Landeszentrale für politische Bildung - Werden vom Berliner Senat Aufpasser eingesetzt?
In der Berliner Landeszentrale für politische Bildung wird ein "Showdown" erwartet. Teile des Kuratoriums werfen der CDU-geführten Bildungsverwaltung vor, die Arbeit der Zentrale aus ideologischen Gründen beschneiden zu wollen. Von Sabine Müller
Was sich am vergangenen Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus abspielte, dürfte ein Vorgeschmack gewesen sein auf die Kuratoriumssitzung der Landeszentrale für politische Bildung (LZPB) am Freitag. Die Grünen erkundigten sich nach einer geplanten neuen Stabsstelle in der Bildungsverwaltung. Diese habe offensichtlich ein "Durchgriffsrecht" und "klare politische Einflussnahme" auf die Landeszentrale zum Ziel, kritisierten die Abgeordneten Louis Krüger und Ario Mirzaie. Daraufhin warf Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) den Grünen vor, mit "infamen Unterstellungen" den Diskurs zu "vergiften".
CDU will ein Ende des "Wildwuchses"
Seitdem haben sich die Gemüter nicht beruhigt. Susanna Kahlefeld, grünes Kuratoriumsmitglied, geht davon aus, dass es bei der Sitzung "ziemlich knallt". Zur Besprechung liegt die Jahresplanung 2025 der Landeszentrale für politische Bildung auf dem Tisch. Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark kritisierte gegenüber dem rbb vorab, der Zugang zu politischer Bildung sei in Berlin "aktuell auf keinem guten Niveau". Er sieht zu viele Projekte, "die nicht die Mehrheitsgesellschaft widerspiegeln". Vermittelt werden müsse zum Beispiel mehr Grundlagenwissen über Aufgaben und Arbeit des Parlaments oder eines Bürgermeisters, meint Freymark.
Aktuell unterhält die Landeszentrale für politische Bildung zwei Standorte, an denen sich Bürgerinnen und Bürgerinnen informieren können und zum Beispiel kostenloses Lesematerial bekommen. Dazu gibt es jährlich mehr als 200 Veranstaltungen - von Seminaren bis Fortbildungen, meist in Kooperation mit verschiedenen Vereinen.
Kritiker wittern inhaltliche Kontrolle der LZPB
Sie wolle ein Ende des "Wildwuchses" bei der politischen Bildung, gab Senatorin Katharina Günther-Wünsch im Abgeordnetenhaus als Ziel aus und erwähnte dann konkret zwei von der Landeszentrale geförderte Projekte: "Wie wird denn eigentlich der Bedarf für ein Angebot wie den Workshop 'Siebdruck und kritische Männlichkeit' ermittelt?", fragte Günther-Wünsch: Und wie hoch sei die Nachfrage für 'Antirassistisches Training für weiße Frauen'?
Kritiker sehen Ideologie-getriebenes Handeln
Laut der Senatorin soll die neue Stabsstelle "Politische Bildung und Demokratieförderung", die gerade in ihrem Haus aufgebaut wird, für mehr Steuerung und Koordination in der politischen Bildungslandschaft sorgen – auch über die Landeszentrale hinaus. Kritiker lesen aus den internen Unterlagen zur Einrichtung der Stelle, die dem rbb vorliegen, allerdings anderes heraus. Dort steht zur Landeszentrale für politische Bildung unter anderem: "Das Jahresprogramm, die Förderung einzelner Träger sowie die Erstellung von Materialien sind stets mit der Stabsstelle fachlich und inhaltlich abzustimmen".
Mit der Stabsstelle würden politische "Aufpasser" eingesetzt, kritisiert der Historiker Wolfgang Benz, der lange Zeitgeschichte und politische Wissenschaft an der Berliner TU lehrte. "Es geht wirklich um Zensur, es geht eindeutig darum, andere Meinungen zu unterdrücken."
Benz gehört zu den mittlerweile mehr als 22.000 Menschen, die im Internet eine Petition mit dem Titel "Regierungszugriff auf die politische Bildung in Berlin verhindern!" unterzeichnet haben. Darunter viele Wissenschaftler aus ganz Deutschland, aber auch Gewerkschafter und ehemalige SPD-Bildungsstaatssekretäre.
Gestartet wurde die Petition vom Berliner Landesverband der Deutschen Vereinigung für politische Bildung. Dessen Vorsitzende Sabine Achour wirft der CDU "Ideologie"-getriebenes Handeln vor, weil ihr die aktuelle Arbeit der Landeszentrale offenbar "zu links, zu rassismus- und diskriminierungssensibel und zu feministisch" sei. Das sieht auch Susanna Kahlefeld (Grüne) so: "Sie wollen die Landeszentrale für politische Bildung ihrer politischen Agenda entsprechend nach rechts umsortieren." Das Kuratorium, das doch eigentlich die Überparteilichkeit der Arbeit der Landeszentrale sicherstelle, solle übergangen werden, so Kahlefeld.
CDU: Durch die neue Stabstelle ändere sich nichts
Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark weist den Vorwurf der Einmischung vehement zurück. "Ich verstehe das nicht, ich finde das indiskutabel und sehe das als antidemokratischen Vorgang seitens der Kritiker." "Es ändert sich nichts" durch die neue Stabsstelle, verspricht Senatorin Günther-Wünsch. Schon jetzt habe die Bildungsverwaltung die Fachaufsicht über die Landeszentrale für politische Bildung. "Kontrolle" werde es nur im Sinne der Nutzerinnen der Landeszentrale geben und im Sinne des Steuerzahlers, sagt die Senatorin weiter.
Doch die SPD, die gemeinsam mit der CDU regiert, beruhigen solche Worte nicht. Kuratoriumsmitglied Maja Lasić schreibt dem rbb, gerade in der heutigen Zeit bedürfe es "einer starken und in ihrer Unabhängigkeit sicheren Landeszentrale". "Deshalb sehen wir eine öffentliche Infragestellung der Landeszentrale kritisch", so Lasić.
Streit wird wohl weitergehen
Viele reden, einer schweigt: Thomas Gill, der Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung. Eine Interviewanfrage des rbb lehnte er ab. Dass der Landeszentralen-Chef nicht glücklich ist mit den aktuellen Entwicklungen, darf als gesichert gelten.
In der vergangenen Woche wies er bei einem Termin am neuen Standort im Osten der Stadt demonstrativ darauf hin, die politische Bildung sei nach 1945 in Deutschland immer "unabhängig und parteipolitisch übergreifend konzipiert" gewesen. Unter den Nationalsozialisten war die Kontrolle im Propagandaministerium angesiedelt. "Was immer man heute diskutiert, muss man es vor diesem Hintergrund betrachten", zitiert die "Morgenpost" Thomas Gill. Das saß als kaum versteckte Spitze in Richtung der CDU-Pläne.
Entscheidende Posten noch nicht besetzt
In eine direkte, öffentliche Auseinandersetzung mit der Bildungssenatorin mag Gill aber offensichtlich nicht gehen. Vielleicht auch deshalb, weil noch unklar ist, welche Auswirkungen die neue Stabsstelle tatsächlich auf die Alltagsarbeit der Landeszentrale haben wird. Noch sind die entscheidenden Posten nicht besetzt. Offenbar gibt es Widerstand vom Personalrat der Bildungsverwaltung, weil zwei Vertraute der Hausleitung ohne Ausschreibung auf die Posten gehoben werden sollen.
Vor der Kuratoriumssitzung am Freitag forderte die Petitions-Initiatorin Sabine Achour, die Mitglieder sollten darauf dringen, dass die Entscheidung für die Stabstelle rückgängig gemacht wird. Dass es so weit kommt, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Mehrere Kuratoriumsmitglieder sagten dem rbb, letztlich werde das Ergebnis der Sitzung vermutlich ein "agree to disagree" sein: Einigkeit darüber, dass man sich nicht einig ist.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2024, 07.32 Uhr