zu wollen. Was gäbe es denn noch für Beispiele, von denen man mindestens Details lernen könnte?
Sowas und der Blick über den Tellerrand von Brandenburg, wie andere Regionen das Verkehrsproblem mit vielen Touristen lösen, vermisse ich aber gerade nun in der Tourismusstrategie von Brandenburg.
44.
Bad Saarow mit der Bahn, jedesmal wenn ich da hin wollte wurde auf dem RE1 gebaut. Umweg über Beeskow? Brandenburg wollte die Linie ja nicht und hat den Wiederaufbau durch Zubauen unmöglich gemacht. Es gibt immer zwei Seiten...
>"so viele Attraktionen hat Brandenburg nicht zu bieten wie die Region Zermatt"
Ja eben, nicht zu vergleichen. Zermatt ist nur Ski und von nem Felsen runterschauen. Das hat Brandenburg eh nicht. In Brandenburg verteilen sich die touristischen Anlaufpunkte übers ganze Bundesland. Wo soll ein zentraler großer Parkplatz denn hin, von dem aus die Bahnen im Minutentakt die Massen zu den gewünschten Zielen bringen? Ist doch irgendwie schwer vorstellbar. Ich sage mal so: In die Hotspots kommt man in Brandenburg so auch gut mit dem ÖPNV. Nur eben in die Fläche als Individualtourist an ruhige abgelegene Ort ist ohne Autochen das Traumziel schon sehr weit weg. Jeden Tourist bis zur einsamsten Milchkanne kann ÖPNV nicht leisten.
>"und dann regionale Küche so wir in der Bretagne oder Baskenland."
Jepp! Mal ne ordentliche Brandenburger Kohlroulade oder Rinderroulade, Niere mit Apfel-Zwiebelringen und Kartoffelbrei, gebratenen Blumenkohl, richtige Kartoffelklöße, gebratenes Zanderfilet mit Bratkartoffeln... das wär doch mal ein Träumchen. So typisch Brandenburger Küche gibts fast gar nicht mehr. Selbst in unserer Stadt hier gibts nur noch 2 Gaststätten, die zwei oder drei typisch regionale Gerichte auf der Karte haben. 2 von 51! Eins davon nur auf Vorbestellung, für den individuellen Tagestouristen bleibt damit nur eins übrig.
Es ist immer gut zu schauen, wie es andere hinbekommen haben. Ein wenig Zermatt in Brandenburg und dann regionale Küche so wir in der Bretagne oder Baskenland. Ich wünsche mir mehr Selbstbewusstsein in den Regionen und weniger Meckern und Ausgrenzen . Touristen sind auch arbeitende Menschen denen im Urlaub die Dienstleistungen/ Gastfreundlichkeit einfach guttut. Kann eigentlich nicht so schwer sein;-)