Von Nazis brutal niedergeschlagen - Warschauer Aufstand jährt sich zum 80. Mal - gedacht wird auch in Berlin
Am 1. August 1944 begann die polnische Heimatarmee einen Aufstand gegen die deutschen Besatzer. Er wurde niedergeschlagen. 80 Jahre später sind Warschau und Berlin Partnerstädte. Wie kann gemeinsames Gedenken gelingen? Von Ann Kristin Schenten
Was von Warschau übrig blieb, hat man südlich des Zentrums wieder aufgeschüttet. Nahe der Weichsel liegt der "Hügel des Warschauer Aufstands". Eine Erhebung aus Trümmern, wie man sie auch aus Berlin kennt. Nur dass hier, am Rande des Stadtbezirks Mokotów - dem Partnerbezirk von Treptow-Köpenick - das aufgetürmt wurde, was die Deutschen 1944 zerstörten. Ein Berg aus Schutt, Asche und den Ruinen der Stadt.
"Ein gigantisches Verbrechen"
Der Warschauer Aufstand ist eine der wichtigsten und schmerzhaftesten Erinnerungen der Polinnen und Polen. Nach fünf Jahren deutscher Besatzung erhob sich am 1. August 1944 die "Armia Krajowa" (die Heimatarmee – kurz AK) gegen die Wehrmacht. Der Aufstand begann, obwohl am anderen Ufer der Weichsel schon die Rote Armee stand. Die griff allerdings nicht ein, genauso wenig wie die Alliierten.
63 Tage konnte die AK den Widerstand aufrechterhalten, dann wurde er von Wehrmacht und SS niederschlagen und Warschau fast vollständig zerstört. "Dabei wurden mindestens 150.000, vermutlich 180.000 Zivilisten getötet", erzählt Stephan Lehnstaedt, Professor für Holocaust Studien und Jüdische Studien an der Touro University Berlin. Er hat jüngst die erste deutschsprachige Monografie über den Warschauer Aufstand veröffentlicht: "Es war ein gigantisches Verbrechen, das die Deutschen in Warschau verübt haben." Insgesamt spricht man von fast 200.000 Todesopfern. Es gilt als eines der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen.
"In Berlin wissen viele nichts über den Warschauer Aufstand"
In diesem Jahr jährt sich der Aufstand zum 80sten Mal. Am 1. August um Punkt 17 Uhr wird Warschau für einen Moment stillstehen. Es ist die "Godzina-W", die "Stunde-W", der Beginn des Warschauer Aufstandes. "Sogar auf den Schnellstraßen halten die Menschen dann ihre Autos an, steigen aus und halten inne", berichtet Stephan Lehnstaedt. In Berlin hingegen war der Warschauer Aufstand oftmals eher eine Randnotiz in der historischen Aufarbeitung, meint Anita Baranowska-Koch, Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Berlin.
"Ich habe zwischen 2018 und 2022 Ausstellungen in Berlin organisiert, bei denen auch der Warschauer Aufstand Thema war. Die Leute haben mich gefragt: 'Was war das eigentlich?' Mir ist bewusst geworden, dass viele meiner deutschen Freunde, Bekannte und Unbekannte überhaupt nichts über den Warschauer Aufstand wissen. Die haben etwas gehört über den Ghetto-Aufstand 1943 in Warschau. Aber es gab hier zwei Aufstände."
Sie will die Wissenslücken schließen, auch aus persönlichen Gründen. Ihr Stiefvater war Teil der polnischen Heimatarmee. Ihre Mutter ebenfalls im Widerstand. Darüber hat die Familie allerdings lange nicht gesprochen. Anita Baranowska-Koch hat sich die Aufarbeitung zur späten Lebensaufgabe gemacht.
Sie ist selbst in Warschau aufgewachsen, im besagten Bezirk Mokotów zur Schule gegangen und hat später einen Deutschen geheiratet. Jetzt lebt sie in Berlin. In diesem Jahr ist sie zu den Feierlichkeiten mit einer Gruppe Interessierter in die polnische Hauptstadt gekommen. Den Hügel des Warschauer Aufstands in Mokotów haben sie direkt am ersten Tag besucht.
Neues Wandgemälde in Berlin
Mokotów war einer der zentralen Orte des Warschauer Aufstandes, doch die Heimatarmee erlitt hier bereits in der ersten Nacht schwere Verluste. Von Wehrmacht und SS gefangen genommene Aufständische wurden erschossen. Am 2. August ermordeten deutsche Soldaten im Mokotów-Gefängnis rund 600 Gefangene.
80 Jahre später gibt es die Bezirkspartnerschaft zwischen Mokotów und Treptow-Köpenick. Anita Baranowska-Koch hat sich entschlossen, den Warschauer Aufstand auch in dem Berliner Bezirk sichtbar werden zu lassen. Dafür hat sie die Warschauer Künstlerin Maria Michón und den polnischen Maler Dariusz Paczkowski gebeten, zusammen mit Jugendlichen aus Berlin und Warschau ein Wandgemälde in Treptow-Köpenick zu gestalten.
Fertiggestellt wurde es Anfang Juli am Groß-Berliner Damm 154 zwischen den Ortsteilen Johannisthal und Adlershof. "Wir haben uns dafür entschieden, die rot-weißen Armbinden der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer als Grundlage für das abstrakte Wandgemälde zu verwenden", erzählt Maria Michón, die mittlerweile wieder in ihrem Atelier in Warschau arbeitet. "Viele der Malereien über den Aufstand in der Stadt hier sind relativ brutal und direkt, wir wollten in Berlin etwas Subtileres schaffen. Etwas, dass sich in den Alltag der Menschen einfügt." Dariusz Paczkowski, der ebenfalls in Warschau lebt, fügt hinzu: "Wir wollten nicht wieder eine Geschichte über das Trauma erzählen, sondern eine Verbindung schaffen."
Städtepartnerschaft als Zeichen der Aussöhnung
Diese Verbindung besteht nicht nur zwischen Mokotów und Treptow-Köpenick, auch die Hauptstädte selbst pflegen seit über 30 Jahren eine Partnerschaft. "Nicht selbstverständlich", sagt der Historiker Stephan Lehnstaedt. "Die Auslöschung Warschaus und die Ermordung von 180.000 Einwohnern wurden von Berlin aus initiiert. Unter der NS-Spitze gab es die explizite Vorstellung, Warschau aus symbolischen Gründen zu zerstören. Insofern ist diese Städtepartnerschaft ein Zeichen der deutsch-polnischen Aussöhnung."
Eine Verbindung, die, wenn es nach Anita Baranowska-Koch geht, über Politik und Bürokratie hinausgehen soll. Ihr geht es um Austausch: "Die Jugendlichen, die das Wandgemälde gemeinsam mit den Künstlern gestaltet haben, waren Mitte Juni zu Besuch in Warschau. Sie haben auch das Museum des Warschauer Aufstandes besichtigt und mit ehemaligen Aufständischen gesprochen. Das waren sehr emotionale Gespräche. Die Aufständischen hatten sogar ein paar Wörter Deutsch gelernt. Das hat mich sehr bewegt."
"Man darf sich nicht verstecken"
Die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen - zwischen Berlin und Warschau- ist jedoch ein immerwährender Prozess. "In den vergangenen acht Jahren unter der PiS-Regierung haben die antideutschen Ressentiments in Polen wieder zugenommen", sagt Dariusz Paczkowski, "mit einem Projekt wie dem Wandgemälde wollen wir dem etwas entgegensetzen. Es geht um die Gegenwart." Maria Michón ergänzt: "Wenn man ehrlich miteinander ins Gespräch kommen will, darf man sich nicht verstecken." Der Historiker Stephan Lehnstaedt meint: "Man kann die polnische Geschichte nicht verstehen, ohne die Geschichte des Warschauer Aufstandes zu kennen."
In Berlin wird es in diesem Jahr zum 80. Jahrestag des Warschauer Aufstandes eine Gedenkveranstaltung geben. Sie beginnt um 17 Uhr vor dem Roten Rathaus – zur "Stunde-W". Dann, wenn in Warschau alles stillstehen wird.
Auch im Bezirk Mokótow. Dort, auf dem Hügel des Warschauer Aufstandes, soll am Abend ein Feuer entzündet werden. Es soll 63 Tage brennen, so lange wie der Aufstand anhielt. Anita Baranowska-Koch denkt nochmal an ihr Treffen mit den Aufständischen zurück: "Am Ende sagten sie, dass man sie nicht vergessen dürfe. Ich denke, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen uns vor ihnen und den Opfern verneigen."
Sendung: radioeins vom rbb, 31.07.2024, 7:00 Uhr