AfD-Antrag im Brandenburger Landtag - Kulturkampf um Sexualaufklärung
Wenn kleine Kinder ihren Körper und ihre Gefühle entdecken, sind Eltern und Kita-Erzieher mitunter überfordert. Was ist erlaubt? Was geht zu weit? Die AfD macht aus dieser Unsicherheit gerade ein Politikum. Auch im Brandenburger Landtag. Von Markus Woller
Einen "Kampfbegriff" nennt Sandra Schramm von Pro Familia das, womit die AfD gerade bundesweit in verschiedene Landtage geht. Die Kampagne gegen eine vermeintliche "Frühsexualisierung" von Kindern hat in dieser Woche auch Einzug in den Brandenburger Landtag gehalten.
Dabei knüpfe die Partei geschickt an bestehende Vorbehalte und Ängste von Eltern beim Umgang mit frühkindlichen sexuellen Entdeckungen an, sagt Jörg Maywald, Experte für Kinderrechte und Kinderschutz an der Fachhochschule Potsdam. Viele Mütter und Väter seien schließlich verunsichert, wenn schon Kita-Kinder ihre Gefühle erforschen wollen und dabei masturbieren.
AfD will Thema Sexualität aus Schule und Kita fernhalten
Aber: Jeder Kindergarten kenne das, so Maywald. "Da müssen wir einerseits aufpassen, Kinder nicht zu beschämen oder etwas zu verbieten, was zu einer natürlichen Entwicklung dazugehören kann – aber nicht muss", so Maywald. Zugleich müsse das Kind auch vor sich selbst geschützt werden, wenn es solche Handlungen in der Öffentlichkeit vollzieht. Dazu brauche es gut ausgebildete und für solche Themen sensibilisierte Erzieher, sagt der Experte.
Die AfD würde das Thema gern aus Kitas fernhalten, Weiterbildungen für Erzieher stoppen und die Sexualaufklärung in ihrer jetzigen Form beenden - und forderte dies mit einem Antrag im Brandenburger Landtag. Der Abgeordnete Volker Nothing sieht eine Gefahr für Kinder, die in Kitas und Schule zu früh an das Thema Sexualität herangeführt und "permanent damit konfrontiert" würden. Er sagt, dahinter stecke eine Strategie: "Unter dem Deckmantel einer sogenannten sexuellen Bildung und einer angeblichen Missbrauchsprävention vollzieht sich weitgehend ohne Kenntnis und Einflussmöglichkeit der Eltern eine zweite, stille sexuelle Revolution, die dieses Mal Kinder ins Visier nimmt", so Nothing im Landtag. Es müsse die Reißleine gezogen werden.
Einzelfälle sollen These belegen
Nahrung erhält die Kampagne der AfD zum einen durch Fälle, wie jüngst in Hannover. Dort wollte eine Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt einen Raum einrichten, in dem Kinder ihre Körper und Sexualität entdecken können. Das Landesjugendamt hat die Pläne gestoppt. Für die AfD ein Beleg für ihre These der "überdrehten Sexualität in unserer Gesellschaft", die Täter anstachele, übergriffig zu werden. Zudem biete die Geschichte der Sexualwissenschaft, in der auch die aktuellen Aufklärungs-Konzepte fußten, historisch Angriffsfläche, so die AfD, weil ein wichtiger Vordenker aus den 70er und 80er Jahren sich später als Pädo-Krimineller herausstellte.
Experte Jörg Maywald hält diese Verquickung von Argumenten für "unhaltbar". Der Antrag der AfD enthalte eine Kombination aus Selbstverständlichkeiten, zum Beispiel, dass Kinder nicht sexualisiert werden dürften. Selbstverständlich würden in Einrichtungen die natürlichen Schamgrenzen von Kindern respektiert und Kinderschutzkonzepte durchgesetzt. Die heutige Sexualpädagogik habe sich zudem von seiner historischen Last längst emanzipiert. Man habe mittlerweile einen Fachstandart, der "so was von klar ist". Jede Form von sexuellen Kontakten zwischen Kindern und Jugendlichen zu Erwachsenen sei tabuisiert und strafbar. Es gehe bei der aktuellen Sexualpädagogik um achtsame Begleitung, nicht um Sexualisierung. Vielmehr hätten die Kinder selbst Fragen, die kompetenter Beantwortung bedürften.
SPD-Politikerin kritisiert Antrag scharf
Die Sprecherin der SPD für frühkindliche Bildung im Landtag, Elske Hildebrandt, sieht im Antrag auch den Versuch, das gesamte Feld der sexuellen Bildung zu diskreditieren. Es werde alles in einen Topf geworfen, von Pädophilie und "Gender-Ideologie" bis hin zu Homofeindlichkeit, so Hildebrandt im Landtag. Dabei seien die aktuell angewendeten Aufklärungs-Konzepte wichtig, um den Nachwuchs vor sexuellem Missbrauch zu schützen und Kindern und Pädagogen einen sicheren Rahmen und Handlungssicherheit in Kitas zu geben. Dafür brauche es unbedingt die Weiterbildungsangebote, die mit dem Antrag verhindert werden sollten.
Sandra Schramm von der Familienberatungsstelle Pro Familia sieht genau darin den Widerspruch, der im Antrag steckt: "Einerseits wird gesagt, uns ist diese Zielgruppe Kinder und Jugendliche sehr wichtig. Aber es wird etwas getan, was dieser Zielgruppe extrem schadet", so die Landesgeschäftsführerin.
AfD nennt Falschmeldung als Beispiel in Brandenburg
Die AfD versucht schon seit längerem, mit dem Thema der angeblichen "Frühsexualisierung" zu punkten. Im Netz werden vermeintliche Beispiele immer mal wieder thematisiert. In Brandenburg verwies die Partei im Vorfeld der Debatte erst jüngst auf einen schon älteren "Fall" aus Teltow, "wo mal so ein bisschen was an die Oberfläche" gekommen sei, wie Volker Nothing es ausdrückt.
Der Vorgang ist für die Diskussion tatsächlich interessant: Dort, so wurde von Partei-Mitgliedern und der Unterorganisation Junge Alternative im Netz behauptet, soll eine Sozialpädagogin 2020 "Masturbationszimmer" für Kinder gefordert haben.
Faktenchecks der Nachrichtenagenturen DPA und AFP haben schon kurz nach der ersten Veröffentlichung im Dezember 2020 ein anderes Bild gezeichnet. Im AFP-Faktencheck heißt es als Fazit: "Die bundesweit verbreitete Behauptung, eine Sozialpädagogin habe 'Masturbationszimmer' für Kinder gefordert, ist falsch. Sie beruht auf der Falschmeldung der lokalen Zeitung eines ehemaligen AfD-Politikers in Teltow."
Trotzdem entstanden auch später noch weitere Online-Posts, die sich auf die Falschmeldung beriefen. Bis heute sind diese auf Seiten von AfD-Politikern und Organisationen abrufbar.
Der Antrag im Brandenburger Landtag wurde am Donnerstag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Sendung: radioeins, 19.10.2023, 17:10 Uhr