#Wiegehtesuns? | Spätes Lehramtsstudium - "Ich möchte ein Vorbild für junge Menschen mit Migrationshintergrund werden."

Mo 09.10.23 | 06:46 Uhr
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Bouba Jan Sambaké, 27 Jahre alt, DJ, Barkeeper und Lehramtsstudent aus Berlin. (Quelle: rbb)
Bild: rbb

Bouba Jan Sambaké hat sich mit 27 Jahren nach einem wilden Karriereweg entschieden, Lehramt zu studieren. Lehrkräfte fehlen in der Region. Sambaké sieht sich in der Pflicht und möchte ein Beispiel für junge Menschen mit Migrationsgeschichte werden. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Bouba Jan Sambaké ist 27 Jahre alt und von Beruf DJ und Barkeeper in Berlin. In der Hauptstadt ist er geboren und aufgewachsen. Nach einer langen Reise mit Höhen und Tiefen hat er sich nun entschieden, Lehrer zu werden – von denen die Region und ganz Deutschland ja so viele braucht.

An meinem Alter sieht man ja schon, dass ich nicht der typische "Ersti" bin, der direkt nach dem Abitur anfängt zu studieren. Das finde ich aber gar nicht so schlimm. Ehrlich gesagt sehe ich da nur Vorteile drin: Ich bin reifer als noch vor zehn Jahren, lebe allein in meiner eigenen Wohnung, habe sechs Jahre Berufserfahrung, finanziere mich selbst. Die typischen Fragen eines Erstsemestlers nach dem Abi stelle ich mir gar nicht – "Wo und wie suche ich mir eine WG?" oder "Wie bezahle ich das alles?" Und die meisten sind sich noch nicht sicher, ob sie diesen Weg auch final einschlagen wollen, was gerade im Lehramtsstudium ja enorm wichtig ist.

Ich hatte genügend Zeit, mir das genau zu überlegen, wobei ich in den vergangenen acht, neun Jahren hier und da auch ziemlich verloren war. Manchmal wusste ich überhaupt nicht, was ich mit meinem Leben anstellen wollte. 2015, nach meinem Abschluss, bin ich erstmal durch die Welt gereist – typisch für meine Generation. Da habe ich gelernt, wie man selbstständig klarkommt und auf eigenen Beinen steht. Danach habe ich ein Studium an der TU angefangen, aber auch nur, weil das alle gemacht haben zu der Zeit. So richtig gefühlt habe ich das nicht.

Es folgte der Abbruch und ein jahrelanges Überlegen. Freunde wollten mir helfen. Ich weiß noch, wie ich sie immer vollgeheult habe, dass ich ja noch nichts Karrieremäßiges mache, während alle so langsam ihren Platz in der beruflichen Welt gefunden hatten. Das bedeutet Druck von außen, in deinem eigenen Umfeld, für den die anderen überhaupt nichts können. Aber ich wusste einfach nicht, wohin mit mir.

Eine Matheaufgabe zu lösen, hat sich für mich immer wie ein Sieg angefühlt, wie wenn ich als Torwart im Handball den Sieg sichere.

Bouba Jan Sambaké, 27 Jahre alt, aus Berlin

Ich bin kein Typ, der irgendetwas macht. Es muss Spaß machen! Auflegen als DJ macht mir enorm viel Spaß. Die Energie und die Gefühle, die Musik in mir auslöst, anderen weiterzugeben, das Feuer in den Augen tanzender Menschen in Ektase zu sehen – und du bist dafür verantwortlich - ist etwas ganz Besonderes für mich. Das muss erstmal getoppt werden, habe ich mir gedacht – eigentlich ein wahnwitziger Gedanke – aber gut… Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich mehr Geld brauche, um meine Träume zu erfüllen und mein enormes Talent fürs Barkeepen entdeckt. Hart Ackern konnte ich schon immer, schnell unter Druck arbeiten auch. Und von Menschen umgeben zu sein, die Spaß haben und gute Stimmung verbreiten, kenne ich ja schon vom Auflegen.

Doch nun bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich eine neue Herausforderung brauche. Ich bin reifer geworden. Irgendwann gibt einem das Party- und DJ-Leben auch nicht mehr alles. Ich wusste schon lange, dass ich Lehrer werden will. Zu 100 Prozent sicher war ich mir aber nie. Mein Umfeld hatte mir immer wieder gespiegelt, dass sie mich in diesem Beruf sehen.

Manche waren enttäuscht, dass ich ihren Rat nicht befolge. Dabei liebte ich Mathe. Mein Opa hatte mir damals schon in der ersten Klasse Aufgaben aus der Dritten und Vierten gegeben. Zur Belohnung für eine 1 bekam ich immer zehn Euro. Und Rechenaufgaben machten mir einfach Spaß, ich sah sie immer als Challenge an, ähnlich wie im Handball – ich war früher Handballtorwart in der Schule. Eine Matheaufgabe zu lösen, hat sich für mich immer wie ein Sieg angefühlt, wie wenn ich durch das Halten von Bällen einen Sieg im Handball sichere.

Ich wurde nie dazu ermutigt, es wurde mir auch nie vorgelebt, als POC Lehrer zu werden, die waren ja alle deutsch und weiß.

Bouba Jan Sambaké, 27 Jahre alt, aus Berlin

Hinzu kam, dass ich als Schüler nie einen Lehrer mit Migrationshintergrund oder POC als Lehrer hatte (Anm. d. Red. POC=Person of Color). Ich als POC bin erst sehr spät auf den Gedanken gekommen, dass das ein Karriereweg für mich sein könnte. Ich wurde nie dazu ermutigt, es wurde mir auch nie vorgelebt, als POC Lehrer zu werden, die waren ja alle deutsch und weiß. Ich möchte deswegen den vielen jungen Menschen da draußen ein Vorbild werden, damit sie vielleicht selbst auf die Idee kommen, Lehrer zu werden.

Ich hatte in meinem Opa meine Bezugsperson, die mir unter vier Augen Rechenaufgaben erklärt hat. Das hat mir in der Schule gefehlt, weil gerade Mathe ein Fach ist, zu dem du einen Zugang brauchst. Das ist das Problem bei Mathe: Wenn Schüler keine Lust haben, machen sie zu und dann wird Mathe ein Hass-Fach.

Als Zweitfach wollte ich eigentlich Sport wählen. Da bin ich aber nicht reingekommen. Also habe ich Physik gewählt, weil sie mit der Mathematik verwandt ist. Ich werde schauen, ob mir Physik gefällt. Wenn nicht, werde ich wechseln. Also vielleicht bin ich doch zu einem kleinen Prozentanteil ein typischer Erstsemestler, der schaut, was auf ihn zukommt.

Gesprächsprotokoll: Lukas Kuite

17 Kommentare

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  1. 17.

    Selbst Sie sollten doch wissen, dass Jugendliche und Kinder unterschiedliche Gruppen darstellen, oder? Dann hätte sich Ihre provokante Frage nämlich erledigt. Davon ab werden Jugendliche in der Pubertät noch weniger Antrieb auf den Schulbesuch verspüren, wenn in den unteren Klassen die Grundlagen schon nicht ausreichend vermittelt wurden.

  2. 16.

    Mir gefällt was er da vor hat. Mir gefällt, wie er die Realität sieht und rangehen will. Ich wünsche ihm Durchhaltevermögen, Optimismus und immer ein gutes Feeling um junge Menschen zu erreichen.

  3. 15.

    "Kinder sind wissbegierig und wollen Neues lernen. Das ist vollkommen natürlich und intuitiv." -trifft das auch auf pubertierende Jugendliche zu?

  4. 14.

    Ich hoffe nur, der junge Mann hat gut nachgedacht, denn zwischen Sportplatz und Physikraum liegen Welten.
    Irgendwie erinnert mich seine Entscheidung an den Song "Banküberfall": " .... dann zahl' ich halt 'was ein."
    Vielen Lehrkräften hätte ein zwischenzeitlichen Tapetenwechsel gut getan. Zu wenige kennen die Welt außerhalb von Schule. Also, durchhalten, nie den Optimismus verlieren und viel Erfolg.

  5. 13.

    Wie verbittert muss man selber sein, sich so ein anmaßendes Urteil über jemanden herauszunehmen, den man gar nicht kennt. Gratulation.

  6. 12.

    Dass Kinder nur mit Zwang zur Schule gehen, ist aber ein Symptom für das eklatante Versagen der Bildungspolitik! Kinder sind wissbegierig und wollen Neues lernen. Das ist vollkommen natürlich und intuitiv. Wenn aber aufgrund der Umstände in der Klasse der Lernerfolg ausbleibt, dann ist Frust vorprogrammiert und mündet in einer Abwehrhaltung. Es braucht ohne Frage viele engagierte Lehrer, die diesen Wissenshunger wieder wecken. Es braucht aber vor allem auch wieder Zustände in den Schulen, die es den Lehrern überhaupt erst wieder ermöglichen, über die reine Mängelverwaltung hinaus einen interessanten Unterricht zu gestalten, an dem alle Schüler in der Klasse aktiv teilnehmen können (so denn die Stunde nicht mangels Vertretung gleich wieder mal ausfällt).

  7. 10.

    Viel Erfolg für ihn! Und Durchhaltevermögen, denn viele Schüler empfinden den täglichen Weg in die und die Zeit in der Schule beileibe nicht als Spaß, sondern Zwang. Und freiwillig kommen sie - anders als Partygänger - auch nicht, sondern wegen der Schulpflicht. Aber eines kann ich aus (ehrenamtlicher) Nachhilfe in Mathe spoilern: Die strahlenden Augen, wenn ein Kind endlich etwas verstanden und eine vielfach überfordernde Aufgabe richtig gelöst hat, die gibt es auch! Das bringt richtig viel Glück für die Lehrkraft.

  8. 9.

    Er ist ein Spätzünder, aber lieber spät als nie. Alles gute für den jungen Mann. Daumen hoch. Liebe Grüße

  9. 8.

    Und wenn er fertig studiert hat und ihm das Lehrerdasein nicht gefällt, dann kann er immer noch etwas anderes machen.

  10. 7.

    Das Trödeln kann so lebenswert sein. Ich mag diesen trödelnden jungen Mann, er lebt sein Leben und rast nicht hindurch. Ihn scheint die Besoldung nicht zu treiben, sondern eher die intrinsische Motivation, beste Voraussetzungen, den jungen Menschen den Sinn des Lebens nicht nur mit Leistung und Materialismus erklären zu können. Authentizität macht ihn angreifbar, aber auch sehr sympathisch. Spricht für einen starken Charakter. Viel Glück wünsche ich diesem jungen Mann auf seinem Weg.

  11. 6.

    Die neun Jahre waren nicht vertrödelt. Er hat Lebens- und Berufserfahrung gesammelt, finanziert sich und sein Studium selbst. Vom Leistungskurs ins Lehramt ist auch oft nicht das Optimale, denjenigen fehlt tatsächlich ein anderer Blick auf die Welt über Schule hinaus (gilt natürlich nicht für alle). Wenn er seinen Weg jetzt geht, wird ihm die Barkeepererfahrung ( reden und zuhören im Lärm gleichzeitig sowie parallel noch 3 verschiedene Tätigkeiten ausführen ) eher hilfreich sein. Wer das kann, besteht auch in der 9b als Mathelehrer. Viel Erfolg!

  12. 5.

    Junger Mann, wenn Sie nicht 9 Jahre herumgetrödelt hätten, könnten Sie schon seit 2 Jahren mit A13-Besoldung vor der 7b stehen und Physik unterrichten. Auf gehts!

  13. 4.

    Das klingt nach einer Erfolgsgeschichte, die vermutlich auch viele Schülerkarrieren bereichern wird. Alles Gute für Ihren Weg!

  14. 3.

    Schüler brauchen fähige Lehrer und nicht Menschen, die an ihnen ihre Biografie aufarbeiten wollen. So mancher DJ sollte lieber weiter Musik machen. Nur weil alle anderen mit der Herde laufen, muss das für einen selber ja nicht auch der richtige Weg sein.

  15. 2.

    O.K., es wäre gut, wenn der RBB nach dem erfolgreichen Abschluß des Hochschulstudiums wieder einen Bericht über diesen Herren bringen würde. Mal sehen, wie es ihm dann geht

  16. 1.

    Lehrer ist ein wunderbarer Beruf, viel Glück und alles Gute!

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