Interview | Amtsinhaber vor der Stichwahl in Oder-Spree - Herr Lindemann, was macht eigentlich ein Landrat?
Demnächst entscheidet sich, ob der Landratsposten in Oder-Spree innerhalb der SPD bleibt oder an die AfD geht. Viele Wähler haben jedoch nur eine vage Vorstellung, welche Aufgaben mit dem Amt einhergehen. Der scheidende Kreis-Chef Lindemann gibt Einblick.
Am Sonntag soll im Landkreis Oder-Spree ein Landrat gewählt werden. Der amtierende Landrat, Rolf Lindemann (SPD), tritt nicht mehr an. Er geht in den Ruhestand. rbb|24 hat mit ihm über die Bedeutung und die Aufgaben eines Landrates gesprochen.
rbb|24: Herr Lindemann, viele Menschen wissen nicht, was ein Landrat macht. Sind Sie Behördenleiter oder Politiker?
Rolf Lindemann: Ich bin eine Art Zwitterwesen. Ich bin in erster Linie Leiter einer ziemlich großen Behörde. Wir haben 1.300 Mitarbeiter und dazu nachgeordnete Gesellschaften. Das ist schon eine enorme Personalverantwortung. Und dann bin ich natürlich auch der oberste Repräsentant des Landkreises und auch Kommunalpolitiker.
Sie unterstehen der Dienstaufsicht des Innenministeriums und setzen die Gesetze des Landes um?
Ja, ich bin kommunaler Wahlbeamter und damit auf die Verfassung und die Landesverfassung vereidigt, und ich habe die Gesetze ordnungsgemäß umzusetzen. Darüber hinaus muss ich meinem Kreistag Rede und Antwort stehen. Das ist auch eine Besonderheit in der Kommunalverfassung. Wir haben auf der einen Seite den professionellen Arm, die Verwaltung, und auf der anderen Seite steht das Ehrenamt. Das ist mein Lenkungs- und Kontrollorgan, der Kreistag.
Und dennoch haben Sie Gestaltungsspielraum. In welchen Bereichen können Sie Spuren hinterlassen?
Gestaltungsspielräume hat man immer, innerhalb der rechtlichen roten Linien. Diese Räume sind im Selbstverwaltungsbereich besonders groß. Zum Beispiel im Kulturbereich, der mir direkt unterstellt ist. Da kann man Akzente setzen nach eigenem Gusto. Aber man ist natürlich nicht Solokünstler, sondern muss sich mit Mitarbeitern, Dezernenten und Amtsleitern abstimmen. Das sind die täglichen Prozesse im Landratsamt, die unterschiedlichen Interessen so unter einen Hut zu bringen, dass wir alle damit leben können. Meine Aufgabe ist es, die Entscheidungsvorlagen für den Kreistag so vorzubereiten, dass sich darüber Mehrheiten bilden können.
Hat sich das Berufsbild des Landrates in den letzten Jahren und Jahrzehnten geändert?
Ja. Man muss das im historischen Kontext sehen. Die ersten Jahre nach 1989 waren vom Verwaltungsaufbau bestimmt. Diese Ära ist, meines Erachtens, mit der Arbeitsmarktreform Hartz IV abgeschlossen worden. Dann kamen die neuen Herausforderungen wie Globalisierung und Digitalisierung. Wir sind einfach enger zusammengerückt, und das, was auf der Welt passiert, nehmen wir nicht nur als Beobachter wahr, sondern wir sind in das Geschehen eingebunden.
Nur unsere mentale Entwicklung hat damit nicht Schritt gehalten. Wir sind eben nicht allein auf der Welt. Wir können uns das nicht aussuchen, ob wir Exportweltmeister oder Reiseweltmeister sein wollen, und auf der anderen Seite aber bei Migrationskrisen dann unsere Tore dichtmachen.
Die Herausforderungen kommen bald monatlich. Beispiel Daseinsvorsorge, was es da an Defiziten gibt, oder bei der Pflege. Selbst die Bundeswehr steht uns nicht mehr zur Verfügung, weil sie anderweitige Aufträge hat. Und die Bundeswehr hat uns bei APS- und der Corona-Pandemie sehr stark entlastet. Und da habe ich die große Sorge, dass die politische Vermittlung den Dingen hinterherläuft und sie nicht mehr einholt. Deshalb haben wir diese Unsicherheit und Ängste in der Bevölkerung. Da fühlen sich Bürger ausgeschlossen und nicht richtig verstanden.
Ich teile nicht den Standpunkt, dass die schöne neue Welt unproblematisch funktioniert. Wir haben spätestens bei der Corona-Pandemie und der Impfkampagne festgestellt, dass es nicht funktionierte. Weil man nicht begriffen hat, dass die Bevölkerung anders tickt.
Wo findet sich der Landrat, und damit der Landkreis, in meinem alltäglichen Leben wieder?
Wir gestalten sehr umfangreich die Lebensverhältnisse aller Bürger. Wenn wir allein an die Sozialleistungen denken. Die werden nicht nur von den Arbeitslosen oder Beeinträchtigten in Anspruch genommen, sondern von uns allen. Das fängt beim Elterngeld an, geht über die Kitabetreuung bis zu Jobtickets und Bafög-Leistungen. Das ist der Sozialbereich, der bindet etwa 70 bis 75 Prozent der Haushaltsmittel. Daneben gibt es aber auch noch andere Bereiche wie Führerschein, Fahrzeuganmeldungen und Verkehrsregelungen. Der Landkreis baut Straßen und Schulen. Alles, was Daseinsvorsorge umfasst, da ist der Landkreis mit im Spiel. Und zwar bei den Aufgaben, die die Möglichkeiten der örtlichen Ebene überschreiten.
Herr Lindemann, Danke für dieses Gespräch!
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Interview führte Michael Lietz für Antenne Brandenburg.
Sendung: Antenne Brandenburg, 11.05.2023, 14:40 Uhr