Baumaßnahmen für Gleichberechtigung - "Wir sind weit entfernt von einer menschengerechten Stadt"

Fr 08.03.24 | 17:05 Uhr | Von Stephanie Teistler
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Symbolbild: Familie mit Kinderwagen läuft am 20.08.2017 eilig über eine Strasse in Berlin-Prenzlauer Berg. (Quelle: Imago Images/snapshot-photography/T.Seeliger)
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Unter dem Stichwort "Bauen für Frauen" wird am Samstag im Potsdamer Landtag mit der Bundesbauministerin diskutiert, was geschlechtergerechten Städtebau ausmacht. rbb|24 hat mit zwei Teilnehmerinnen darüber gesprochen, wie so eine Stadt aussähe.

Geschlechtergerechte Stadtplanung ist kein neues Konzept – Ideen und Arbeiten dazu gibt es mindestens seit den 1980ern. Stadtforscherin Christiane Droste beschäftigt sich seit etwa 30 Jahren mit dem Thema, beriet schon das Land Berlin in Sachen Geschlechtergerechtigkeit.

Gute Beispiele, wie gendergerechte Stadtentwicklung in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren angewandt werde, sei in der Praxis schwer zu finden, meint Stadtforscherin. Ein Beispiel dafür, wie man mit Nutzungskonflikten gendersensibel umgehe, sei der Nettelbeckplatz im Wedding.

Durch mehr Bänke und Sitzgelegenheiten, zentral auf und um den Platz herum, seien hier "Konfliktzonen entflochten" worden. Heißt, jede und jeder findet hier einen Platz. Frauen und Mädchen müssen nicht mit Männergruppen um Sitzplätze konkurrieren oder werden durch schlecht einsehbare Ecken von der Nutzung des Platzes ausgeschlossen.

Frauen bekommen Nachteile schlecht geplanter Städte eher zu spüren

Gendergerechte Stadtentwicklung, sagt sie, plane "aus der Perspektive der Nutzer:innen". Es geht dabei um flexible Stadt- und Wohnräume und auch darum, wie die Wege zwischen Wohnen, Arbeit und Kinderbetreuung aussehen. "Die Idealstadt ist eine Stadt der kurzen Wege. Die sich dem Leben anpasst und nicht umgekehrt", so Droste.

"Untersuchungen zum Gender Care Gap haben gezeigt, wie hochgradig komplex die Wegeketten sind, die meist Frauen bei der Kinderbetreuung zurücklegen." Frauen übernehmen nach wie vor den Großteil der Sorgearbeit – schlecht geplante Städte und weite Wege, bekommen sie deshalb eher zu spüren.

Die Idealstadt ist eine Stadt der kurzen Wege. Die sich dem Leben anpasst und nicht umgekehrt.

Christiane Droste, Stadtforscherin

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt, das häufig diskutiert wird, komme aus der feministischen Planung und wurde schon in den 80er Jahren als "Stadt der kurzen Wege" formuliert, so Droste. Das Konzept beinhaltet, dass die wichtigsten Alltagsorte – etwa Wohnung, Arbeiten, Einkaufen – innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein sollten.

Laut Droste sei eine geschlechtergerechte Stadt deshalb auch eine autoarme Stadt und eine, die "die unterschiedliche Betroffenheit der Menschen vom Klimawandel beachtet und differenziert auf die soziale Frage des Wohnens reagiert".

Grenzen der geschlechtergerechten Stadtplanung

Für Silvia Malcovati ist die gendergerechte Stadt eine Unterkategorie der "Stadt für Alle". Malcovati ist Professorin für Städtebau an der Fachhochschule Potsdam und seit Ende vergangenen Jahres Mitglied im Gestaltungsrat der Stadt. Das Gremium berät zu Bauvorhaben und unterstützt Verwaltung und Politik bei der Städteplanung.

Bei der Geschlechtergerechtigkeit sieht Malcovati auch die Grenzen der Städteplanung. Beispiel: Frauenparkplätze in Parkhäusern. Gedacht sind sie dafür, dass Frauen in Parkhäusern möglichst kurze Wege zum Ausgang haben, es für sie so nicht zu bedrohlichen Situationen kommt. "Das ist eine kleine Maßnahme – aber sie kann nicht die Antwort auf ein gesellschaftliches Problem sein. Über gendergerechte Städte zu sprechen ist ein ambitioniertes Ziel, weil wir in der aktuellen Städtebauentwicklung weit entfernet sind, überhaupt von einer menschengerechten Stadt zu sprechen", so Malcovati. Den Ansatz der gendergerechten Stadt wolle sie nicht abwerten, aber im aktuellen Städtebau gebe es größere Probleme.

"Stadt für Alle" braucht öffentliche Räume

Das drängendste Problem sei momentan die Wohnungsnot in Deutschland. Neuer Wohnraum müsse bezahlbar sein und schnell gebaut werden – das berge aber das Risiko des "quantitativen Würfelurbanismus". Öffentliche Räume, der von verschiedenen Gruppen genutzt wird, geht dabei verloren. Als Beispiel nennt sie in Potsdam das Wohngebiet am Bornstedter Feld. Potential sei hier verschenkt worden. "Ein reines Wohnquartier mit ein paar Geschäften, das funktioniert nicht." Darüber, wie der Raum noch genutzt werden könne, spreche man aber erst jetzt, nach dem das Quartier schon steht.

Auch Christiane Droste sieht im Druck zum schnellen Wohnungsbau ein städteplanerisches Problem. Sie frage sich, ob man in den Städten noch lebenswerte Quartiere plane. "Oder "metern" wir große Zahlen an seriell gebauten Wohnhäusern und gehen wieder in Richtung peripherer Schlafstädte?" Das Ziel, etwa Wohnen und Arbeiten zusammenzudenken, könnte dabei auch für Frauen über Bord gehen.

Keine konkrete Pilotprojekte vom Bauministerium

Mit diesen Aspekten geschlechtergerechter Stadtplanung werden die Stadtforscherin bei Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) auf offene Ohren stoßen. Laut einer Sprecherin arbeite das Ministerium gerade an Leitlinien für feministische Stadtplanung für Städte und Gemeinden. Konkrete Pilotprojekte mit diesem Fokus, die vom Bundesbauministerium gefördert werden, gibt es auf Anfrage nicht. Stattdessen verweist die Sprecherin auf allgemeine Förderprogramm für den sozialen Wohnungsbau und das Förderprogramm für genossenschaftliche Wohnprojekte, mit dem auch Projekte von und für Frauen gefördert werden können.

Christiane Droste mahnt, dass es konkrete Projekte brauche, um bei der gendergerechten Stadtentwicklung voranzukommen. Sie hofft, dass die Diskussionen um Wohnungsfrage, Klimawandel und Verkehrswende Gender- und feministische Perspektiven wieder auf die Agenda bringen.

Sendung: 09.03.2024, rbb24 Brandenburg Aktuell, 19.30 Uhr

Beitrag von Stephanie Teistler

21 Kommentare

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  1. 20.

    Stadt für langsamer und ältere Menschen wäre gut, einfach anfangen mit passende (viel längere) Ampelzeiten um die Straße zu überqueren

    Hilft auch jüngere, Kinder usw

  2. 19.

    Ach Ines, wenn Frauen immer wieder ihre Rolle als Hausfrau und Mutti für sich beanspruchen und gut heißen, wird dieser Irrsinn nie enden. Und auch Väter, Ältere und alle anderen begrüßen kurze Wege zu allem, was wir so brauchen. Es ist also totaler Quatsch jede Rubrik im Leben in irgendeiner Form gendergerecht machen zu wollen. Menschengerecht wär völlig ausreichend.

  3. 18.

    Luxusprobleme? Hoch komplexe Wege? Wann suchen wir denn die nächsten Marotten Gab Probleme? Wirkt unmoralisch...wenn man nicht an alle denkt.

    Was ist der Unterschied zwischen komplex und hochkomplex?

  4. 17.

    Ich habe absichtlich Hort/Schule und nicht Kita geschrieben. Richtig lesen bitte. Und mit den greisen Müttern ist eine Tatsache, die ich seit langem beobachte. Einfach mal in Berlin beobachten!

  5. 16.

    Der2.Versuch: Mich stört hier v.a. der eingeführte Begriff - gendergerecht! Können wir mal bitte gutes Wohnen/Leben/Arbeiten für alle einführen? Denn das, was für Frauen/Kinder gut sein könnte, nutzt auch noch Menschen, die nicht Frauen sind u. keine kl.Kinder (mehr)haben. Bitte keine falscheÜberbewertung. Noch sind Bezahlung bei gleicher/höherer Ausbildung ungerecht, die Fr.gucken in die Röhre u. auch das gegenwärtige Scheidungsrecht u.Steuerrecht bestraft diejenigen Frauen, die wirklich arbeiten gehen wollen u.sich dafür den H... aufreißen. Karriere wird eher dem Mann zugebilligt. Unterschwellig befördern Werbung,Geburtstags- u-. Glückwunschkarten, dass Frau als schönes Anhängsel des verh. Mannes gilt. Das Bauen, um das hier geht, ist das Stadtmodell der kurzen Wege. Und ob eine Kindereinrichtung sich im Innenhof eines umbauten Karres befinden muss, wage ich zu bezweifeln. Mehr Verstand und Gefühl und gegenseitige Rücksichtnahme kann manch Positives bewirken.

  6. 15.

    Antwort auf "andreas.." vom Samstag, 09.03.2024 | 09:03 Uhr
    "Ich finde der Beitrag gibt die Sichtweise einer Gruppe wieder und blendet alles andere einfach aus." Weil DIESE eine Gruppe nun das Thema ist. Und dass es beschwerlicher ist, das Leben als Frau mit Kind(-ern) zu meistern ist doch wohl unstrittig. Die täglichen Wege mit Kinderwagen und die Organisation eines Familienalltags.... der Singlemann (auch die Singlefrau)lacht darüber.

  7. 14.

    Man könnte nun dem Beitrag entnehmen… Männer gehen arbeiten und das war es dann, mehr schaffen sie nicht. Es bedeutet auch Single Männer gibt es nicht. Die paar Single Männer finden es gut wenn sie möglichst weite Wege zurücklegen müssen zum einkaufen usw.
    Ich finde der Beitrag gibt die Sichtweise einer Gruppe wieder und blendet alles andere einfach aus.

  8. 13.

    Früher war vieles anders was ein heute in 15 Minuten erreichbar sein können erschwert. Wie viele Arbeitsplätze sind zentralisiert, bei meinem Arbeitgeber sind wir kürzlich vom Wedding nach Tegel umgezogen mit ca. 500 Mitarbeitern. Sollen die dann alle privat erst im Wedding wohnen und dann mal eben umziehen nach Tegel. Der zweite Teil der Belegschaft ca ebenfalls 500 Leute ziehen vom Wedding nach Adlershof. Diese Planung für lebenswertere Städte sind ja nett aber auch ganz schön weltfremd.

  9. 12.

    Antwort auf "Ines" vom Freitag, 08.03.2024 | 19:13 Uhr
    "Wenn Frau es Frauen so schwer machen, wie wollen wir denn vorwärts kommen?" Wir kommen nicht vorwärts, weil die Ansprüche immer größer werden; "es wäre doch schön...." wenn die Kinder von Kita oder Schule nach Hause gebracht wurden, gesund gesättigt und bettfertig. Die 15-Minuten-Stadt funktioniert vielleicht in mittelgroßen; in der Grosstadt nicht. In meinem Kiez habe ich im15-Min.-Umkreis mehrere Schulen und Kitas, zwei Parks, einen Fußballverein, gute Einkaufsmöglichkeiten und eine sehr gute ÖPNV-Anbindung, die brauche auch, weil ich hier keine angemessene Arbeit finden würde. Mein Arbeitsweg dauert pro Strecke 45-60 Minuten. Da, wo ich arbeite, ist die Infrastruktur viel schlechter. Also: irgendeine Kröte muss man schlucken, man kann nicht alles haben.

  10. 11.

    Barrierefreiheit alle Frauen mit Kindern müssen Kinderwagen schieben und schleppen. Das das erst die Rohlstulfahrer einfordern müssen wundert mich. Da könnte die Welt schon lange für Rollator und Kinderwagen barrierefrei sein.

  11. 10.

    @ Kerstine bevor sie hier mit ihren persönlichen Leistungen so um sich schießen (mal wieder großartige Frauensolidarität in ihren Zeilen) da sollten sie erstmal genau hinschauen. Zwischen Hort und Kita ist allein vom Alter der betreffenden Kinder, ein großer Unterschied. Somit ist ihre Argumentation für das "allein! nach Haus gehen" völliger Unsinn. Genau wie ihr Unsinn, dass Alter von Müttern hier ins Feld zu bringen. Völlig am Thema u Frauentag vorbei geschossen.

  12. 9.

    Ich fall gleich vom Hocker. Im Idealfall bekommt jeder eine Wohnung und ist glücklich darüber. Egal wie weit der Weg zur Schule, zur Kita oder zum Einkaufen. So langsam versteh ich die Welt nicht mehr.

  13. 8.

    Die 15 Minutenstadt gab es sogar in Berlin. Nannte sich Hohenschönhausen. Häuserblock als U-Form. Kita im Innenhof, genauso wie Spielplatz. 4 U Häuserblocks hatten eine Grund und Oberschule.
    Denn im Osten waren Autos selten ... Trotzdem will da keiner so gerne wohnen. Ich glaube, die Begrifflichkeiten des gendergerechtes Bauens wird überbewertet. Wir brauchen eine sichere Stadt mit atmosphärischen Eigenheiten, wie Geschäften und Läden.

  14. 7.

    Das waren noch Hausgemeinschaften, die Kinder spielten gemeinsam und die Nachbarn kannten sich, bedingt durch sparsamen Umgang mit Baumaterial und dünnen Wänden sogar auch die intimsten Gewohnheiten. Man kümmerte sich nicht nur um sich selbst sondern auch um einen freundlich gestalteten Hauseigentümer und die gemeinsame Arbeit schaffte Kontakte ohne Handy und social media war der Haustratsch, draußen auf der Bank. Nicht übel und zu Unrecht Arbeiterschließfach genannt.

  15. 6.

    Es wäre auch mal sehr schön, wenn Kinder alleine aus dem Hort/Schule kommen und einkaufen gehen würden, wie wir es in unserer Kindheit/Jugend auch gemacht haben. Ich habe für diese ewig alles kontrollierenden jammernden Frauen/Mütter nichts übrig. Ich habe 38,5 Stunden gearbeitet, Kinder abgeholt, eingekauft. Allerdings sind wir nur 1xwöchentlich einkaufen gegangen und sind(oh Wunder) nicht verhungert. Zeit für die Kinder war immer, man muss nur wollen und seine Kinder nicht erst im Greisenalter bekommen...

  16. 5.

    Und im Unterschied zu vielen anderen Neubaugebieten im Westen wurden die Grünflächen trotzdem mitgestaltet - ich erinnere mich noch an die Rasenfächen zwischen den Häusern, die Rosenbeete, die damals kleinen Bäume, die teilweise wirkllich schönen Grünanlagen sogar mit Bächlein und an die Arbeitseinsätze immer am Sonnabend zur Grünpflege - und nach 40 Jahren sind diese Quartiere vollkommen grün und sehr begehrt. Damals zogen viele in die Wohnungen als alles noch Schlammwüste war - aber das Wichtigste zuerst, wie Sie schrieben. Es wurden Schwimmhallen und Kinos mitgeplant, Kaufhallen, Restaurants, Bibliotheken, Schulen, Sporthallen, Polikliniken usw. Die Wohnquartiere unterschieden sich auch je nach Baujahr. Stadtplanung wurde ganzheitlich angegangen, "für die Menschen", obwohl viel auch gegen Widerstand durchgesetzt werden mußte oder am fehlenden Material scheiterte.

  17. 4.

    Tja, wenn der Mann arbeitet, dann kann er nicht die Kinder in der Kita abholen, aber wenn er zu hause ist und nichts tut, dann ist er ungerechet, und dann muss man als Frau kämpfen.

  18. 3.

    Zu einem größeren Wohngebiet gehören dann aber auch Kita, Schule, Einkaufsmöglichkeit, Arzt und Begegnungsräume im Freien oder in Gebäuden, wo man sich treffen kann, für alle Altersgruppen offen. Gabs alles schon mal, in den DDR-Neubaugebieten. Die waren vielleicht nicht immer schön, aber die genannten Einrichtungen wurden dort gleich mit den Wohnhäusern geplant und gebaut. Auch ein funktionierender ÖPNV gehörte dazu.

  19. 2.

    Ach Heike. Wenn Frau es Frauen so schwer machen, wie wollen wir denn vorwärts kommen? Es stimmt doch, das meist Frau die Kinder von der Kita und Schule abholen und bringen. Wäre doch für alle schön, wenn das nicht immer ewig dauert.

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