Berliner SPD entscheidet über Regierungsbeteiligung - Gute Koalition, schlechte Koalition
Franziska Giffey und Raed Saleh müssen bis zur letzten Minute um die Koalition mit der CDU kämpfen. Doch der Widerstand in der SPD ist groß - auch bei der letzten großen Diskussionsrunde vor dem Ende des Mitgliederentscheid. Von Jan Menzel
Praktischerweise liegt das Weddinger Prime Time Theater direkt neben der SPD-Parteizentrale in der Müllerstraße. Dort wo sonst die über die Stadt hinaus bekannte Sitcom "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" spielt, treffen sich am Dienstag rund 200 Genossen, um über den Koalitionsvertrag und das Bündnis mit der CDU zu diskutieren. Schon beim Hereingehen zeigt sich: Die Standpunkte liegen ziemlich weit auseinander.
"Ich werde dagegen stimmen, weil ich es nicht mit mir vereinbaren kann, dass die SPD in eine Koalition mit einer rassistischen CDU geht. Das war schon mit dem Koalitionsvertrag klar, aber jetzt mit den Personalien, mit Falko Liecke zum Beispiel, das geht gar nicht", sagt Sarah Hegazy. Sie ist beim Parteinachwuchs Jusos aktiv und stört sich besonders daran, dass der Neuköllner CDU-Stadtrat Liecke als Staatssekretär in einem schwarz-roten Senat gehandelt wird.
Ganz anders sieht das Astrid Hollmann aus Mitte, wie sie sagt. Hollmann kandidierte bei der Wahl für das Abgeordnetenhaus, verpasste den Einzug ins Parlament aber: "Der Koalitionsvertrag ist einfach so voll mit sozialdemokratischer Politik, dass man mit vernünftigem Blick gar nicht dagegen stimmen kann", sagt sie. Hollmanns klare Empfehlung lautet daher: "Emotion runter, Verstand an und Ja gesagt."
Giffey: Soziale Politik nur aus der Regierung heraus möglich
Insgesamt sechs Mal schon haben sich die obersten Verhandler der SPD in Mitgliederforen digital oder in Präsenz der Basis gestellt. Zustimmung und Ablehnung zur Zusammenarbeit mit der CDU haben sich dabei wohl mehr oder weniger die Waage gehalten, berichten Teilnehmer. Journalisten sind zu den parteiinternen Veranstaltungen nicht zugelassen. Auch nicht im Prime Time Theater, wo es an diesem Abend deutlich ernster zugeht als sonst. Statt "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" wäre "Gute Koalition, schlechte Koalition" der passendere Titel.
Für Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Landesvorsitzende, ist dieses Forum die letzte Chance, um auf größerer Bühne für die Koalition zu werben. Ihr zentrales Argument ist, dass gute und soziale Politik nur aus der Regierung heraus möglich sei. "Ich möchte nicht, dass wir in der Opposition zuschauen, wie Schwarz-Grün regiert. Ich möchte, dass die Sozialdemokratie eine starke, politische Kraft in dieser Stadt bleibt", sagt sie, lächelt und verschwindet im Saal.
Riss quer durch alle Altersgruppen und Parteiorganisationen
Die Vorsitzende der Jusos, Sinem Tasan-Funke, widerspricht Giffey an dieser Stelle deutlich: "Ich glaube nicht, dass das die Wahl ist, vor der die Mitglieder stehen." Wenn die Basis am Ende dem Bündnis mit der CDU eine Absage erteile, dann gebe es mehrere Möglichkeiten, zeigt sich Tasan-Funke überzeugt: "Man kann mit den bisherigen Koalitionspartnern weitersprechen oder man sagt, dass ist nicht erfolgversprechend und geht in die Opposition. Das sind zwei Varianten, die dann noch übrig sind."
Die Berliner Jusos sind auch auf diesem Mitgliederforum gut vertreten. Sie haben die "NoGroko"-Kampagne in der SPD maßgeblich mit angeschoben. Es ist aber keinesfalls so, dass in die Koalitionsfrage Ältere gegen Jüngere in der SPD stehen. Der Riss geht quer durch alle Altersgruppen und Parteiorganisationen. Iris Hube ist bei den Jusos aktiv, hat aber für Schwarz-Rot gestimmt, "weil ich aus meinem Außenbezirk Reinickendorf viele Stimmen gehört habe, die sich durch eine rot-grün-rote Koalition nicht vertreten fühlen", wie sie sagt. Schwarz-Rot sei daher den Versuch wert.
Ebenfalls aus Reinickendorf ist Rolf-Martin Schwandt ins Prime Time Theater gekommen. "Versetzen Sie sich mal in meine Lage", sagte er macht dabei den Eindruck, als ob er nicht recht wisse, ob er schmunzeln oder verzweifelt gucken soll. "Einerseits möchte man natürlich nicht, dass die Partei untergeht, wenn diese Koalitionsvereinbarung abgelehnt wird. Auf der anderen Seite sehe ich nicht, wie meine Themen, beispielsweise mehr Fahrradverkehr in den Außenbezirken umgesetzt werden können. Da steht ein bisschen wenig drin im Koalitionsvertrag", sagt Schwandt.
Knappes Ergebnis erwartet
Es geht beim anstehenden Mitgliederentscheid aber längst nicht mehr nur um einen Koalitionsvertrag, seine Kapitel, eine vermeintlich sozialdemokratische Handschrift oder Kröten, die man habe schlucken müssen. Es geht auch um die Zukunft der beiden Landesvorsitzenden Raed Saleh und insbesondere Franziska Giffey - auch wenn das so deutlich niemand auf dem Fußweg vor dem Prime Time Theater sagt.
Stimmt die Mehrheit der Mitglieder im Forum gegen die Koalition, ist kaum vorstellbar, dass Franziska Giffey dauerhaft an der Parteispitze der Berliner SPD bleibt. Aber auch alte Hasen in der Partei, die in der Vergangenheit meist richtig lagen, tun sich nun mit Prognosen schwer. Viele Ortsvereine, Kreisverbände und Arbeitsgemeinschaften haben für die Koalition mit der CDU votiert. Mutmaßlich genauso viele dagegen. Und da, wo es Beschlüsse gab, fielen diese meist nur mit wenigen Stimmen Unterschied in die eine oder andere Richtung aus. Auch vor dem Prime Time Theater rechnen die meisten im Gespräch mit einem knappen Ergebnis beim Mitgliederentscheid. Am Sonntag wird ausgezählt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.04.2023, 19:30 Uhr