Investoren im Milieuschutzgebiet - Mieter in Berlin-Wedding fürchten Verdrängung

Do 29.08.24 | 15:12 Uhr | Von Yasser Speck
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Luxussanierungen
Bild: rbb

Der Verkauf zweier Immobilien in einem Milieuschutzgebiet im Wedding verunsichert die Mietergemeinschaft und wirft Fragen auf. Warum nutzte der Bezirk sein Vorkaufsrecht nicht? Was hat der Investor vor, und werden die Mieter nun verdrängt? Von Yasser Speck

Raiko Sanchez wohnt seit über zwei Jahren im Wedding. Der 35Jährige mag die Gegend rund um den Leopoldplatz. Er wohnt in einer Zweier-WG in der Groninger Straße in einem eierschalengelben Haus. Mit seiner Vermietung gab es nie Stress.

Doch dann tauchte Anfang 2024 plötzlich ein handgeschriebener Zettel im Treppenhaus auf. Das Haus sei an einen Investor verkauft worden, heißt es in dem anonymen Schreiben.

Auch Modernisierungen können im Milieuschutzgebiet Verdrängung bedeuten

Im Juni 2024 stellt sich die Immobilienfirma Spreewater bei Sanchez und den anderen Mieterinnen und Mieter per Post als neue Eigentümerin vor. Erst dann habe die Firma im Grundbuch gestanden und erst dann habe sie sich auch bei den Mieterinnen und Mietern vorstellen müssen.

Doch schon im Februar dieses Jahres hat Sanchez sein Wohnhaus auf der Webseite von Spreewater gefunden. Dort ist ein Bild der Immobilie zu sehen, wie sie in Zukunft wohl saniert aussehen soll. Die Fassade erstrahlt nun grau, statt eierschalengelb. Geschrieben steht, dass Spreewater plant, die Immobilie "energetisch zu sanieren und mittels Dachaufstockung zusätzlichen Wohnraum" zu schaffen. Sanchez hat Angst, dass er verdrängt wird. Die Mieterinnen und Mieter sind verunsichert und fürchten, dass die Investoren teuer modernisieren oder luxussanieren wollen - und die Wohnungen für sie unbezahlbar werden. Luxussanieren darf Spreewater allerdings gar nicht, denn die Groninger Straße ist Teil eines Milieuschutzgebietes.

In Milieuschutzgebieten sollen soziale Erhaltungsverordnungen (umgangssprachlich Milieuschutzverordnungen) die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung schützen und Vedrängung verhindern. Spreewater muss also jede Sanierungsmaßnahme mit dem Bezirk abstimmen. Die Investoren beteuern, das auch tun zu wollen. Der Bezirk will darauf ein genaues Auge werfen. "Alle baulichen Änderungen am Objekt und in einzelnen Wohneinheiten sind erhaltungsrechtlich genehmigungspflichtig und werden bei Antragstellung auf deren Verdrängungsgefahr hin überprüft", teilt ein Sprecher des Bezirks mit. Die Mieter haben, so Experte Bartels, auch das Recht, das Bezirksamt zu kontaktieren, um zeitnah Informationen zu erhalten und Akteneinsicht zu verlangen.

Doch auch bei einer Modernisierung könne sich die Miete erheblich erhöhen, erklärt der Jurist Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein. "Schon eine normale Modernisierung, sei es durch neue Heizungen, durch Fassadendämmung oder durch einen Aufzug, ist sehr teuer heutzutage." Acht Prozent dieser Kosten dürfte der Vermieter pro Jahr auf jede Wohnung umlegen. Das könnten sich nicht alle leisten, so Bartels. "Daher haben wir nach wie vor durch Modernisierungen eine Verdrängungsgefahr."

Was ist mit dem Vorkaufsrecht?

Um einer möglichen Verdrängung entgegenzuwirken, hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht, wenn eine Immobilie in einem Milieuschutzgebiet verkauft werden soll. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 2021 ist das für Bezirke allerdings nicht mehr so leicht umzusetzen. Ein Bezirk kann das Vorkaufsrecht nur ausüben, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Die Immobilie muss außerordentliche Verwahrlosung und Baufälligkeit oder erheblichen Leerstand aufweisen. Der Bezirk beteuert, die Immobilien in der Groninger Straße auf einen möglichen Vorkauf begutachtet zu haben. "In diesem Fall kam die Prüfung zu dem Ergebnis, dass kein Vorkaufsrecht bestand", teilt ein Sprecher rbb|24 schriftlich mit.

Viele Mängel am Haus

Die Mieterinnen und Mieter hätten sich allerdings eine gründlichere Prüfung gewünscht. Seit fast 40 Jahren wohnt Hans-Joachim Harnisch in der Groninger Straße. Im Haus wird er liebevoll nur Hansi genannt. Er kennt das Haus in und auswendig, denn er hat es über die Jahre als Hausmeister betreut.

Dass der Bezirk keine Baufälligkeit feststellen konnte, verwundert ihn. "Das Haus ist ein Trümmerhaufen. Es sackt vorne ab, der Keller ist überschwemmt und es regnet durch", erklärt der fast 80-Jährige. Dass an dem Haus etwas getan werden muss, verstehen die Mieterinnen und Mieter.

Beschwerde gegen Spreewater-Mitarbeiter

Die Spreewater GmbH ist eine Immobilienfirma aus Berlin-Charlottenburg. Dass es den Investoren bei dem Kauf um Rendite geht, wird in einem schriftlichen Statement deutlich, das noch im Februar auf der Webseite des Unternehmens zu lesen war: "Wir sind überzeugt, dass die Mieten – vor allem in beliebten Wohngegenden wie dem Leopoldkiez – weiter steigen werden." Mittlerweile findet sich diese Passage nicht mehr auf der Homepage. Kurz nachdem die Firma die Immobilie gekauft hat, flatterten auch schon die ersten Mieterhöhungen rein.

Die Mieterinnen und Mieter sollten nun 15 Prozent mehr bezahlen - das rechtlich erlaubte Maximum. Viele lehnten diese Erhöhung ab. Kurz darauf trat plötzlich ein Mitarbeiter der Immobilienfirma im Haus auf. Die Investoren sagen, sie hätten "einen Vertreter der Spreewater GmbH mit der persönlichen Betreuung vor Ort beauftragt, der Wünsche und Anregungen der Bewohner entgegennimmt." Die Mieterinnen und Mieter zeichnen ein anderes Bild.

Der Mann soll wiederholt durch negatives Verhalten aufgefallen sein. Er habe im Hausflur gewartet und Mieterinnen und Mieter abgefangen und sie dazu bewegen wollen, die Mieterhöhungen zu unterschreiben. Außerdem soll er bei einzelnen wiederholt geklingelt oder geklopft haben. Ein Mieter hat bei der Immobilienfirma sogar eine Beschwerde gegen den Mitarbeiter eingereicht. Spreewater bestätigt auf rbb|24-Anfrage, den Eingang einer Beschwerde, bestreitet jedoch ein Fehlverhalten seitens ihres Mitarbeiters.

Mieterschutzbund rät zu Rechtsbeistand

Die Modernisierungsarbeiten am Haus können die Mieterinnen und Mieter nicht verhindern. Das bestätigt der Jurist des Mieterschutzbunds Christoph Albrecht. "Sie können es verzögern, sie können es behindern, aber wohl nicht verhindern." Der Mieterschaft der Groninger Straße drei und fünf rät Albrecht, "sich eine Rechtsschutzversicherung zu besorgen und Mitglied im Mieterverein, Mieterschutzbund oder Mietergemeinschaft zu werden." Nur dann könne man den Aktionen der neuen Eigentümer entgegenwirken. Hans-Joachim "Hansi" Harnisch hat das getan. Die Mieterinnen und Mieter der 30 Wohnungen in der Groninger Straße drei und fünf haben sich organisiert. Sie haben eine Whatsapp Gruppe und treffen sich immer wieder. Gemeinschaftlich wollen sie die Mieterhöhungen weiterhin ablehnen - zur Not würden sie auch vor Gericht gehen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 29.08.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Yasser Speck

75 Kommentare

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  1. 75.

    Tja, es wird überhaupt nicht berücksichtigt, dass eine Immobilie erst gekauft werden muss, um überhaupt etwas zum vermieten zu haben, und diese hunerttausende Euros, die werden vorher gezahlt, um anschließend von den Mietern über mindestens 20 Jahre lang eingesammelt zu werden, erst danach kommt man in die Gewinnzone.
    Also ich für mich denke, eine Immobilie zum vermieten, nein Danke, auf gar keinen Fall!

  2. 74.

    Natürlich werden diese Kosten auf die Mieter umgelegt, denn sonst würde der Vermieter draufzahlen. Und für Wertsteigerung gibt es zum einen keine Garantie und zum anderen fallen die Immobilienpreise gerade wieder. Außerdem hat man erstmal nichts von einer Wertsteigerung, denn die existiert nur auf dem Papier und kommt erst zu tragen, wenn man verkauft. Und warum genau sollte man das Risiko, die Arbeit und den ganzen Ärger auf sich nehmen, wenn man keine Rendite erwirtschaften darf?

  3. 73.

    Auch dort können Sie Einsicht in die Rechnungen nehmen und mit anderen Anbietern vergleichen. Wenn tatsächlich Wucherpreise genommen werden, können Sie dagegen vorgehen. Ich halte es allerdings für ein Gerücht, dass sich Wohnungsbaugesellschaften auf diese Art bereichern und die ganzen Kleinvermieter haben diese Möglichkeit gar nicht. Also nur wieder Stimmungsmache gegen Vermieter.

  4. 72.

    Diese Kosten werden 1:1 auf den Mieter umgelegt und dem Vermieter so die Wertsteigerung bezahlt.

    Es ist schon merkwürdig wie unehrlich hier von Vermieterseite argumentiert wird. Entweder haben die wirklich keine Ahnung oder man will Mieter für dumm verkaufen.

  5. 71.

    Wenn Sie ernsthaft der Meinung sind, dass eine Immobilie nach der Anschaffung nichts mehr kostet, sollten Sie sich vielleicht mal schlau machen. Es muss ständig etwas am Haus gemacht werden, sonst verfällt es einfach und ist bald nicht mehr bewohnbar. Und da Handwerkerkosten inzwischen explodiert sind, reichen die Bestandsmieten oft nicht mehr aus um genügend Rücklagen für Reparaturen zu bilden. Sie können sich ja mal ein paar Kostenvoranschläge geben lassen für z.B. das Streichen der Fenster, die Fassade neu streichen und Putzschäden ausbessern, Reparatur der Heizung, Brandschutz erneuern, Schäden am Dach reparieren ect. Ich wünschte wirklich die Eigentümerquote in Deutschland wäre wie in andern Ländern, dann würde so mancher Mieter mal sehen, wieviel Arbeit, Zeit und Kosten mit einer Immobilie verbunden sind und würden nicht mehr so große Töne spucken.
    Und im übrigen würden Mieter ohne Vermieter auch ganz schön blöd aus der Wäsche gucken.

  6. 70.

    *59
    "Von den Nebenkosten haben Vermieter leider aber nichts. Und jetzt?"

    Viele Vermieter, gerade die Privaten Wohnungsbaukonzerne, gründen eigene Firmen, (Gartenarbeit, Hauswartstelle, Reinigung usw.)und denen wird der Auftrag für oben genannte Arbeiten zugeteilt. Und das sind oft sehr teure Tarive, die die Wohnungsbaukonzerne dort ansetzen. Dadurch verdienen die Vermieter sich eine goldene Nase. Und jetzt?

  7. 68.

    Welche Kosten haben Sie denn für Ihre Immobilien? Die Anschaffungskosten - ok. Und weiter?
    Betriebskosten werden auf die Mieter umgelegt, also ein durchlaufender Posten. Modernisierung wird umgelegt (bis auf ewig.
    Letzen Endes geht es um Ihre Mietrendite. Ich finde es ja immer witzig, wenn Vermieter so tun, als ob sie reine Wohltäter wären und die Mieter die Schmarotzer. Fakt ist aber auch, dass Vermieter ohne Mieter nichts wären, nur Immobilienbesitzer. Und Leerstand bedeutet Verlust, auch wenn hier so mancher anderes behauptet.
    Was passiert denn auf dem Berliner Wohnungsmarkt? Es werden Immobilien in unattraktiverer Lage erworben, diese werden (luxus-)saniert und teuer/teurer vermietet/ weiterverkauft. Kann man überall beobachten. Nennt sich Gentrifizierung, bedeutet aber, dass dort ansässige Menschen mit meist geringerem Einkommen verdrängt werden.
    Wo werden diese dann wohnen? Das ist eine Sache, die politisch angegangen werden m u s s, denn Vermietern ist das schlichtweg egal.

  8. 67.

    Berlin hat den Mietendeckel beschlossen, und das Bundesverfassunggericht hat es "einkassiert".

    Manche reden sich ein, dass diese Republik ein Basar sei, und schämen sich nicht, diese Lüge laut auszuposaunen.

  9. 66.

    Sie meinen den Mietendeckel von RRG, der vor dem BVerfG krachend gescheitert ist?

    Niemand kann vermieten, wenn die Miete nicht die Kosten deckt. Ein Mietendeckel sorgt nicht für geringere Mieten, sondern für weniger Mietwohnungen.

    Die Kosten der Vermieter steigen stärker als die Mieten.

    Meine Mieter in Kreuzberg zahlen auch 13 Eur netto kalt. Das ist gerade kostendeckend. Modernisierung ist da nicht möglich.

  10. 65.

    Und das genau verstehen viele Menschen nicht. Aber auf Vermieter zu schimpfen ist ja auch einfacher als sich mit der Materie zu beschäftigen und Hintergründe zu verstehen.

    Viele Vermieter lassen ihre Wohnungen leer stehen. Kein Wunder, bei diesem Hass auf Vermieter und Investoren.

    Übrigens kann auch ein kommunaler Vermieter weder preiswerter bauen noch günstiger vermieten.

    Meine Wohnungen in Kreuzberg kosten auch 13 Euro netto kalt.

  11. 64.

    .....und wird es für Sie dann dieses Jahr sehr schwierig bei der Jahresabrechnung der Betriebskosten, mit der prozentualen Beteiligung an den CO2-Kosten bei Heizung und Warmwasser für Sie als Vermieter oder geht es bei Ihren vielen Wohnungen?

  12. 60.

    Da unterschätzen Sie die Kreativität vieler Immobilienhaie aber gewaltig.

  13. 58.

    Wenn Ihnen die Nebenkosten zu hoch sind, müssen Sie sich aber nicht an den Vermieter wenden, sondern an die entsprechenden Dienstleister . Z.B. Wasserwerke, Müllabfuhr, Energieversorger, Anbieter der Gartenarbeiten. Kammerjäger ect. Sie können ja mal versuchen günstigere Anbieter zu finden.

  14. 57.

    Die Mieten müssen rauf - es hilft alles nichts.

    Modernisierung/Klimaschutz kostet halt...

  15. 56.

    Immer wieder dasselbe Märchen: In Berlin wohnen Bestandsmieter billig. Oh je.Die Nebenkosten gelten mittlerweile als 2.Miete. Wenn Sie hier Vermieterinteressen vertreten-OK. Aber lassen Sie es, das Lied von den angeblich billigen Mieten zu singen.

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