Interview | Beratungsstelle für Betroffene und Angehörige - Wenn Kaufen zur Sucht wird und wie man sich helfen lassen kann

So 23.03.25 | 08:01 Uhr
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Symbolbild: Paketbote bringt mehrere Pakete.(Quelle:imago images/STPP)
Bild: imago images/STPP

Ein Oberteil hier, ein Computerspiel dort - was wie harmloses Shoppen aussieht, kann zur Sucht werden. Was eine Kaufsucht ist und wie man sie behandeln kann, erklärt Gordon Emons, Leiter des Zentrums für Verhaltenssucht der Caritas in Berlin.

rbb|24: Herr Emons, der Begriff "Kaufsucht" wird oft umgangssprachlich verwendet. Nach einer großen Shoppingtour sagen manche: "Ich bin echt kaufsüchtig." Was bedeutet es aber wirklich, kaufsüchtig zu sein?

Gordon Emons: Eine Kaufsucht lässt sich durch verschiedene Kriterien definieren. Ein Anzeichen ist beispielsweise, wenn Personen das Kaufen nutzen, um ihre Emotionen zu regulieren und negative Gefühle zu verdrängen. Natürlich kaufen auch Menschen, die nicht kaufsüchtig sind, hin und wieder etwas, um Stress im Job zu vergessen. Kaufsüchtige sehen aber den Akt des Kaufens irgendwann als die einzige Möglichkeit, ihre Gefühle zu regulieren.

Ein weiteres Anzeichen ist, dass Betroffene keine Kontrolle mehr über ihr Kaufverhalten haben. Sie wissen zwar genau, dass sie eigentlich kein Geld haben, verspüren aber trotzdem ein starkes Verlangen, etwas kaufen zu müssen.

 

Wie zeichnet sich generell eine Sucht aus? Was passiert dabei im Gehirn?

Generell reagiert unser Gehirn stark auf Belohnungsreize. Das heißt, das Gehirn merkt sich, wenn eine Handlung ein positives Gefühl erzeugt. Bei Kaufsüchtigen hat sich das Gehirn abgespeichert, dass das Kaufen ein angenehmes Gefühl vermittelt. Sobald Kaufsüchtige negative Emotionen verspüren, greift das Gehirn also immer wieder auf das Suchtverhalten zurück. Irgendwann sind Betroffene in dieser Spirale gefangen. Dabei wird der positive Effekt des Kaufens jedoch immer kleiner und die Probleme, die aufgrund des Suchtverhaltens entstehen, wachsen. Betroffene häufen Schulden an.

Kann man eine Kaufsucht mit einer Alkohol- oder Drogensucht vergleichen?

Ja, das lässt sich vergleichen. Ein großer Unterschied ist aber, dass Betroffene bei einer Alkohol- oder Drogensucht ihrem Körper Substanzen zuführen, die darüber hinaus bestimmte biochemische Prozesse in Gang setzen. Bei der Kaufsucht, einer sogenannten Verhaltenssucht, ist der Körper "nur" süchtig nach einem bestimmten Verhalten. Aber die Prozesse im Gehirn ähneln sich bei beiden Süchten.

Gordon Emons.(Quelle:privat)
privat

Gordon Emons hilft als Sozialarbeiter seit Jahren Betroffenen, Auswege aus der Kaufsucht zu finden. Er leitet das Zentrum für Verhaltenssucht der Berliner Caritas. Hier können auch Betroffene von von Glücksspielsucht, Computerspiel- und Internetsucht und Pronografiesucht Hilfe finden. Unterstützt wird das Zentrum von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

Sie arbeiten im Zentrum für Verhaltenssucht. Kommen viele Menschen mit Kaufsucht zu Ihnen?

Im letzten Jahr haben sich mehr als 150 Betroffene und Angehörige wegen Kaufsucht beraten lassen. Im Vergleich zu den Vorjahren steigen die Anfragen bei uns. Das liegt zum einen daran, dass die Sensibilisierung für dieses Thema zunimmt. Laut Literatur sind etwa fünf Prozent der Deutschen kaufsüchtig. Zum anderen wird durch das Internet und Online-Shopping das Risiko immer größer, eine Kaufsucht zu entwickeln. Es ist möglich, zu jeder Uhrzeit etwas zu bestellen. Man bekommt ständig neue Artikel angeboten.

Wer kommt zu Ihnen in die Beratungsstelle?

In den letzten Jahren sind etwa 75 Prozent Frauen und 25 Prozent Männer in die Beratung gekommen, die unter Kaufsucht leiden. Die Betroffenen, die zu uns kommen, kämpfen in der Regel seit 10 bis 14 Jahren mit exzessivem Kaufverhalten, bevor sie den Kontakt zu uns aufnehmen. Viele haben auch Schulden. Es kann sein, dass sie die Miete nicht mehr bezahlen können, ihnen dadurch ein Wohnungsverlust droht. Schulden und finanzieller Druck sind häufig ausschlaggebend, um eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Manchmal üben aber auch Angehörige Druck aus, in die Beratung zu gehen.

Wie läuft eine Beratung ab?

Die Betroffenen können bei uns einen Termin vereinbaren. Das Angebot ist kostenlos. Sie haben die Möglichkeit, bis zu sechs Einzelberatungsgespräche in Anspruch zu nehmen und an einer Gesprächsgruppe für Kaufsüchtige teilzunehmen. Ziel der Beratung ist es, dass die Betroffenen ihr Kaufverhalten verändern. In der Beratung überlegen wir, welche Sicherungsmaßnahmen es braucht, um das exzessive Kaufverhalten zu beenden oder einzuschränken. Beispielsweise könnten die Zugänge zu den Bankkonten oder zu PayPal gesperrt werden oder die Betroffenen verwalten ihre Passwörter nicht mehr selbst. Dieser technische Schutz ist am Anfang sehr wichtig, denn der Impuls zu kaufen bleibt oft auch dann bestehen, wenn die Betroffenen ihr Verhalten ändern wollen.

Was sind die nächsten Schritte?

Anschließend überlegen wir, wie man gegebenenfalls die Angehörigen mit ins Boot holen kann. Wir versuchen herauszufinden, welche Ursachen die Kaufsucht haben könnte. Manchmal empfehlen wir auch eine Psychotherapie. Wenn beispielsweise deutlich wird, dass ein depressives Verhalten ein Auslöser für das Kaufverhalten sein könnte. Am Ende sind Kaufsüchtige ungefähr vier bis fünf Monate bei uns in der Beratung.

Welche Ursachen kann eine Kaufsucht haben?

Das ist unterschiedlich. Unzufriedenheit im Job, Beziehungsprobleme, depressive Tendenzen, Angsterkrankungen. Wenn es einer Person nicht gut geht, ist das Risiko viel größer, eine Sucht zu entwickeln.

Lange wurde unter Expertinnen und Experten diskutiert, ob Kaufsucht eine eigenständige Sucht ist. Jetzt wurde Kaufsucht als Verhaltenssucht in die Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme aufgenommen. Ein guter Schritt?

Das ist auf jeden Fall ein wichtiger und hilfreicher Schritt, sowohl für die Beratung, als auch für die Prävention und Frühintervention.

Was kann ich als Freund oder Bekannte einer Person mit ungesundem Kaufverhalten tun, um zu helfen?

Das Thema ansprechen. Wenig hilfreich sind Zuschreibungen, wie "Du bist doch kaufsüchtig!" Besser sind Formulierungen, wie "Ich mache mir über dein Kaufverhalten Sorgen. Ich habe das Gefühl, dass du das nicht im Griff hast". Geld leihen und Schulden übernehmen hilft aus meiner Erfahrung meist nicht und verlängert nur den Prozess. Denn das Kaufverhalten wird in der Regel dadurch nicht durchbrochen, auch wenn die Betroffenen das hoch und heilig versprechen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Gordon Emons führte Marie Steffens.

Sendung: Deep Doku vom rbb, 22.03.2025, 16:05 Uhr

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2 Kommentare

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  1. 2.

    Auch Religion kann süchtig machen.

  2. 1.

    Nahezu alles kann süchtig machen. Auch downloaden von Pornos z.B.