Fehlende Abmahnungen - Arbeitsrechtler erachten Gorillas-Kündigungen als unwirksam
Wegen der Teilnahme an "wilden Streiks" hat der Lieferservice Gorillas zahlreiche Kuriere gefeuert. Arbeitsrechtler bezweifeln, dass die Kündigungen wirksam sind: Offenbar hat es in den meisten Fällen keine Abmahnungen gegeben. Von Roberto Jurkschat
Nach der fristlosen Kündigung zahlreicher Kuriere des Lieferdienstes Gorillas in Berlin gibt es Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entlassungen. Nach Auffassung von Florian Rödl, Dozent für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin, hätten die streikenden Mitarbeiter vor ihren Kündigung Abmahnungen bekommen müssen - und eine Möglichkeit, zur Arbeit zurückzukehren, um ihre Jobs zu behalten. "Eine Abmahnung muss immer dann vor einer Kündigung erfolgen, wenn der Arbeitnehmer sein Verhalten abstellen kann. Und das wäre hier definitiv der Fall", sagte Rödl im Gespräch mit rbbl24.
Der CEO von Gorillas, Kagan Sümer, hatte im Juli beteuert, niemanden wegen der Teilnahme an einem Streik zu entlassen. "Angesichts dieser Äußerung wird man vor einer Kündigung ganz sicher eine Abmahnung verlangen müssen", so Rödl. "Denn zumindest hat der CEO damit für die Beschäftigten verunklart, welche Folgen eine Arbeitsniederlegung haben könnte."
Rechtsanwalt: Kündigungen wegen fehlender Abmahnungen "klar unwirksam"
Nach Informationen von rbbl24 hat ein großer Teil der betroffenen Kuriere aber keine Abmahnungen erhalten. Der Berliner Rechtsanwalt Martin Bechert vertritt bislang rund 40 Gorillas-Mitarbeiter, die wegen der Streikaktionen für bessere Arbeitsbedingungen ihre Jobs verloren haben. "Eine Abmahnung ist in keinem Fall ausgesprochen worden, deshalb glaube ich auch nicht, dass sich das Arbeitsgericht mit Detailfragen über das Streikrecht aufhalten wird. Allein die fehlenden Abmahnungen machen die Kündigungen klar unwirksam", so Bechert.
Bei der Gewerkschaft Verdi und anderen Berliner Arbeitsrechtlern lassen sich derzeit zahlreiche gefeuerte Gorillas-Mitarbeiter beraten, um mit Kündigungsschutzklagen gegen ihre Entlassungen vorzugehen.
Wieviele Kuriere das Unternehmen wegen der Streiks fristlos gekündigt wurden, ist unklar. Eine Anfrage von rbbl24 ließ die Pressestelle unbeantwortet. Maren Ulbrich von der Gewerkschaft Verdi sprach am Mittwoch im rbb-Inforadio von 350 entlassenen Gorillas-Kurieren. Das von Mitarbeitern ins Leben gerufene Kollektiv "Gorillas Workers Collective" hatte am Mittwoch erklärt, es seien fast alle Mitarbeiter im Bergmannkiez, Gesundbrunnen und Schöneberg entlassen worden.
Kollektiv spricht von 350 Kündigungen
Im Streit zwischen den Kurieren und dem Unternehmen sind in den vergangenen Tagen mehrere hundert Mitarbeiter für bessere Arbeitsbedingungen in Streik getreten. Die Kuriere fordern unter anderem eine Erhöhung des Stundenlohns von rund zehn auf zwölf Euro, eine schnelle Instandhaltung der Fahrräder, bessere Zuweisung der Schichtdienste, Zwischenpausen und Angaben darüber, wie schwer die mit Lebensmitteln gefüllten Taschen eigentlich sind.
Weil bisher keine Gewerkschaft an den Arbeitsniederlegungen beteiligt ist, gilt die Aktion als "wilder Streik", der nach deutschem Arbeitskampfrecht sogar als Grund für eine Entlassung herangezogen werden kann.
Gegenüber rbbl24 erklärte das Unternehmen am Freitag erneut, man habe das Arbeitsverhältnis mit denjenigen MitarbeiterInnen beendet, "die sich aktiv an den nicht genehmigten Streiks und Blockaden beteiligt, den Betrieb durch ihr Verhalten behindert und ihre KollegInnen damit gefährdet haben". Dass Menschen durch die Proteste gefährdet wurden, bestreitet das Mitarbeiter-Kollektiv vehement.
Gorillas nimmt einzelne Kündigungen zurück
Arbeitsrechtler Florian Rödl sagte im Gesrpäch mit rbbl24, es gebe eine Möglichkeit, die Proteste nachträglich zu legalisieren. Dafür müsste jedoch die Gewerkschaft Verdi den Gorillas-Mitarbeitern helfen und den Streik nachträglich übernehmen. "Dann wird er rückwirkend rechtmäßig und das muss dann auch zur Folge haben, dass die ausgesprochene Kündigungen ebenso rückwirkend unwirksam werden", sagt Rödl.
Gegenüber rbbl24 sagte Verdi-Sprecher Andreas Splanemann, die Gewerkschaft plane derzeit nicht, so in den Arbeitskampf bei Gorillas einzusteigen. "Eine Übernahme des Streiks würde aus unserer Sicht den Mitarbeitenden nicht in ihrer jetzigen Situation helfen", sagte Splanemann. Die Gorillas-Belegschaft sei aufgrund befristeter Arbeitsverhältnisse und Sprachbarrieren "schwer zu organisieren", zudem seien nur wenige Gorillas-Kuriere auch Verdi-Mitglieder.
Im Zuge der laufenden Proteste wurden nach Informationen von rbbl24 einzelne Entlassungen wieder zurückgenommen. Das bestätigte auch Rechtsanwalt Martin Bechert. "Einem meiner Mandanten wurde schon erklärt, dass die Kündigung zurückgenommen wird, von anderen Fällen habe ich aus dem Kreis der Mitarbeiter gehört", sagte Bechert. "Ich weiß bei dieser Personalpolitik nicht, ob es jetzt eigentlich noch nötig ist, Kündigungsschutzklagen für meine Mandanten zu schreiben. Ich mache es aber trotzdem, sicherheitshalber."