Interview | Südwestkirchhof Stahnsdorf - "Friedhöfe sind keine Gruselorte, sie sind wirklich schöne Orte"
Ein verwunschener Friedhof mit alten Gräbern, artenreich wie ein Wald. Der Südwestkirchhof ist viel mehr als ein Ort der Trauer. Konzerte und Events finden hier statt. Im Interview spricht Olaf Ihlefeldt über die Arbeit, diesen Friedhof zu leiten.
rbb|24: Herr Ihlefeldt, hat der Friedhof als Ort der Trauer heutzutage noch eine große Bedeutung?
Olaf Ihlefeldt: Unsere Kulturen ändern sich und auch die Bestattungskultur hat sich immer verändert. Man darf das nicht nur negativ sehen. Man muss es einfach als einen normalen Wandel hinnehmen. Und in den letzten 50 Jahren hat sich enorm viel geändert. Wir sind sehr mobil geworden. Heute reisen wir der Arbeit hinterher. Kinder gehen nach der Schule studieren – in Deutschland, Europa und der Welt. Früher war immer noch irgendjemand in der Nähe, der sich ums Grab kümmern konnte.
Ich mache den Job nun schon 34 Jahre und ich habe wirklich eine große Berg- und Talfahrt hier miterlebt. In den 90er-Jahren hatte man das Gefühl, dass der Friedhof für die Menschen nicht mehr wichtig ist. Also gar nicht mal der Friedhof, sondern der Ort des Grabes, der Trauer oder des Zwiegesprächs. Heute weiß ich, dieses Bedürfnis zu Gräbern zu gehen, haben die Menschen nie verloren. Das merke ich auch dadurch, dass wir Alternativen schaffen, diesen Ort als Kulturraum pflegen, Konzerte und Führungen machen und Events veranstalten.
Zwischen Gräbern, Kunst und wilder Romantik
Das Problem ist, dass wir in Deutschland die gesetzlichen Formalien sehr streng formulieren, wie zum Beispiel Friedhofszwang. [Die deutsche Rechtsprechung schreibt vor, dass Verstorbene nur auf einem Friedhof beigesetzt werden dürfen. Anm.d.Red.] Dieses Wort hat einen negativen Touch. Als Mensch will ich mich nicht zwingen lassen. Ich bin frei, ich bin individuell. Unser ehrenamtliches Engagement, diesen Ort mit Leben zu füllen, hat dafür gesorgt, dass die Menschen wieder gerne herkommen, Gräber besuchen, ein Konzert besuchen, etwa unsere Adventskonzerte.
Veranstaltungen auf einem Friedhof, wie passt das mit der Totenruhe zusammen?
Als ich in den 90er-Jahren damit angefangen habe, war das der totale Skandal. Ein Friedhof mit Musik, Gesang, Tanz, Filmvorführungen - das hat Wellen geschlagen in ganz Deutschland. Zum Glück war unser damals amtierender Bischof Huber ein großer Fürsprecher. Er hat als unser damaliger Ethikvertreter in der Evangelischen Kirche Deutschland gesagt: Was die hier machen, ist genau richtig. Das ist gelebte Erinnerungskultur und auch Verkündigung nach christlicher Idee. Heute ist das fester Bestandteil von Friedhöfen und funktioniert auch gut.
Friedhöfe sind also nicht nur Orte der Trauer. Aber stören die regelmäßigen Veranstaltungen nicht auch? Worauf achten Sie dabei?
Was wir hier machen, ist immer eine Gratwanderung. Für mich ist wichtig: Die Pietät muss gewahrt bleiben, auch der respektvolle Abstand zu den Toten. Auch denen gegenüber, die ihre Stille brauchen und suchen und in Ruhe an Gräbern weinen wollen. Man kann thematisch nicht alles aufführen, es muss immer angemessen sein. Wir sind da nicht konservativ unterwegs, aber es muss immer dem Ort und der Würde entsprechen. Meine Aufgabe ist, darauf zu achten, dass wir niemals die Würde der Toten verletzten, die hier begraben sind. Was wir in Deutschland aber gerne verwechseln: Friedhofsruhe ist nicht Totenstille.
Die Juden bezeichnen den Friedhof als der gute Ort. Da müssen wir wieder hin. Das ist die einzige Chance, dass Friedhöfe als Orte der Erinnerung und des Gedenkens überhaupt noch Bestand haben können.
Wie wird man überhaupt Friedhofsleiter? Und muss man etwas dafür gelernt haben?
Friedhofsleiter oder besser Friedhofsverwalter ist kein Beruf. Es ist eine Tätigkeit und tatsächlich kommen die meisten Kolleginnen und Kollegen aus dem "grünen Bereich". Die sind Gartenbauingenieure, hatten selbst mal eine Firma im Gartenbaubereich oder waren bei anderen Gartenämtern angestellt. Ich bin auch gelernter Gärtner, habe in Sanssouci angefangen, und ein alter Gärtner aus meinem Heimatdorf hat mich angesprochen, die suchen da jemand. Damals mit Anfang 20 hatte ich mich noch nicht damit beschäftigt, auf einem Friedhof zu arbeiten. Hier habe ich dann ein Jahr lang gegärtnert, und dann suchte die Kirche jemanden, der hier einsteigt.
Dann habe ich eine berufsbegleitende Verwaltungsausbildung gemacht, da kommt man in Deutschland nicht drumherum. In der Anfangszeit war natürlich auch nicht klar, was sich daraus entwickelt. Diese Vielfalt ist im Selbstlauf entstanden. Das hat der Ort mit einem, also auch mit mir, gemacht. Und ich habe es nie bereut. Es ist eine permanente Herausforderung und interessanterweise kommen auch immer neue Dinge zutage.
Wie kam es, dass Sie hier auf dem Friedhofsgelände wohnen?
Es gibt eine Wohnung, ein Inspektorenhaus, das ist am anderen Ende des Friedhofs. Da ist der Wirtschaftsbereich, da wohnen fünf Familien, die meisten sind Gärtner hier bei uns. Das ist schon auch ein gewisser Luxus, wenn man am Ort ist und am Wochenende nicht 20 Kilometer fahren muss, weil ich in drei Minuten mit dem Fahrrad da bin, wo ich hin muss.
Meine Tochter ist hier aufgewachsen, da gab es zunächst Bedenken, wie würde es mal werden, wenn sie in die Schule kommt. Aber die Mitschüler sind alle gerne gekommen. Heute mit Mitte 20 feiert sie manchmal noch ihre Geburtstage bei mir im Garten. Friedhöfe sind halt keine Gruselorte, sie sind wirklich schöne Orte - auch nachts.
Die Instandhaltung der Gräber kostet viel Geld. Es gibt sogenannte Grabpatenschaften. Erzählen Sie doch bitte, wie das genau funktioniert?
Die Patenschaften haben wir nicht erfunden. Das haben sich Kollegen in Köln und Hamburg überlegt, vor vielen Jahrzehnten. Wir praktizieren sie allerdings auch schon seit 2000.
Mit einer Grabpatenschaft übernimmt man die Verantwortung für ein altes Grab und trifft damit automatisch eine Vorsorge für den eigenen Tod, weil man da begraben werden kann. Das ist ein schöner Rettungsanker geworden für kunsthistorische Gräber, und zwar nicht nur für die Mausoleen und riesigen monumentalen Bauwerke, sondern auch für kleine Marmorstelen, die genauso erhaltenswert sind. Wir als Kirche, als Friedhof müssen uns um alle alten Gräber kümmern, wo es keine Familien mehr gibt, weil die automatisch in unser Eigentum fallen. Es könnten natürlich mehr Patenschaften sein, wir sind jetzt bei knapp über 90.
Der gesamte Friedhof ist quasi ein Wald mit Gräbern. Das Areal ist nicht nur ein Ort für Tote, sondern auch ein Lebensraum mit vielen Tieren und Pflanzen. Wirkt sich das auf die Friedhofsarbeit aus? Wie geht das zusammen?
Lange Zeit hat sich der Wildschweinbestand intensiv ausgewirkt. Das haben wir aber in den Griff bekommen mit einem großen Zaun.
Vor einigen Jahren haben wir den Friedhof von der Bundesumweltstiftung bewerten lassen. Zwei Jahre waren hier Spezialisten unterwegs, zum Beispiel einer, der war nur zuständig für Flechten und Moose. Der nächste ist nachts mit Keschern durch die Lichtungen gelaufen und hat die Schmetterlinge gezählt. Am Ende kam heraus, es ist der artenreichste Friedhof in Deutschland mit über 672 Tier- und Pflanzenarten. Flora und Fauna sind absolut unschlagbar hier.
Haben sich durch diese Erhebung Bereiche ergeben, die seither besonders geschützt werden müssen? Gibt es Flächen, die nicht mehr im Sinne des Friedhofs verwendet werden können?
Dazu haben wir uns damals ganz bewusst entschieden. Bei der gigantischen Fläche gibt es auch Teile, die wir nicht zwingend brauchen, also Bereiche, die sowieso schon massiv natürlich waren. Da gibt es schon seit 80 Jahren kein Grab mehr, da werden wir nicht mehr reingehen. Da liegen die Bäume kreuz und quer, aber genau dadurch gibt es hier diese Vielfalt. Es gab dort Erstfunde von Pflanzen, die auf der Roten Liste stehen. Das ist unfassbar, was hier zu finden ist.
War denn die Zeit der deutschen Teilung für den Friedhof ein glücklicher Umstand, was den Naturschutz angeht?
Es gibt an der Zeit der deutschen Teilung nicht viel Gutes, politisch katastrophal und für den Friedhof denkmalpflegerisch wirklich katastrophal. Das Einzige, was dem Friedhof sehr zugute gekommen ist und heute den Zahn der Zeit trifft, war diese zwangsläufige Naturbelassenheit, die schon vor 114 Jahren bei der Eröffnung hier angedacht war. Die laufende Bewirtschaftung mit der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist finanziell schwer und deshalb machen wir aus der Not eine Tugend und pflegen die Natürlichkeit.
Haben Sie einen Lieblingsort?
Die schöne Sichtachse vor der Kapelle, die liebe ich total. Da schlägt mein Gärtnerherz hoch, denn je weiter ich mich entferne, sehe ich nichts mehr von den Dingen vor der Kapelle. Was der Gartenarchitekt geschaffen hat, ist so genial und simpel und deshalb ein Lieblingsplatz.
Und dann habe ich noch einen Lieblingsplatz, wo ich selber auch am Ende begraben sein werde, wo mein Grab schon ist. Der Grabstein ist eine Stele mit einer Weltkugel und Ewigkeitssymbolen oben drauf und daneben mit einem hübschen Platz, wo man sitzen kann. Man hofft ja, dass da vielleicht mal jemand sitzt mit einem Glas Wein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sebastian Hampf für rbb|24.