SPD-Fraktionsklausur in Leipzig - Geld, Geschlossenheit und das große Ganze
Sparen ohne sozialen Kahlschlag und klare Kante gegen Rechtsextreme. Die Berliner SPD-Fraktion hat sich auf ihrer Klausur große Themen und große Geschlossenheit vorgenommen. Nicht auf der Tagesordnung, aber ein Thema: Wer wird die Partei künftig führen? Von Jan Menzel
Als gute Gastgeber haben die Sozialdemokraten ihre traditionelle Klausurtagung im Januar sorgsam vorbereitet. Wenn Finanzsenator Stefan Evers sich an diesem Freitag auf den Weg nach Leipzig macht, um zu den Genossen zu sprechen, ist für die passende Reiselektüre schon gesorgt. Der SPD-Kreisvorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand, und der Abgeordnete Matthias Kollatz, sozialdemokratischer Finanzsenator bis 2021, haben rechtzeitig eine Erklärung verfasst.
Mut und Klarheit in der Haushaltspolitik fordern sie darin. Und dass es trotz klammer Kassen keinen sozialen Kahlschlag geben dürfe. Gleichzeitig müsse aber auch Schluss sein damit, Geld auszugeben, als gäbe es kein morgen. CDU-Politiker Evers darf das durchaus als Kritik an seiner Politik verstehen. Aber nicht nur er.
Kräftiger Gegenwind für den Finanzsenator
Seit der Finanzsenator mit seinem Haushalts-Rundschreiben zum Jahresanfang von allen Senatsverwaltungen Einsparungen von pauschal 5,9 Prozent einforderte, bläst ihm der Wind kräftig ins Gesicht. Ziel der Kürzungen ist es, das 1,75 Milliarden-Euro-Loch im Haushalt zu schließen. Wobei schon die beiden SPD-Senatorinnen Iris Spranger und Ina Czyborra die Stoppkelle gehoben und sich den Sparvorgaben widersetzt haben. Im Bezirk Mitte sind seit Wochen Träger von Jugendeinrichtungen in Aufruhr. Fast hundert Einrichtungen sind von der Schließung bedroht, weil Geld fehlt.
Mehr "Luft" mit Darlehensfonds?
Kollatz und Niroomand sorgen mit ihrer Erklärung nun dafür, dass der Haushaltsstreit in der Koalition auf die große Bühne der Fraktionsklausur kommt. Beide machen deutlich, dass sie sich Kürzungen im Sozialbereich, bei Krankenhäusern, im wichtigen Forschungsbereich und bei der Bildung nicht vorstellen können. Gleichzeitig wollen sie aber den Haushalt entlasten, indem Kosten für Investitionen ausgelagert werden. Dafür schlagen sie einen Darlehensfonds vor, also einen neuen Finanzierungstopf neben dem Haushalt.
Die Idee und die Hoffnung der beiden SPD-Politiker: Mit dem Geld könnten Unternehmen beispielsweise in Projekte und Maßnahmen für Klimaschutz und Digitalisierung investieren. Die Darlehen müssten später zurückgezahlt werden. Geht die Rechnung auf, gäbe es im regulären Etat mehr "Luft" eben für das Soziale. Neue Schulden müssten nicht gemacht werden.
Warmlaufen für SPD-Landesvorsitz
So ur-sozialdemokratisch der Vorschlag auch daherkommt und so gut er zeitlich passt: Die auf Harmonie und größtmögliche Geschlossenheit angelegte Klausurtagungs-Choreographie wirft er doch durcheinander. Das liegt insbesondere am Co-Autor der Erklärung, dem SPD-Kreisvorsitzenden in Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand. Er tritt im Doppelpack mit dem ehemaligen Finanzsenator Matthias Kollatz erstmals prominent mit einem zentralen politischen Vorstoß in Erscheinung.
Dazu muss man wissen, dass Niroomand sich derzeit warmläuft als Kandidat für den SPD-Landesvorsitz. Damit wird er quasi zum Gegenspieler von SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh. Der hat nach dem von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey angekündigten Rückzug aus der Parteispitze zunächst offen gelassen, ob er als Landesvorsitzender wieder antritt.
Erstarken der AfD
Wenn Niroomand und Kollatz nun also auflisten, wo Mut, Klarheit und ein seriöser Kurs in der Haushaltspolitik der schwarz-roten Koalition fehlen, geht die Kritik auch an die Adresse von Saleh. Auf fruchtbaren Boden stoßen die finanzpolitischen Vorschläge allemal schon. "Der Ansatz des Darlehensfonds ist goldrichtig", sagte etwa der Tempelhofer Abgeordnete Lars Rauchfuß.
Doch über den kontroversen Personalfragen und einer strittigen Ausrichtung der Haushaltspolitik schwebt noch etwas, was ein Abgeordneter als das "große Ganze" bezeichnet. Das Erstarken der AfD in vielen Umfragen, die Enthüllungen über rechtsextreme Geheimtreffen und Deportationsfantasien haben auch in der Berliner SPD ihre Wirkung. Das sei alles "unfassbar", sagt Jörg Stroedter. Der Reinickendorfer ist seit fast 20 Jahren im Parlament und hat so Einiges und Einige kommen und gehen sehen.
Umgang mit der neu gegründeten BSW
Ähnlich wie die Ampel-Koalition im Bund sieht er auch die Berliner Koalition vor der Frage, wie sie weiter mit der AfD und ihren Jugendverbänden umzugehen soll. Stroedter ist an dieser Stelle skeptisch, was ein Verbot betrifft. Sein Rat: "Wir müssen uns stärker inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen."
Mit Sorge blickt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende auch auf die von Sahra Wagenknecht neu gegründete Partei BSW. Diese würde mit ihrer restriktiven Migrationspolitik Politikansätze aufgreifen, wie sie die dänischen Sozialdemokraten hätten. Das BSW, fürchtet Stroedter, könnte nicht nur Stimmen von der AfD abziehen. Die Wagenknecht-Partei dürfte auch der politischen Mitte schaden und die SPD unter Druck setzen. "Das wäre keine gute Entwicklung", warnt Stroedter und rät: "Wir brauchen eine überzeugende Politik – auch bei der Zuwanderung."
Viele Entscheidungen stehen an
Darüber, wie der Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt werden kann, wird die SPD-Fraktion am zweiten Klausurtag schwerpunktmäßig beraten. Zur anspruchsvollen Frage, wie die oft als schweigend beschriebene Mitte der Gesellschaft mobilisiert werden könnte, um sich aktiv gegen Rechtsextremismus einzubringen, wird die Soziologie-Professorin Céline Teney einen Vortrag halten.
Außerdem stehen Entscheidungen an, wann und mit welchen Mitgliedern die gemeinsam mit der CDU angekündigte Parlaments-Enquetekommission für gesellschaftlichen Zusammenhalt, gegen Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit und Diskriminierung ihre Arbeit aufnimmt. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist zudem ein Demokratiefördergesetz vereinbart worden. Damit soll die Präventions-Arbeit im Bereich der Politischen Bildung auf eine solidere finanzielle Basis gestellt werden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.04.2024, 07:55 Uhr