Investoren im Milieuschutzgebiet - Mieter in Berlin-Wedding fürchten Verdrängung
Der Verkauf zweier Immobilien in einem Milieuschutzgebiet im Wedding verunsichert die Mietergemeinschaft und wirft Fragen auf. Warum nutzte der Bezirk sein Vorkaufsrecht nicht? Was hat der Investor vor, und werden die Mieter nun verdrängt? Von Yasser Speck
Raiko Sanchez wohnt seit über zwei Jahren im Wedding. Der 35Jährige mag die Gegend rund um den Leopoldplatz. Er wohnt in einer Zweier-WG in der Groninger Straße in einem eierschalengelben Haus. Mit seiner Vermietung gab es nie Stress.
Doch dann tauchte Anfang 2024 plötzlich ein handgeschriebener Zettel im Treppenhaus auf. Das Haus sei an einen Investor verkauft worden, heißt es in dem anonymen Schreiben.
Auch Modernisierungen können im Milieuschutzgebiet Verdrängung bedeuten
Im Juni 2024 stellt sich die Immobilienfirma Spreewater bei Sanchez und den anderen Mieterinnen und Mieter per Post als neue Eigentümerin vor. Erst dann habe die Firma im Grundbuch gestanden und erst dann habe sie sich auch bei den Mieterinnen und Mietern vorstellen müssen.
Doch schon im Februar dieses Jahres hat Sanchez sein Wohnhaus auf der Webseite von Spreewater gefunden. Dort ist ein Bild der Immobilie zu sehen, wie sie in Zukunft wohl saniert aussehen soll. Die Fassade erstrahlt nun grau, statt eierschalengelb. Geschrieben steht, dass Spreewater plant, die Immobilie "energetisch zu sanieren und mittels Dachaufstockung zusätzlichen Wohnraum" zu schaffen. Sanchez hat Angst, dass er verdrängt wird. Die Mieterinnen und Mieter sind verunsichert und fürchten, dass die Investoren teuer modernisieren oder luxussanieren wollen - und die Wohnungen für sie unbezahlbar werden. Luxussanieren darf Spreewater allerdings gar nicht, denn die Groninger Straße ist Teil eines Milieuschutzgebietes.
In Milieuschutzgebieten sollen soziale Erhaltungsverordnungen (umgangssprachlich Milieuschutzverordnungen) die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung schützen und Vedrängung verhindern. Spreewater muss also jede Sanierungsmaßnahme mit dem Bezirk abstimmen. Die Investoren beteuern, das auch tun zu wollen. Der Bezirk will darauf ein genaues Auge werfen. "Alle baulichen Änderungen am Objekt und in einzelnen Wohneinheiten sind erhaltungsrechtlich genehmigungspflichtig und werden bei Antragstellung auf deren Verdrängungsgefahr hin überprüft", teilt ein Sprecher des Bezirks mit. Die Mieter haben, so Experte Bartels, auch das Recht, das Bezirksamt zu kontaktieren, um zeitnah Informationen zu erhalten und Akteneinsicht zu verlangen.
Doch auch bei einer Modernisierung könne sich die Miete erheblich erhöhen, erklärt der Jurist Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein. "Schon eine normale Modernisierung, sei es durch neue Heizungen, durch Fassadendämmung oder durch einen Aufzug, ist sehr teuer heutzutage." Acht Prozent dieser Kosten dürfte der Vermieter pro Jahr auf jede Wohnung umlegen. Das könnten sich nicht alle leisten, so Bartels. "Daher haben wir nach wie vor durch Modernisierungen eine Verdrängungsgefahr."
Was ist mit dem Vorkaufsrecht?
Um einer möglichen Verdrängung entgegenzuwirken, hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht, wenn eine Immobilie in einem Milieuschutzgebiet verkauft werden soll. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 2021 ist das für Bezirke allerdings nicht mehr so leicht umzusetzen. Ein Bezirk kann das Vorkaufsrecht nur ausüben, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Die Immobilie muss außerordentliche Verwahrlosung und Baufälligkeit oder erheblichen Leerstand aufweisen. Der Bezirk beteuert, die Immobilien in der Groninger Straße auf einen möglichen Vorkauf begutachtet zu haben. "In diesem Fall kam die Prüfung zu dem Ergebnis, dass kein Vorkaufsrecht bestand", teilt ein Sprecher rbb|24 schriftlich mit.
Viele Mängel am Haus
Die Mieterinnen und Mieter hätten sich allerdings eine gründlichere Prüfung gewünscht. Seit fast 40 Jahren wohnt Hans-Joachim Harnisch in der Groninger Straße. Im Haus wird er liebevoll nur Hansi genannt. Er kennt das Haus in und auswendig, denn er hat es über die Jahre als Hausmeister betreut.
Dass der Bezirk keine Baufälligkeit feststellen konnte, verwundert ihn. "Das Haus ist ein Trümmerhaufen. Es sackt vorne ab, der Keller ist überschwemmt und es regnet durch", erklärt der fast 80-Jährige. Dass an dem Haus etwas getan werden muss, verstehen die Mieterinnen und Mieter.
Beschwerde gegen Spreewater-Mitarbeiter
Die Spreewater GmbH ist eine Immobilienfirma aus Berlin-Charlottenburg. Dass es den Investoren bei dem Kauf um Rendite geht, wird in einem schriftlichen Statement deutlich, das noch im Februar auf der Webseite des Unternehmens zu lesen war: "Wir sind überzeugt, dass die Mieten – vor allem in beliebten Wohngegenden wie dem Leopoldkiez – weiter steigen werden." Mittlerweile findet sich diese Passage nicht mehr auf der Homepage. Kurz nachdem die Firma die Immobilie gekauft hat, flatterten auch schon die ersten Mieterhöhungen rein.
Die Mieterinnen und Mieter sollten nun 15 Prozent mehr bezahlen - das rechtlich erlaubte Maximum. Viele lehnten diese Erhöhung ab. Kurz darauf trat plötzlich ein Mitarbeiter der Immobilienfirma im Haus auf. Die Investoren sagen, sie hätten "einen Vertreter der Spreewater GmbH mit der persönlichen Betreuung vor Ort beauftragt, der Wünsche und Anregungen der Bewohner entgegennimmt." Die Mieterinnen und Mieter zeichnen ein anderes Bild.
Der Mann soll wiederholt durch negatives Verhalten aufgefallen sein. Er habe im Hausflur gewartet und Mieterinnen und Mieter abgefangen und sie dazu bewegen wollen, die Mieterhöhungen zu unterschreiben. Außerdem soll er bei einzelnen wiederholt geklingelt oder geklopft haben. Ein Mieter hat bei der Immobilienfirma sogar eine Beschwerde gegen den Mitarbeiter eingereicht. Spreewater bestätigt auf rbb|24-Anfrage, den Eingang einer Beschwerde, bestreitet jedoch ein Fehlverhalten seitens ihres Mitarbeiters.
Mieterschutzbund rät zu Rechtsbeistand
Die Modernisierungsarbeiten am Haus können die Mieterinnen und Mieter nicht verhindern. Das bestätigt der Jurist des Mieterschutzbunds Christoph Albrecht. "Sie können es verzögern, sie können es behindern, aber wohl nicht verhindern." Der Mieterschaft der Groninger Straße drei und fünf rät Albrecht, "sich eine Rechtsschutzversicherung zu besorgen und Mitglied im Mieterverein, Mieterschutzbund oder Mietergemeinschaft zu werden." Nur dann könne man den Aktionen der neuen Eigentümer entgegenwirken. Hans-Joachim "Hansi" Harnisch hat das getan. Die Mieterinnen und Mieter der 30 Wohnungen in der Groninger Straße drei und fünf haben sich organisiert. Sie haben eine Whatsapp Gruppe und treffen sich immer wieder. Gemeinschaftlich wollen sie die Mieterhöhungen weiterhin ablehnen - zur Not würden sie auch vor Gericht gehen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 29.08.2024, 19:30 Uhr