SPD-Fraktionsklausur in Leipzig - Geld, Geschlossenheit und das große Ganze

Fr 26.01.24 | 06:29 Uhr | Von Jan Menzel
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Symbolbild: SPD-Fahnen wehen beim Bundesparteitag der SPD. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Audio: rbb24 Inforadio | 26.01.2024 | Jan Menzel, Dietmar Ringel | Bild: dpa/Kay Nietfeld

Sparen ohne sozialen Kahlschlag und klare Kante gegen Rechtsextreme. Die Berliner SPD-Fraktion hat sich auf ihrer Klausur große Themen und große Geschlossenheit vorgenommen. Nicht auf der Tagesordnung, aber ein Thema: Wer wird die Partei künftig führen? Von Jan Menzel

Als gute Gastgeber haben die Sozialdemokraten ihre traditionelle Klausurtagung im Januar sorgsam vorbereitet. Wenn Finanzsenator Stefan Evers sich an diesem Freitag auf den Weg nach Leipzig macht, um zu den Genossen zu sprechen, ist für die passende Reiselektüre schon gesorgt. Der SPD-Kreisvorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand, und der Abgeordnete Matthias Kollatz, sozialdemokratischer Finanzsenator bis 2021, haben rechtzeitig eine Erklärung verfasst.

Mut und Klarheit in der Haushaltspolitik fordern sie darin. Und dass es trotz klammer Kassen keinen sozialen Kahlschlag geben dürfe. Gleichzeitig müsse aber auch Schluss sein damit, Geld auszugeben, als gäbe es kein morgen. CDU-Politiker Evers darf das durchaus als Kritik an seiner Politik verstehen. Aber nicht nur er.

Kräftiger Gegenwind für den Finanzsenator

Seit der Finanzsenator mit seinem Haushalts-Rundschreiben zum Jahresanfang von allen Senatsverwaltungen Einsparungen von pauschal 5,9 Prozent einforderte, bläst ihm der Wind kräftig ins Gesicht. Ziel der Kürzungen ist es, das 1,75 Milliarden-Euro-Loch im Haushalt zu schließen. Wobei schon die beiden SPD-Senatorinnen Iris Spranger und Ina Czyborra die Stoppkelle gehoben und sich den Sparvorgaben widersetzt haben. Im Bezirk Mitte sind seit Wochen Träger von Jugendeinrichtungen in Aufruhr. Fast hundert Einrichtungen sind von der Schließung bedroht, weil Geld fehlt.

Mehr "Luft" mit Darlehensfonds?

Kollatz und Niroomand sorgen mit ihrer Erklärung nun dafür, dass der Haushaltsstreit in der Koalition auf die große Bühne der Fraktionsklausur kommt. Beide machen deutlich, dass sie sich Kürzungen im Sozialbereich, bei Krankenhäusern, im wichtigen Forschungsbereich und bei der Bildung nicht vorstellen können. Gleichzeitig wollen sie aber den Haushalt entlasten, indem Kosten für Investitionen ausgelagert werden. Dafür schlagen sie einen Darlehensfonds vor, also einen neuen Finanzierungstopf neben dem Haushalt.

Die Idee und die Hoffnung der beiden SPD-Politiker: Mit dem Geld könnten Unternehmen beispielsweise in Projekte und Maßnahmen für Klimaschutz und Digitalisierung investieren. Die Darlehen müssten später zurückgezahlt werden. Geht die Rechnung auf, gäbe es im regulären Etat mehr "Luft" eben für das Soziale. Neue Schulden müssten nicht gemacht werden.

Warmlaufen für SPD-Landesvorsitz

So ur-sozialdemokratisch der Vorschlag auch daherkommt und so gut er zeitlich passt: Die auf Harmonie und größtmögliche Geschlossenheit angelegte Klausurtagungs-Choreographie wirft er doch durcheinander. Das liegt insbesondere am Co-Autor der Erklärung, dem SPD-Kreisvorsitzenden in Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand. Er tritt im Doppelpack mit dem ehemaligen Finanzsenator Matthias Kollatz erstmals prominent mit einem zentralen politischen Vorstoß in Erscheinung.

Dazu muss man wissen, dass Niroomand sich derzeit warmläuft als Kandidat für den SPD-Landesvorsitz. Damit wird er quasi zum Gegenspieler von SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh. Der hat nach dem von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey angekündigten Rückzug aus der Parteispitze zunächst offen gelassen, ob er als Landesvorsitzender wieder antritt.

Erstarken der AfD

Wenn Niroomand und Kollatz nun also auflisten, wo Mut, Klarheit und ein seriöser Kurs in der Haushaltspolitik der schwarz-roten Koalition fehlen, geht die Kritik auch an die Adresse von Saleh. Auf fruchtbaren Boden stoßen die finanzpolitischen Vorschläge allemal schon. "Der Ansatz des Darlehensfonds ist goldrichtig", sagte etwa der Tempelhofer Abgeordnete Lars Rauchfuß.

Doch über den kontroversen Personalfragen und einer strittigen Ausrichtung der Haushaltspolitik schwebt noch etwas, was ein Abgeordneter als das "große Ganze" bezeichnet. Das Erstarken der AfD in vielen Umfragen, die Enthüllungen über rechtsextreme Geheimtreffen und Deportationsfantasien haben auch in der Berliner SPD ihre Wirkung. Das sei alles "unfassbar", sagt Jörg Stroedter. Der Reinickendorfer ist seit fast 20 Jahren im Parlament und hat so Einiges und Einige kommen und gehen sehen.

Umgang mit der neu gegründeten BSW

Ähnlich wie die Ampel-Koalition im Bund sieht er auch die Berliner Koalition vor der Frage, wie sie weiter mit der AfD und ihren Jugendverbänden umzugehen soll. Stroedter ist an dieser Stelle skeptisch, was ein Verbot betrifft. Sein Rat: "Wir müssen uns stärker inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen."

Mit Sorge blickt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende auch auf die von Sahra Wagenknecht neu gegründete Partei BSW. Diese würde mit ihrer restriktiven Migrationspolitik Politikansätze aufgreifen, wie sie die dänischen Sozialdemokraten hätten. Das BSW, fürchtet Stroedter, könnte nicht nur Stimmen von der AfD abziehen. Die Wagenknecht-Partei dürfte auch der politischen Mitte schaden und die SPD unter Druck setzen. "Das wäre keine gute Entwicklung", warnt Stroedter und rät: "Wir brauchen eine überzeugende Politik – auch bei der Zuwanderung."

Viele Entscheidungen stehen an

Darüber, wie der Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt werden kann, wird die SPD-Fraktion am zweiten Klausurtag schwerpunktmäßig beraten. Zur anspruchsvollen Frage, wie die oft als schweigend beschriebene Mitte der Gesellschaft mobilisiert werden könnte, um sich aktiv gegen Rechtsextremismus einzubringen, wird die Soziologie-Professorin Céline Teney einen Vortrag halten.

Außerdem stehen Entscheidungen an, wann und mit welchen Mitgliedern die gemeinsam mit der CDU angekündigte Parlaments-Enquetekommission für gesellschaftlichen Zusammenhalt, gegen Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit und Diskriminierung ihre Arbeit aufnimmt. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist zudem ein Demokratiefördergesetz vereinbart worden. Damit soll die Präventions-Arbeit im Bereich der Politischen Bildung auf eine solidere finanzielle Basis gestellt werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.04.2024, 07:55 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

19 Kommentare

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  1. 19.

    Das ist kein Widerspruch. Wenn die Beschäftigten/Arbeiter das Gefühl haben, dass es vordringlich um ideologische Projekte, Genderfragen (nur bei der Wehrpflicht nicht), und Bürgergeld (manche denken bedingungsloses Grundeinkommen light) geht, dann ist die Mehrheit nicht angesprochen. Und:
    Das Dilemma bei der Verringerung der Erderwärmung ist auch, dass man diese nachmessen kann, ob Steuererhöhungen wirken oder als Verbrauchssteuer entlarvt werden.
    Man kann nicht den ganzen Haushalt verbrauchen und wenn investiert werden muss, dann nur mit Schulden. Und wer da nicht mit macht ist ...
    schlau.

  2. 17.

    "Das Geld ist aber nicht verloren, sondern muss ja zurück gezahlt werden." Das ist erstens unerheblich, weil der Senat das Geld dann eben erst mal gar nicht hat. Und es ist zweitens unsicher, ob diese Gelder tatsächlich zurückgezahlt werden. Die Firmen können in der Zwischenzeit insolvent werden oder die Rückzahlung mit allerlei Winkelzügen verweigern. Ein Kredit ist nichts mehr als ein RückzahlungsVERSPRECHEN. Wie viel man auf Versprechen halten kann, sieht man nahezu täglich überall.

  3. 16.

    Sollen sie doch das Geld für die Kirche streichen und lieber für die Bildung einsetzen!

  4. 15.

    " Sieht man ja an maroden Schulen, maroden Straßen, maroden öffentlichen Dienst, usw. "

    Wenn wir heute nicht in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung, Mobilität investieren werden es die folgenden Generation tausenmal teurer bezahlen müssen. Und nicht nur mit Geld. Sondern mit Lebensqualität und Gesundheit.

  5. 14.

    Berlin hat 65 Mrd. Schulden, Zinskosten fast ein Milliarde pro Jahr, da reden wir noch nicht von Tilgungen.
    Wieviel soll es denn noch werden?

  6. 13.

    „ Mit dem Geld könnten Unternehmen beispielsweise in Projekte und Maßnahmen für Klimaschutz und Digitalisierung investieren. Die Darlehen müssten später zurückgezahlt werden.“
    Was bedeutet denn später ? Zu welchen Konditionen (Zinsen) wird zurückgezahlt ? Wieso können diese Unternehmen keine Kredite bei Banken aufnehmen ?
    Halten sich die Banken zurück, weil es ihnen viel zu unsicher ist ?
    Das Ganze klingt doch eher nach „versteckter Subvention“ … und mit dem Deckmantel Darlehen umgeht man den Haushalt. Man muss sich wohl nur fragen… hätte es diese Form auch gegeben, wenn die Kassen voll gewesen wären ?

  7. 12.

    Egal wie es Kollatz oder Niroomand nennen, Darlehensfonds oder Finanzierungstopf neben dem Haushalt bedeutet eigentlich nur neue Schulden aufzunehmen. Das ist für mich kein Vorschlag zu EINSPARUNGEN im Haushalt. Keiner der Senatoren/Innen ist bereit Einsparungen umzusetzen? Und dann kann nur der Finanzsenator Schuld sein? Haben dir beiden SPD Politiker auch einen Vorschlag für die Schuldentilgung parat, oder überlassen Sie das den nächsten Generationen?

  8. 11.

    Das Geld ist aber nicht verloren, sondern muss ja zurück gezahlt werden. Sparen aus der Krise hat noch nie geholfen. Sieht man ja an maroden Schulen, maroden Straßen, maroden öffentlichen Dienst, usw. Kann man machen, wird aber nur zu mehr Extremismus führen. Und der Staat hat die günstigsten Zinsen. Und wie gesagt, das Geld wird ja zurück gezahlt.

  9. 10.

    Und schon sind Sie auf den Trick der beiden Herren hereingefallen. Wenn jemand Geld verleihen will, dann muss er das auch haben oder alternativ selbst Schulden dafür aufnehmen. Da der Berliner Senat bekanntlich gerade kein Geld über hat, muss er also selbst Schulden aufnehmen und will das nun trickreich verschleiern, indem er diese Schulden auslagert. Das ist nichts anderes als die verfassungswidrige Version des "Sondervermögens" bei unserer Ampel im Bund.

  10. 9.

    Woher kommt das Geld, was man als Darlehen ausreichen will? Wer bürgt dafür? Es sind Extraschulden, auch wenn sie Sonderfonds oder wie auch immer heißen.

  11. 8.

    Also wenn ich richtig gelesen habe, soll der Sonderfond günstige Darlehen ausreichen und keine zusätzliche Verschuldung sein. Einfach genauer lesen

  12. 7.

    "Sozialer Kahlschlag? Wer will denn das? " Mir fällt da sofort Black Rock Merz ein oder sein dressierter Vorturner Linnemann.

    "Wenn über die Hälfte oder sogar 2/3 des Haushaltes für Soziales ausgegeben werden, dann ist eine zielgenauere soziale Hilfe, die auch gerecht ist wohl eher das Thema. "

    Ein "schöner "Euphemismus" für das neoliberale "wer nicht arbeitet soll auch nichts essen".

  13. 6.

    Was die beiden hier vorschlagen, ist nichts anderes als ein verschleiertes "Sondervermögen" aus Schulden. Es ist vollkommen unerheblich, ob die Subventionen als Zuschuss oder Darlehen vergeben werden, das Geld ist für den Staat erst mal weg. Ob die Darlehen dann überhaupt zurück gezahlt werden (können), steht in den Sternen und daher kann dieses Geld eben nicht einfach aus dem Haushalt herausgelöst werden, wenn die spätere Rückzahlung gar nicht abgesichert ist.

  14. 4.

    "... Wobei schon die beiden SPD-Senatorinnen Iris Spranger und Ina Czyborra die Stoppkelle gehoben und sich den Sparvorgaben widersetzt haben. Im Bezirk Mitte sind seit Wochen Träger von Jugendeinrichtungen in Aufruhr. Fast hundert Einrichtungen sind von der Schließung bedroht, weil Geld fehlt...."

    Die Ausgaben für die Fußball-EM 2024 steigen von 64 Mio auf ca. 80 Mio Euro.
    Da ist es wohl einfacher bei Kinder-/Jugendeinrichtungen zu schließen.

    Soviel zur "Stoppkelle" ... unglaublich!

  15. 3.

    Die SPD hat sich fast selbst abgeschafft. Fehlt nicht mehr viel, dann ist sie ganz verschwunden. Die einstige sogenannte Arbeiterpartei ist doch keine Arbeiterpartei mehr. Was für eine traurige Entwicklung.

  16. 2.

    2/3 für Soziales? Was für eine unsinnige Behauptung. Kinder und Jugendarbeit ist nicht im Sozialbereich anzusiedeln, sondern wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Und Kinder und Jugendliche müssen in ihrer Freizeit auch beschäftigt werden. Und da gehen auch Kinder von Arbeitnehmern hin. Dann wird das 49 € Ticket mitfinanziert. Ist ja wohl auch eine Entlastung der Arbeitnehmer. Krankenhäuser baulich in Ordnung halten ist nicht wichtig für Arbeitnehmer?

  17. 1.

    Sozialer Kahlschlag? Wer will denn das? Wenn über die Hälfte oder sogar 2/3 des Haushaltes für Soziales ausgegeben werden, dann ist eine zielgenauere soziale Hilfe, die auch gerecht ist wohl eher das Thema. Die Leute haben ein gutes Gefühl dafür, wer nimmt und gibt. Gerät das außer Kontrolle, dann wird man nicht gewählt. Eine Arbeiterpartei darf sich auch um Arbeitende so kümmern, dass mehr im Geldbeutel bleibt.

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