Initiative des Erzbistums Berlin - Trost auf Knopfdruck auf dem Friedhof Hohenschönhausen

Verlust, Weltschmerz oder einfach so: Wer auf dem Friedhof in Hohenschönhausen Trost braucht, bekommt ihn gegen zwei Euro aus dem "Kiosk der Kostbarkeiten". Das läuft so gut, dass das Erzbistum Berlin schon über weitere Automaten nachdenkt.
rbb|24: Hallo Frau Böhnstedt, hallo Herr Henke. Sie haben im Januar einen "Kiosk der Kostbarkeiten" – einen Automaten mit Boxen mit tröstlichem Inhalt – auf dem katholischen Friedhof in Hohenschönhausen aufgestellt. Was gibt es da?
Carla Böhnstedt: Der Kiosk der Kostbarkeiten enthält fünf verschiedene "Schatzkästchen". Diese wiederum enthalten Dinge, von denen wir hoffen, dass sie Menschen, die in einer Trauersituation sind oder Menschen, die andere in einer Trauersituation begleiten, helfen und ihnen guttun.
Die fünf Boxen behandeln verschiedene Themen, weil wir uns verschiedenen Facetten von Trauer widmen wollten. Die Box heißen Trostgold, Sternstunden, Weggefährten, Lichtblick und Bauchgefühle. Bei den Inhalten der Boxen war es uns wichtig, dass sie lebenspraktisch und alltagstauglich sind. Sie also nichts enthalten, was herumsteht, sondern Dinge, von denen wir hoffen, dass die Menschen sie in ihrem Alltag benutzen können und sie dadurch das Gefühl haben, etwas zu haben, was ihnen Kraft und Halt gibt.
Was wäre das zum Beispiel?
Carla Böhnstedt: In der Bauchgefühle-Box sind sechs "Seed Balls" enthalten, die man in die Erde bringen kann. Zudem ist ein Knautschball drin. Denn im Gespräch mit Trauerbegleitern hören wir ganz oft, dass Trauer sehr viel mit Wut, Aggression und Verzweiflung zu tun hat. Diesen Gefühlen wollen wir Raum geben.
In der Trostgold-Box haben wir umgesetzt, was wir auch selbst wissen; nämlich, dass es kaum schöne Karten gibt, die man Trauernden zuschicken kann – oder die einem selbst Mut machen. Also haben wir für diese Box mit einer Grafikdesignerin ein eigenes Set von Trauer- und Trostkarten entwickelt.
Das ist ja eine ganz neue Idee – dass die Menschen sich ihren Trost aus einem Automaten der Kirche ziehen.
Gregor Henke: Ja, und ich finde dabei spannend, dass bei dem ganzen Projekt die Irritation nicht erst dann losgeht, wenn jemand eine Box öffnet. Sondern sie geht schon dann los, wenn der- oder diejenige einen Automaten auf dem Friedhof vorfindet. Unser Ansatz war, dass wir überlegt haben, was wir Menschen – möglichst niederschwellig - geben können, die sich in Trauer befinden und die damit tief in Gedanken und ihren eigenen Abläufen sind. Wir wollen eine positive Irritation setzen und ein Angebot für sie schaffen, das es ihnen ermöglicht, selbst zu entscheiden, zuzugreifen ohne dass eine peinliche Situation erzeugt wird.
Im Moment gibt es ja nur diesen einen Automaten auf einem Friedhof in Berlin-Hohenschönhausen. Warum ausgerechnet dort?
Carla Böhnstedt: Das ist sozusagen unser Prototyp, mit dem wir unsere allerersten Experimente machen. Wir spielen jetzt aber schon mit dem Gedanken, solche Automaten auf weiteren Friedhöfen oder auch in anderen Lebensbereichen aufzustellen.
Bei der Wahl des Standortes in Hohenschönhausen war es für uns wichtig, das Projekt nicht nur am grünen Tisch zu planen, sondern von Anfang an nach Kooperationspartnern zu schauen. Sowohl, was die Entwicklung der einzelnen Boxen betraf als – da haben wir mit Trauerbegleitern zusammengearbeitet – als auch in der Umsetzung. Da haben wir überlegt, mit wem wir uns zusammentun wollen. Und in Hohenschönhausen ist ein Kollege von uns als Sozialarbeiter im Einsatz, der auf dem Friedhof dort das "Friedhofsplauschen" macht. Sein Team bietet dort einmal in der Woche Gespräche, Kontakt und Begegnung an. Mit ihnen haben wir zusammengearbeitet.
Denn bei einem Automaten könnte ja auch schnell der Eindruck entstehen, dass die Kirche es nicht einmal mehr für nötig befindet, selbst für Gespräche und Kontakt zur Verfügung zu stehen. Der persönliche Kontakt ist für uns aber natürlich unersetzlich und unerlässlich.
Wie reagieren die Friedhofsbesucher bislang auf den Automaten?
Gregor Henke: Das Spannende ist ja, dass wir das nicht wirklich wissen. Aber wir können sagen, dass wir überrascht sind, über die Anzahl der Boxen, die bisher entnommen wurden. Die Nachfrage ist so groß, dass wir schon längst in die Nachproduktion gehen mussten. Damit hatten wir gar nicht gerechnet.
Über Umwege, weil sich Menschen bei uns per Mail zu dem Automaten gemeldet haben, wissen wir doch ein bisschen was darüber, wie die Boxen ankommen. Einige schrieben uns, dass sie gar nicht aus dem kirchlichen Umfeld kämen, sich aber bedanken wollten, weil Inhalte sie berührt und bewegt haben.
Carla Böhnstedt: Faszinierend ist auch, dass Menschen reagiert haben, die gar nicht aus Berlin, sondern aus dem gesamten Bundesgebiet kommen. Eine Mail hat uns sogar aus Großbritannien erreicht.
Wenn wir den Automaten befüllen kommt es zudem zu vielen Zufallsbegegnungen. Dabei sprach mich kürzlich eine Frau an, die mit ihrer Tochter da war. Sie erzählten mir, dass sie auf die Boxen, von denen sie total begeistert waren, aufmerksam wurden, weil sich in der Tram andere Frauen über den Automaten unterhalten haben. Daraufhin seien sie losgezogen, hätten den Kiosk der Kostbarkeiten gesucht und gefunden.
Ein anderer Kollege von uns wurde beim Einkaufen von einem Mann erkannt und angesprochen. Der Mann zeigte ihm den Chip in seinem Einkaufswagen – das war der, den er aus der Weggefährten-Box hatte. Dort ist unter anderem ein kleiner Engels-Anhänger mit Einkaufschip drin.
Sind die Boxen Ihrerseits denn in allererster Linie für Menschen gedacht, die um einen anderen Menschen trauern oder sind sie auch für all jene, die im Moment vielleicht an der Welt verzweifeln?
Gregor Henke: Es geht uns generell um das Thema Trost und Trauer. Das war auch die Herausforderung in der Planung des Projekts. Zumal wir nicht wissen, wer mit welcher Geschichte so eine Box zu welchem Zeitpunkt öffnet.
Carla Böhnstedt: Die Trostgold-Box soll Trost spenden. Bei der Sternstunden-Box geht es um das Thema Erinnerungen – und darum, dankbar zurück und mit Kraft in die Zukunft zu schauen. Bei der Bauchgefühle-Box geht es um Wut und Mut – beides sind Facetten von Trauer. Bei der Lichtblick-Box geht es um das Gefühl, aus einem dunklen Tunnel heraus ein Licht zu finden. Bei der Weggefährten-Box geht es darum, dass man sich beim Trauern alleine fühlt – es aber Weggefährten gibt, die einem die Hand halten.
Unser Fokus liegt dabei stark auf trauernden Menschen. Aber wir spüren dass das Emotionen sind, die kompatibel und anschlussfähig sind für Menschen, die gar nicht in einer konkreten Trauersituation sind. Sondern auch für Menschen, die Weltschmerz haben, an der Gesellschaft verzweifeln – oder die einfach mal für sich etwas Gutes brauchen.

Sie haben schon erwähnt, dass sie erwägen, mehr Automaten aufzustellen und das auch an anderen Orten. Geht es da vor allem um weitere Friedhöfe oder auch um weltliche Orte?
Gergor Henke: Ich würde es interessant finden, zu überlegen, was die Themen an anderen Orten wären. Also wie beispielsweise ein Freude-Automat aussehen müsste. Sei es in einem Berliner Club oder bei einer Kulturveranstaltung oder mitten in der Stadt in einer Einkaufsstraße. Eine konkrete Anfrage haben wir schon, in einem Krankenhaus – also da wo Menschen dort warten und sich eventuell auch sorgen – einen Automaten aufzustellen.
Carla Böhnstedt: Wir werden jetzt erst einmal mit dem einen Automaten Erfahrungen machen und dann schauen, ob und wie wir ihn auf weitere Friedhöfe, Krankenhäuser, Clubs oder Fitness-Studios bringen können. Es stellt sich die Frage, was wir Menschen in verschiedenen Kontexten mitgeben können. Also was wir ihnen in dieser Situation Gutes tun können, ohne als Kirche moralisch den Zeigefinger erheben oder ein konkretes Gesprächsangebot machen.
Ist das auch der Versuch, als Kirche mit derartigen – wie sie auch sagen irritierenden – Angeboten Menschen zu erreichen, die sich eigentlich von der Kirche abgewandt haben?
Carla Böhnstedt: Darum geht es grundsätzlich bei unseren Citypastoralen Angeboten. Mit ihnen haben wir als primäre Zielgruppe immer Menschen im Blick, die mit Kirche, Gott und Glauben gar nichts zu tun haben. Wir sind ja nun mal in Berlin – da ist das unser normaler Kontext.
Mir ist aufgefallen, wie irritierend wir als kirchliche Akteure schon wirken, wenn wir beispielsweise mit einer Automatenfirma zusammenarbeiten. Da lösen wir schon eine allererste Irritation aus, wenn wir sagen, dass wir mit dem Automaten nichts verdienen wollen und dürfen.
Wobei die Trostboxen nicht wirklich kostenlos sind.
Gregor Henke: Stimmt. Weil ein Automat nur funktioniert, wenn man was reinsteckt, muss man zwei Euro einwerfen. Die gehen aber als Spende an einen Hospiz-Verein.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24